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Kunst: Caravaggio - der Rockstar unter den Malern

Kunst

Caravaggio - der Rockstar unter den Malern

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    Der ungläubige Thomas (1601–03) aus der Bildergalerie von Schloss Sanssouci in Potsdam.
    Der ungläubige Thomas (1601–03) aus der Bildergalerie von Schloss Sanssouci in Potsdam. Foto: Hans Bach, Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg

    Dieses Drehbuch ist völlig übertrieben. Das jedenfalls wäre die knappe Taxierung in der Filmbranche. Denn da ist lange nicht nur eine atemberaubende Karriere, die im barocken Rom in Adelspaläste und in den Vatikan führt. Michelangelo Merisi da Caravaggio lässt auch sonst nichts aus: Zocken, saufen, prügeln, morden lautet die verkürzte Folge seiner Freizeitaktivitäten. Damit ist der am 28. oder 29. September vor 450 Jahren in Mailand geborene Maler zum Prototyp des genialen Künstlers mit fatalen Schattenseiten geworden. Gerade auch als Antipode zu Raffael, den man zum „Göttlichen“ ohne Fehl und Tadel verklärt hat.

    Die Korrekturen ließen Jahrhunderte auf sich warten. Wobei Caravaggio tatsächlich keiner Schandtat aus dem Weg ging – und sich scheinbar fast alles erlauben konnte. Denn die Aufträge blieben nicht aus. Aber er war eben auch verdammt gut. Scharen junger Künstler sind schon vor seinem Tod im Jahr 1610 nach Rom gepilgert, um seine „wunderlichen Dinge“ zu studieren, wie es Karel van Mander empfiehlt. Dabei dachte der holländische Kunstschriftsteller weniger an Schauerlichkeiten wie das Schlangenhaupt der Medusa als an das Chiaroscuro, das heißt: die packenden Hell-Dunkel-Kontraste, die diese Kunst bis heute unter die Haut gehen lassen.

    Wenn der ungläubige Thomas mit dem Finger tief in Jesus’ Wunde herumbohrt, kann einem schnell übel werden. Und geht der opferwütige Abraham seinem Sohn an die Gurgel, meint man, den Druck des Daumens zu spüren, mit dem der Vater in die Wange Isaaks greift. Das ist schwerlich zu überbieten, und Caravaggio muss auch nie lange um Anerkennung ringen. Bereits die Mutter sieht sein Talent und gibt ihn in die Lehre nach Mailand. Bei Simone Peterzano erhält er eine solide Grundlage, Michelangelo ist aber auch ehrgeizig und macht sich mit 20 Jahren auf nach Rom. Er muss dort heftig malochen, eignet sich aber Routine, Geschwindigkeit und schließlich das Netzwerken an.

    Ein Kardinal fördert den jungen Caravaggio in Rom

    In Rom blüht der Kunstmarkt, und die Konkurrenz ist groß, wenn es darum geht, die neuen Paläste und Bürgerhäuser zu schmücken – gerne mit Genreszenen aus dem Volk, die den Abstand zu den Reichen und Schönen nur noch unterstreichen. In diesem Zusammenhang entdeckt Francesco del Monte Caravaggios „Falschspieler“, die später bis zum Gehtnichtmehr kopiert werden. Das ist der Beginn eines rasanten Aufstiegs, denn der Kardinal fördert den jungen Mann nicht nur, er lässt ihn auch in seinem Palazzo Madama wohnen, wo die Hautevolee ein und aus geht.

    Caravaggio malt in dieser Zeit auffallend viele Musiker; das hat nicht zuletzt mit den Interessen des Kardinals zu tun. Und gerade der verträumte Lautenspieler von 1595/96 rückt dem Betrachter fast näher als der kurz darauf entstandene Schönling Bacchus. Das spricht lange nicht nur den Musik lieb habenden Kardinal an, der auf Männer steht, während Caravaggio wohl auch Frauen nicht abgeneigt ist.

