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Interview: Kultautor T.C. Boyle: "Die Lage der Welt sieht düster aus"

Interview

Kultautor T.C. Boyle: "Die Lage der Welt sieht düster aus"

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    Starautor T.C. Boyle schreibt in seinem aktuelle Roman "Sprich mit mir" über einen Affen, der Sprechen lernt.
    Starautor T.C. Boyle schreibt in seinem aktuelle Roman "Sprich mit mir" über einen Affen, der Sprechen lernt. Foto: Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa

    Ihre Bücher sind voller dramatischer Situationen und behandeln brennende Probleme. Aber zumeist sind sie auch sehr komisch. Woran liegt das?
    T.C.Boyle: Schreiben ist für mich ein Mittel, um mit unserer Realität fertig zu werden. Ich nehme mir dabei Themen vor, die mich interessieren. In meinem vorherigen Roman „Das Licht“ ging es um das menschliche Bewusstsein, „Sprich mit mir“ wiederum dreht sich um das Bewusstsein von Tieren. Ich möchte die Menschen berühren und bewegen, aber sie sollen sich gleichzeitig amüsieren. Auch bei meinem nächsten Roman, der sich um einen Milben- und Zeckenforscher dreht, stehe ich vor der Herausforderung, daraus eine Komödie zu machen. Und das obwohl ich selbst ganz schlimm von einem Zecken gebissen wurde. Aber ich habe nun mal eine sardonische Sicht auf die Welt. Ich kann nicht anders.

    Von Ihnen stammt der Spruch: „Es gibt keine Hoffnung für uns sieben Milliarden Menschen auf diesem Planeten. Und uns bleibt nichts anderes übrig, als dem allen ins Gesicht zu lachen.“
    Boyle: Ganz genau. Das Leben hat keinen Sinn und Zweck, es gibt keine Erklärung dafür. Wir sind einfach nur und eines Tages werden wir sterben. Meine Freunde, die ich mein ganzes Leben lang kenne, waren und sind genauso gestimmt wie ich. Wir waren smarte Kids, unzufrieden, waren auch ein bisschen Klugscheißer, und wir versuchten uns gegenseitig mit geistreichen Sprüchen zu überbieten. Das tun wir heute noch. Gleichzeitig fühlte ich mich immer zu Autoren hingezogen, die diesen sardonischen Witz verkörperten, Kafka, Grass, Marquez oder Barthelme. Die waren mehr mein Fall als die klassisch realistischen Schriftsteller.

    T. C. Boyle: "Ich strebe danach, dass alles schön und rhythmisch erzählt ist"

    Doch Sie schreiben nicht ausschließlich in diesem Stil.
    Boyle: Richtig, denn ich richte mich nach dem Sujet der Geschichten. „San Miguel“ etwa, die Saga von drei Frauen Ende des 19. und im frühen 20. Jahrhundert, war ohne Ironie, in eindeutig realistischem Modus erzählt. Weil es sich eben so richtig für mich anfühlte. Wobei ich zugeben muss, dass das extrem schwierig für mich war. Ich stand kurz vor, das Vorhaben aufzugeben, bis ich eine Lösung fand, damit das doch funktionierte. Aber auch meine Hunderten von Kurzgeschichten sind in einem unterschiedlichen Stil verfasst. Deshalb fällt es den Kritikern schwer, zu definieren, was ich mache. Und mir geht es genauso. Nur so viel: Ich strebe danach, dass alles schön und rhythmisch erzählt ist.

    Der Tod ist ja in Ihren Geschichten allgegenwärtig. Hatten Sie dieses Bewusstsein Ihrer Sterblichkeit auch schon als Kind?
    Boyle: Natürlich. Aber jetzt nähere ich mich diesem Punkt immer näher an, und damit fühlt es sich noch schlimmer an.

    In Ihrem vorherigen Roman „Das Licht“ geht es um die Bewusstseinsveränderung durch Drogen. Nehmen wir an, Sie könnten Ihre Lebenserwartung mit einer Pille um 200 Jahre steigern...
    Boyle: Nur um 200? Ich bitte Sie, geben Sie mir 2000.

    Aber im Ernst: Eigentlich könnten Ihre Bücher um Hunderte, wenn nicht Tausende von Jahren überleben.
    Boyle: Da wäre ich mir nicht so sicher. Denn welche Art von Literatur überlebt, das beruht alles auf kulturellen Gründen und Vorurteilen. Zufälligerweise dominiert die westliche Zivilisation die Welt, aber das mag nicht immer der Fall sein. Eines Tages kann es sein, dass unsere berühmten Künstler, die großen Komponisten eingeschlossen, vergessen sind.

