Was soll man halten von einem Musiker, der sein Konzert nach 40 Minuten abbricht? Ihm glauben, wenn er sagt, dass er kein „Scheißkonzert“ geben wolle? Genauso begründet Helge Schneider das frühe Ende seines Augsburger Auftritts am Freitagabend. Die besondere Situation, das Publikum weitläufig verteilt auf Strandkörbe, dazu ständig Bewegung vor der Bühne wegen der Gastronomie, das habe nicht zugelassen, dass er die Fans begeistern könne. Also Abbruch aus Redlichkeit, so stellt es Helge Schneider dar.
Und erntet nicht nur für die Tat, sondern auch für seine Begründung reichlich Kritik – etwa, dass genau dieses Verhalten unprofessionell sei, ein Profi hätte mit den Widrigkeiten besser umgehen müssen. Außerdem beschädige Schneider mit dieser Tat den Versuch, das Kulturleben wieder unter erschwerten Bedingungen in Gang zu bringen.
Ein solcher Versuch ist das Konzept Strandkorbfestival, das gerade in mehreren deutschen Städten Einzug gehalten hat und dadurch bestechen soll, dass das Publikum die gebotenen Corona-Abstände einhält, weil es großflächig in Strandkörben vor der Bühne untergebracht ist. Was wiederum heißt, dass keine geschlossene Menge, sondern viele Einzelne versammelt sind. Das Problem, dass oben auf der Bühne zu wenig Reaktionen ankommen, liegt also in der Natur der Sache. Das hätte Schneider auch vor seinem Auftritt wissen können. Also doch keine mildernden Umstände gelten lassen?
Gerade vor dem Corona-Hintergrund wirkt der Konzertabbruch von Helge Schneider so stark
Gerade weil Schneider in dieser besonderen Situation sein Konzert abgebrochen hat, gerade vor dem Corona-Hintergrund ging die Nachricht davon in Windeseile durch die Republik. Denn so besonders sich das auch anhören mag, Abbrüche gehören zum Konzertwesen dazu, als die Ausnahme, über die man umso mehr spricht. Und es kommt aus den unterschiedlichsten Gründen dazu, zum Beispiel äußeren, weil das Wetter nicht mehr mitspielt, es zu Starkregen, Gewitter oder Sturm kommt. Da hat schon manches Open-Air eine vorübergehende Unterbrechung oder ein vorzeitiges Ende gefunden – immer auch zum Schutz des Publikums.
Dass sich zum Rock ’n’ Roll nicht nur Sex, sondern auch Drugs gesellt haben, das musste das Publikum ebenfalls schon des öfteren in Form abgebrochener Konzerte büßen, ob nun wegen Alkohol- oder Drogenexzessen der Rockstars.
Aber es gibt da auch weitere Gründe, zum Beispiel Bob Dylans tiefe Abneigung, bei seinen Auftritten fotografiert zu werden. Das hat schon zu harschen Ansprachen des Publikums und nicht vollständig gespielten Zugaben geführt.
Helge Schneider pflegt das Image des Kauzes
Oder man denke an die Jazzlegende Keith Jarrett, der auf Huster im Auditorium gnadenlos reagieren konnte, sein Publikum dafür verbal harsch anging, mit dem Abbruch drohte. Das ging so weit, dass sich die Zuhörer und Zuhörerinnen fast nicht mehr trauten, einzuatmen, während der Meister spielte. Auf Fotoaufnahmen reagierte Jarrett ebenfalls allergisch.
Demgegenüber hat sich Helge Schneider wie ein Gentleman von der Bühne verabschiedet – ohne Publikumsbeschimpfung. Die Beziehung zu seinen Fans wird trotzdem belastet. Aber gut möglich, dass ihm, der das Image des Kauzes geradezu pflegt, das als weitere Schrulligkeit durchgelassen wird.
Wenn man als Zuschauer oder Zuschauerin dem kurzen Augsburger Strandkorb-Abend etwas Positives abgewinnen will: Kaum ein Konzert im letzten Monat hat so viel Aufmerksamkeit erzeugt. Dabei gewesen zu sein, es live erlebt zu haben, wie der Künstler die Bühne verlässt und sein vor den Kopf gestoßenes Publikum zurücklässt, das lässt sich danach doch prima erzählen. Viel später gehört man dann auch noch zu den Veteranen und Veteraninnen des denkwürdigen Abends.