    Was in seiner Karriere noch fehlt, sind große Historiengemälde, am besten in einer Kirche, denn dort wird man auch von der breiten Öffentlichkeit wahrgenommen. Del Monte bittet Caravaggio, in der Contarelli-Kapelle das Leben des Matthäus auf drei Tafeln in Szene zu setzen. Der knapp 30-Jährige kann inzwischen aus dem Vollen schöpfen, doch die Formate zwingen ihn, sein enormes Tempo zu drosseln. Er verwirft, fängt wieder neu an, variiert – und bringt die Heroen der Bibel mit den Zeitgenossen seiner Genreszenen zusammen. Das ist ungeheuerlich, denn Caravaggio findet seine Modelle auf der Straße: einfache Tagwerker und Dirnen.

    Bis heute verblüffen seine Arbeiten

    Er braucht auch keine ausführlichen Vorzeichnungen, sondern ritzt die Umrisse in die frische Grundierung, dann wird aus der Hand heraus gefüllt und abgestimmt. Das verblüfft bis heute, zumal nicht nur die „Berufung des Matthäus“ minutiös komponiert ist. Mit intensivem Lichtstrahl demonstriert Christus, wen er auserwählt hat. Und abgesehen vom göttlichen Fingerzeig Michelangelos, den Caravaggio hier in tiefer Verneigung zitiert, muss das auf die Menschen gewirkt haben wie die ersten Laserschwerter aus dem Star-Wars-Imperium.

    Und die Beleuchtung? Ist grandios erfunden. Um die Lichtsituation nachzustellen, bräuchte man zig Strahler, dann wäre das Ergebnis noch lange nicht so überzeugend. Nichts passt zusammen, und doch empfinden wir die Szene vollkommen realistisch. Womöglich hat Caravaggio den Lichteinfall im Pantheon beobachtet? Nur ein rundes Loch wird zum Scheinwerfer – diesen Effekt hat Merisi nach Gusto vervielfacht.

    Seine Gemälde sind mittlerweile Statussymbole, hie und da werden sie zwar als zu vulgär bekrittelt, vor allem die Geistlichkeit nimmt Anstoß an Menschen, die uns bei der Kreuzigung Christi etwa ihre dreckigen Füße entgegenstrecken, oder an der Tatsache, dass für die Jungfrau Maria eine Prostituierte Modell gestanden hat. Caravaggios Erfolg tut das keinen Abbruch. Selbst wenn er die Arbeit für Wochen einstellt, in Spelunken sein Geld verspielt und sich verlustiert. Doch die Anzeigen häufen sich, denn er zahlt keine Miete, beleidigt Gegner, und wenn er gereizt wird, kommt es schnell zur Rauferei.

    Die Brutalität in Rom ist allgegenwärtig

    Rom ist allerdings ein hartes Pflaster. Saufgelage und Schlägereien gibt es gerade auch in Künstlerkreisen zuhauf; sowieso ist der jähzornige Caravaggio nicht der Einzige, der zum Messer greift. Und wer am Richtplatz vorbeikommt, kann auf einen Korb mit abgeschlagenen Köpfen treffen. Die Brutalität ist allgegenwärtig, und Goliaths Haupt liegt im Grunde auf der Gasse. Ein Totschlag geht dann aber doch zu weit. Ranuccio Tomassoni fällt ihm 1606 zum Opfer, wieder einmal nach einem Ausraster und im Tumult. Caravaggio bleibt danach nichts als die Flucht – erst nach Sizilien, dann zieht der Rastlose weiter nach Malta, malt dort die monumentale „Enthauptung des Johannes“ und landet wegen einer Prügelei im Gefängnis. Er bricht aus, eilt nach

    Aufträge hat er genug, doch er will vor allem eins: zurück nach Rom. Fieber und Erschöpfung zwingen ihn allerdings, im Hospital von Porto Ercole Halt zu machen. Ist es die Malaria, eine Sepsis oder ein Infarkt? Caravaggio stirbt am 18. Juli 1610, noch bevor ihn die Begnadigung des Papstes erreicht. Nur 38 Jahre alt ist dieser Rockstar der Malerei geworden. Mehr geht auch nicht bei einem so verrückten, verruchten Künstlerleben am ständigen Limit.

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