Wer vor zehn Jahren eine Prognose hätte wagen sollen, welche Musiker bis 2018 so breit in die hiesige Zuschauergunst vorgedrungen sein würden, dass es bis zum Maximum eines ausverkauften Olympiastadions in München reicht – hätte der auch nur annähernd das tatsächliche Arenaprogramm dieses Sommers erahnen können? Ein Volks-Rock‘n’Roller und eine Schlagerkönigin! Und dazu als einziger von Weltformat: Ein 27-jähriger Brite, der weder schön ist, noch tanzen kann, und der allein mit der Gitarre auf der Bühne netten Neunziger-Jahre-Pop serviert! Willkommen im 21. Jahrhundert, der globalisierten, hoch technisierten, effektmächtig digitalisierten Moderne?
Nach Gabalier und Fischer gleich doppelt ausverkauft waren an diesem Sonn- und Montag die Auftritte des Ed Sheeran. Wie dereinst bei Michael Jackson. Und wen dieser Vergleich des strubbeligen Normalos, der auch in München in T-Shirt, Shorts und Turnschuhen in die Arena latschte, mit dem einst wie ein Außerirdischer einschwebenden Regenten des Pop irritiert – der Kontrast setzt sich im Verglich zu seinen Zeitgenossen fort.
Nur einmal die Superstars genommen, mit den Ed Sheeran in der Zwischenzeit bereits gesungen oder für die er Songs geschrieben hat: Die Boygroup One Direction wurden typengerecht zusammengecastet und zerfleddert nun künstlerischen Ambitionen – Ed Sheeran dagegen nahm vor gut zehn Jahren erfolglos an einem Casting teil und erspielte sich seinen Weg hartnäckig mit dem Singer-/Songwritertalent, das er von frühester Jugend an entwickelt hat. Justin Bieber ist Diva und Unterhosenmodell – Ed Sheeran ist der unrasierte, nette Typ von nebenan, mit dem auch Eifersüchtige ihre Angebetete befreundet sein lassen würden.
Und weiter: Beyoncé sorgt in der Superstar-Ehe mit Jay-Z für einen Wirbel, der nicht selten kalkuliert wirkt, weil die beiden die privaten Konflikte auch musikalisch verarbeiten – Ed Sheeran ist nun halt einfach mit seiner langjährigen Freundin Cherry Seaborn verlobt, mit ihm als öffentlicher Figur hat das nichts zu tun. Eminem provoziert rappend gegen alle Anstandsgrenzen und haut seinen Hörern schon mal explizit politisch um die Ohren, sie könnten nicht gleichzeitig seine Fans und Wähler Donald Trumps sein – Ed Sheeran hält sich an den Ratschlag seines Vaters: nichts über Politik, nichts zu Religion.
Und wenn es bei all jenen Stars immer mehr um Spektakel zu gehen scheint: Ed Sheeran ist quasi das Anti-Spektakel, der Anti-Star. Ganz allein steht er für die gut 100 Minuten am Sonntagabend auf der Bühne Olympiastadion, es ist die Tour zu seinem dritten Album, dem weltweit meistverkauften des vergangenen Jahres, „÷“ (sprich „Divide“). Und natürlich serviert er alle seine Hits: zum Auftakt gleich „Castle On The Hill“, mit „The A-Team“ auch seinen allerersten Treffer, die Groß-Balladen „Thinking Out Loud“ und „Perfect“, „I See Fire“ aus dem „Hobbit“-Film-Soundtrack und die tanzfreudigen „Sing“ und „Shape Of You“. Denn Sheeran kann solche Hits offenbar tatsächlich in Serie schreiben, und er trifft damit die mit dem Popradio der Neunziger sozialisierten Mütter wie die Emotionen aus Youtube ziehenden Töchter.
Aber als Weltpremiere in diesem Maximalformat macht er darüber staunen, wie er beide Sphären ganz allein musizierend auch technisch verbindet. Sheeran nämlich spielt alle Rhythmus- und Melodie-Teile live, aber gleich einem Baukasten in einen mit Pedalen direkt zu bedienenden Speicher ein. Um dann alles – sich selbst als Background-Gesang stimmig bis ins Falsett oder die auf den Gitarrenkopus geklopften Bässe – punktgenau abzurufen. „Loop Station“ heißt das – und im Lauf eines solchen freudig von den Fans gefeierten und besungenen Konzerts lässt sich kaum leugnen, dass auch die Songs wie mit immer dem gleichen System gebaut wirken.
Aber das ist wohl auch die simpele Antwort auf die Frage: Warum Ed Sheeran? Wegen dieses funktionierenden Baukastens der Eingängigkeit. Weil er damit ohne alle PR-taugliche Künstlichkeit und sich selbst verklärende Künstlerattitüde der Barde für die romantischen Sehnsüchte ist. Er macht für sehr viele Menschen auf sehr sympathische Art einfach sehr schöne Musik. Darüber ist er in sehr kurzer Zeit freilich nun auch zum Multimillionär, zum Star geworden – und trotzdem nicht besoffen von seiner eigenen Bedeutung. Von allzu vielen lässt sich das in der Pophitwelt des 21. Jahrhunderts nicht sagen.