    Haben Sie irgendeine Konzeption von Unsterblichkeit?
    Boyle: Ja, und dafür muss ich nur aus dem Fenster schauen, wo ich die ganze kalifornische Natur vor mir habe. Jedes Tier, das ich da sehe, ist auf seine Weise unsterblich. Denn es ist jeweils die aktuelle Ausgabe seiner Spezies, auf die dann das nächste Exemplar folgen wird. Das heißt, die Art ist unsterblich. Aber für uns als Menschen ist das nicht sonderlich befriedigend. Abgesehen davon haben wir das Problem, dass sich in ein paar Milliarden Jahren die Sonne ausdehnen und unseren Planeten einäschern wird. Selbst wenn wir also unsterblich wären, es würde uns dann nicht mehr nützen.

    Den Glauben an die Religion hat Boyle schon als Kind verloren

    Haben Sie das Gefühl, dass es denn zumindest eine höhere Art von Realität jenseits der materiellen Welt gibt?
    Boyle: Ich würde gerne an etwas glauben, das über unser materielles Leben hinausgeht. Der Gedanke in „Das Licht“ war, dass uns schon eine winzige Pille eine Vision Gottes vermitteln kann. Aber wenn das möglich ist, was ist dann Gott? Was ist die Realität? Die Realität basiert letztlich nur auf unseren Sinneswahrnehmungen, und die können wir eben mit Drogen ändern. Den Glauben an die Religion habe ich schon als Kind verloren, weil das für mich keinen Sinn ergab. Ich bin gefangen in meiner Rationalität. Ich wünschte, ich könnte den Sprung in den Glauben vollziehen, von dem Kierkegaard spricht. Aber so sehr ich es möchte, ich schaffe es einfach nicht an diesen Punkt.

    Warum eigentlich?
    Boyle: Wegen meines Skeptizismus. Das alles erscheint mir absurd. Selbst LSD hat mir keine religiösen Erfahrungen verschafft. Meine Trips waren eher angsteinflößend. Wenn es eine Religion gibt, die einigermaßen Sinn macht, dann wäre es der Buddhismus. Da gibt es keinen Gott außerhalb von dir. Alles liegt in deinem Geist, mit dem du die Welt erschaffst. Und jedes Individuum erschafft die Welt auf seine oder ihre Weise, deshalb ist auch jeder Einzelne so unglaublich wichtig. Jeder von uns ist ein eigenes Universum – einzigartig und originell. Und das halte ich für ein wunderbares Konzept.

    Wenn man nur Borges nach seiner Meinung fragen könnte

    Theoretisch könnte es ja unzählige Versionen von uns geben, wenn man an das Konzept der Paralleluniversen denkt.
    Boyle: Damit kenne ich mich nicht so gut aus. Ich wünschte, Borges wäre am Leben und wir könnten ihn nach seiner Meinung fragen. Aber vielleicht lebt er ja in einer Dimension neben unserer - in seiner unendlichen Bibliothek.

    In „Sprich mit mir“ interessieren Sie sich für die Perspektive des tierischen Bewusstseins, die sie auch schon in einer Kurzgeschichte aus Ihrer Studienzeit thematisierten. Woher diese langjährige Faszination für das Thema?
    Boyle: In Wissenschaft und Religion versuchte man uns immer zu lehren, dass wir über anderen Kreaturen stehen und uns von ihnen nur durch unsere Sprachfähigkeit unterschieden. Damals erfuhr ich von Experimenten, mit denen man Affen unsere Sprache beibringen wollte. Und als ein junger Klugscheißer schrieb ich seinerzeit eine absurde Story über eine Dreiecksbeziehung mit einem Affen. Ich bin jetzt dazu zurückgekehrt, weil ich als Autor ja von Sprache besessen bin und mich den ganzen Tag lang damit beschäftige. Und gleichzeitig passt das zum Hauptthema meiner Bücher – nämlich wie finden wir als Wesen, die ein bisschen mehr sind als Tiere, unseren Platz auf diesem Planeten.

    Wenn ein Affe sprechen könnte, hätte er denn besondere Erkenntnisse für uns zu bieten?
    Boyle: Das ist ein Grundidee von „Sprich mit mir“. Könnte ein Tier uns etwas Neues zum Mysterium des Lebens erzählen? Aber das ist unmöglich, denn jede Spezies hat ihren eigenen Blick auf die Welt. Mein Hund liegt neben mir auf dem Teppich, aber seine Gehirnwellen funktionieren anders, er lebt in seiner eigenen Realität.

