Es mangelte nicht an schwärmenden Worten, an Generalbegeisterung. Im Vorfeld nicht, als noch kein Tönchen öffentlich erklungen war in Münchens neuer Isarphilharmonie – und erst recht nicht am Eröffnungsabend, als Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter unangestrengt und wiederholt die Worte „wunderbar“, „überglücklich“, „sensationell“ und „grandios“ über die Lippen flossen.
Das war stärker, weit stärker als die übliche Jubel-Lyrik zur Weihe eines Hauses; da war noch vor dem Eröffnungskonzert eine Marke gesetzt – und mithilfe von Vorab-Zeugnissen jegliche Deutungshoheit an sich gerissen worden. Jeder, der widersprechen hätte wollen, wäre nicht nur Spielverderber, er wäre – gleichsam zu steinigender – Nestbeschmutzer gewesen.
Neue Isarphilharmonie in München eröffnet
Aber gibt es denn etwas zu widersprechen in Sachen Isarphilharmonie und Gasteig HP 8, dieser Ausweichbauten an der Hans-Preißinger-Str. 8 (HP8) in Sendling? Dass das etwas abseits vom Schuss liegt, dass Gehbehinderte besser Parkett buchen sollten, dass es vor den Toiletten im ersten Rang engst zugeht, dass Gastronomie-Kühlschränke zur Eröffnung noch auf Stromanschluss warteten? Dass die Schauseite vielleicht doch etwas mehr hermacht als die Infrastruktur hinter den Kulissen?
All das ist für den geschenkt, der das Große und Ganze betrachtet: Während die Hamburger Elbphilharmonie viele Jahre lang baulich krampfte und finanziell würgte, während die Sanierung des Kölner Opernhauses bei ähnlichen Verzögerungen und Kostensteigerungen immer noch weiter krampft und würgt, stellt die Stadt München binnen vier Jahren (Votum, Planung, Bau) einen Interims-Konzertsaal für die städtischen Philharmoniker, für das Symphonieorchester des BR, für das Münchner Kammerorchester und freie Konzertveranstalter hin, dessen Kosten von 40 Millionen Euro vergleichsweise als Sparwochen-Angebot zu betrachten sind.
Isarphilharmonie in München: OB Reiter sprach von „Blaupause für alle künftigen Münchner Kulturbauten“
Das zählt – und wird unangenehme Fragen nach sich ziehen, zumal OB Reiter angesichts der Isarphilharmonie von einer „Blaupause für alle künftigen Münchner Kulturbauten“ sprach. Wenn die Isarphilharmonie jetzt 40 Millionen kostete und die weiteren Gasteig-Ausweichbauten für Stadtbücherei, Volkshochschule und Musikhochschule drumherum nur weitere 30 Millionen, dann stellen sich Größenordnungsfragen ganz neu – auch weil die neuen Modul-Bauten rund um die denkmalgeschützte Transformatoren-Halle in Sendling, also rund um das Foyer weiter verwendbar sein sollen, wenn das Gasteig in fünf Jahren wieder bezugsfertig ist.
Aber die Relation zwischen gesamt 70 Millionen Kosten hier und mehreren hundert Millionen Sanierungskosten dort am Gasteig verblüffen denn doch – und auch die geschätzten Kosten von etlichen Millionen Euro für den geplanten BR-Konzertsaal am Ostbahnhof. Es steht ja auch noch aus, wie der BR das BR-Symphonie-Orchester aus einer Zwickmühle heraus die neue Isarphilharmonie bewerten wird. Ein Politikum ist das allemal, auch zwischen Stadt München und Freistaat Bayern. Und es steht auch noch aus, wie die einst viel gescholtene Gasteig-Akustik nach der Gasteig-Konzertsaal-Sanierung klingen wird. Möglich, dass kein Orchester mit wirklich fliegenden Fahnen wieder zurück will an den Rosenheimer Platz. OB Reiter: „Ich ahne bereits, dass dieses Interim hier relativ lange Bestand haben wird.“
Etwa 1900 Gäste genossen das Eröffnungskonzert in der Isarphilharmonie
Folgendes hat die Eröffnung der Isarphilharmonie am Freitag – mit Intendanten-Prominenz zwischen Hamburg und Salzburg – durchaus dokumentiert: Das Auditorium auf rund 1900 Plätzen kann jedenfalls die „inneren Werte“ der Isarphilharmonie in vollen Zügen genießen – diese offene, transparente Akustik aus dem Büro Yasuhisa Toyotas ebenso wie die elegante Optik einer dunkel-anthrazitfarbenen Holzinnenarchitektur, aufgehängt in einem Betonrohbau. Diese Optik atmet Großzügigkeit und Weite; sie entfaltet alles andere als die Wirkung eines Provisoriums (von Gerkan, Marg & Partner). Lediglich der Maschendraht als Balkonbrüstung sieht demonstrativ kostenbewusst aus.
Das Eröffnungskonzert aber brachte viel von dem, das wesentlich ist, um Würde (Beethovens viertes Klavierkonzert), Überrumpelungs-effekt (Ravels „Daphnis et Chloé-Suite Nr. 2)) und, am wichtigsten, die Akustik zu beurteilen. Die Münchner Philharmoniker unter Chef Valery Gergiev setzten auf ein vornehmlich farbenreiches, klangsinnliches, (post-)impressionistisch-französisches Programm, das auch die Einzelbewertung der Instrumenten- und Stimmgruppen zuließ.
Ovationen nach Konzert in der Münchner Isarphilharmonie
So hellhörig wie die Elbphilharmonie scheint – jedenfalls in Reihe 24 Mitte – die Isarphilharmonie nicht zu sein, dafür wärmer, wie die Bratschen bei Beethoven verkündeten (3. Satz) – und dazu der Philharmonische Chor München in einer Komposition Rodion Shchedrins. Vielleicht ist das Blech gegenüber der Harfe hinsichtlich akustischer Präsenz im Vorteil, das hat dann die Balance auszutarieren. Dass aber auch das Einzelinstrument und der Einzelton tragen, zeigte Daniil Trifonov eben bei Beethoven: Wenn er es „marcato“ haben will, dann übermitteln sich in den Saal hinein selbst die raffinierten Anschlagsgeräusche der Hämmerchen auf den Saiten. Auch opulentem Orchestervolumen macht der Saal keine Probleme: Ravels Suitensätze, auch Dutilleux’ „Métaboles“ knallten nicht in Überakustik.
Fast sprachen die Ovationen die Isarphilharmonie heilig. München leuchtet – und dürfte noch mehr leuchten, wenn kommende Woche das neue Volkstheater mit drei Sälen – pünktlich und plankostengerecht (130 Millionen Euro) eingeweiht wird. Man kann zufrieden sein mit der Isarphilharmonie – jedenfalls wenn Kosten, Bauzeit, Akustik und innere Schönheit in Bezug gesetzt werden zu anderen relativ neuen Musikpodien. In Stuttgart übrigens denkt man derzeit über eine „Neckarphilharmonie“ als Ersatz für die Liederhalle nach. Wie inspirierend Flüsse doch sein können. Was das wohl für Augsburg bedeutet?