    Und wir Menschen sind in den Beschränkungen unseres Weltbilds gefangen?
    Boyle: Nicht zwangsläufig. Wir haben in uns eine kleine Stimme im Kopf, die ständig mit uns spricht. Sie hilft uns, unseren Weg durchs Leben zu finden. Aber sie kann uns auch einschränken und unterdrücken. Aber ich habe das Glück, ihr durchs Schreiben zu entkommen. Oder indem ich Zeit in der Natur verbringe, was ich häufig mache. Da lebe ich in einer komplett anderen Welt. Ich werfe die Beschränkungen, die mir diese Stimme auferlegt ab, und entwickle mich zu etwas anderem. Diese Wirkung hat auch Kunst. Wenn Sie einem guten Konzert zuhören, ein tolles Buch lesen oder einen großartigen Film sehen, dann treten Sie aus sich heraus. Sie sind komplett woanders. Und das ist auch notwendig.

    "Wir sind in Amerika aus einem sehr dunklen Loch entkommen"

    Steckt bei allem Skeptizismus und Sardonismus auch ein Optimist in Ihnen?
    Boyle: Absolut. Ich habe meine Covid-Impfung bekommen, das ist schon mal was. Aber vor allem. Wir sind in Amerika aus einem sehr dunklen Loch entkommen, in das wir hoffentlich nie wieder zurücksinken werden. Nur dürfen wir nicht vergessen, dass wir mit der ältesten Demokratie der Welt ganz dicht an einer faschistischen Diktatur vorbeigeschrammt sind. Die letzten Monate vor der Wahl war ich in ständiger Angst. Wer weiß, wenn die Pandemie nicht gewesen wäre, dann hätte Trump die Wahl gewonnen und wäre Herrscher auf Lebenszeit geworden. Einige der Angreifer im Kapitol riefen „Kaiser Trump“. Das in einer Demokratie zu hören, ist bestürzend.

    Haben Sie eine Erklärung dafür?
    Boyle: Das hängt stark mit dem Internet zusammen. Das erlaubt Ihnen und mir, miteinander zu kommunizieren, aber das gilt eben auch für die Verrückten am rechten Rand. Die können einander bauchpinseln und sich in eine alternative Realität hineinsteigern, in der sie versuchen, die Menschen im Senat umzubringen. Und das Trump-Regime hat mit solchen Mitteln einen großen Teil unserer Bevölkerung um den Verstand gebracht. Das hatte Orwell’sche Dimensionen.

    Und Joe Biden macht Ihnen Hoffnung?
    Boyle: In der Tat. Er versucht den ganzen Schaden wiedergutzumachen und will ganz offensichtlich für das Land arbeiten. Er versucht nicht in die eigene Tasche und die seiner Unternehmen zu wirtschaften. Das stimmt mich schon mal sehr glücklich. Doch gleichzeitig sehe ich die ganzen Probleme, die auf uns zurollen: die Wasserknappheit, der Klimawandel, es wird einen Krieg um Ressourcen und eine ganz neue Welle von Flüchtlingen geben. Und was ist, wenn die Insekten aussterben? Wer soll die Pflanzen befruchten? Die Lage der Welt sieht düster aus.

    T. C. Boyle: "Leider wird die Welt jetzt von Gangs beherrscht"

    Sie sprachen vorhin von subjektiver Wahrnehmung. Gibt es denn doch nicht so etwas wie eine objektive Wahrheit?
    Boyle: Natürlich gibt es absolute Wahrheiten. Zum Beispiel, dass die Sonne die Erde erwärmt und dass sie jeden Morgen aufgeht. Das sind Wahrheiten, die sich mit wissenschaftlicher Methodik beweisen lassen. An die glaube ich auch. Aber letzten Endes kann die Wissenschaft nicht die ultimativen Antworten bieten, die wir suchen.

    Wie ist es moralischen Grundsätzen wie „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“? Sind die eine absolute Wahrheit?
    Boyle: Leider wird die Geschichte der Menschheit und auch die Welt jetzt von Gangs beherrscht. Diese Gangs nehmen Ideologien wie Kommunismus oder Faschismus oder Islamismus, um damit Menschen zu versklaven. Unsere Demokratien sind so etwas wie ein Wunder. Ich lebe zum Glück in einer, wo ich Leute wie Trump jeden Tag schlechtmachen kann, ohne in Guantanamo zu landen. Was mir allerdings in seiner zweiten oder dritten Amtszeit sicher geblüht hätte. Aber um Ihre Frage zu beantworten: Ja, so ein Satz ist wahr. Den wende ich auch für mich an. Ich tue niemand absichtlich etwas Schlechtes. Ich bin ein geselliger Mensch, der die Menschen liebt. Ich umarme die Welt.

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