Am ersten von gleich zwei ausverkauften Abenden im Münchner Olympiastadion zeigt sich: Ed Sheeran ist ein Phänomen der Popwelt. Sieben Botschaften vom Konzert des 27-jährigen Briten:
Die Antithese zu herrschenden Erfolgsrezepten
Man muss die Lieder von Ed Sheeran noch nicht mal mögen, um ihm dankbar zu sein. Denn wenn der britische Sänger an diesem Sonntagabend um 20.45 Uhr nicht in Star-Limousine und -Kluft, sondern zu Fuß und in T-Shirt, knielangen Hosen und Turnschuhen zu einem seiner gleich zwei ausverkauften Konzerte im Münchner Olympiastadion zur Bühne kommt, steht längst fest: Dieser 27-Jährige, der vor zehn Jahren noch einer Casting-Show gescheitert ist, steht mit seinem inzwischen weltweiten Erfolg für ein großes Trotzdem in der Popwelt. Denn er sieht nicht gut aus, er kann nicht tanzen, sein Sound ist nicht elektronisch und effektvoll aufgemotzt, er bedient nicht die herrschenden Sparten aus R&B/Rap oder Dance – und trotzdem war sein aktuelles Album das weltweit meistverkaufte des Jahres 2017, zieht er mit diesem seit Monaten nun auch im Live-Triumph um die Welt. Und noch dazu steht er nicht mit Tänzern oder einer Monsterbühne vor den gut 60.000 hier in München.
Ed Sheeran ist Ed Sheeran geblieben, was heißt: Er tritt solo auf, (fast) nur mir Akustik-Gitarre und spielt und trommelt und singt die Melodie- und Rhythmus-Teile in eine Loop-Station ein, die er dann mit Pedalen bedienen kann, um zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Versatzstücke unter seinen Gesang zu setzen. So serviert er in gut 100 Minuten eine Auswahl aus Songs seiner bislang drei Alben, ergänzt etwa durch ein Cover des Klassikers „Feeling Good“, den er mit seinem Hobbit-Soundtrack „I See Fire“ glänzend ergänzt.
Die 90er Jahre sind noch nicht vorbei
Mit Ed Sheeran haben sich die großen Popsongs und vor allem die großen Popballaden der Neunziger in neue Jahrtausend fortgepflanzt. Er mag etwa zu „Eraser“ auch rappen – aber von Beginn an (den er mit „Castle On The Hill“ setzt) zeigt sich im folgenden Querschnitt seines Schaffens, dass hier das persönliche, emotionale Songwriting ohne Angst vor Pathos triumphiert.
Ob in „The A-Team“, mit dem er sich an seine Anfänge erinnert, „Dive“, „Bloodstream“, „Happier“ oder später „Thinking Out Loud“, „One“, Photograph“ - es geht um große Gefühle. Und auch wenn sich Ed mal einen Schwenk weg von den Single-Hits erlaubt, weil er es sich angesichts eines ohnehin glücklichen und kundigen Publikums leisten kann, dann wählt er mit „Teneriffe Sea“ gleich noch eine besonders inbrünstige Ballade samt Falsettgesang. Und ohne jede Nervosität, ohne jedes Wackeln – er singt und spielt auf den Punkt.
Ed Sheeran misst sich mit den Größten
Zwei Abende hintereinander hier im Münchner Olympiastadion ausverkauft – das katapultiert den rothaarigen Strubbel in eine Liga mit Superstars wie Michael Jackson. Lediglich Robbie Williams hat gleich drei Show in Serie geschafft. Wo Sheeran aber auch mit ihm an diesem traumhaft milden Sonntagabend in München gleichzieht: Es sind noch Abertausende außen um das Stadion herum unterwegs und füllen etwa den Olympiaberg bis weit unter die bloße Spitze, wie's bei Robbie 2003 in München war. Und zum Partner der US-Superstars ist Sheeran auch längst geworden. Mit Eminem hat er das hübsche „River“ aufgenommen, Beyonce assistiert ihm in einer Version von „Perfect“, das er an diesem Abend aber freilich solo darbietet.
Es sind die Frauen, die ihn groß machen
Natürlich ist der Großteil der Zuschauer ob jünger oder älter jedenfalls weiblich. Und Sheerans Songwiriting entzückt diese ja nicht nur in eigener Sache. Er schreibt zudem etwa für die reichlichst bekreischten One Direction oder auch Justin Bieber. Was nun aber Ed selbst angeht: Manchem mögen die Liebesgeständnisse und Kussszenen, die hier in diesen Songs an einem solchen Abend quasi in Serie beschrieben werden, etwas redundant erscheinen – sein Publikum ist voll bei ihm, singt in ganzen Frauenfangruppen inbrünstig mit und kuschelt mit dem mitgebrachten Schatz.
Und falls jene Herren, die die Frau, oder die „Superdaddys“, die die Tochter begleiten, das was der Ed da singt, eigentlich gar nicht mögen – auch für sie (er schätzt sie auf jeweils ein Prozent) hat er liebevolle Worte, weil sie doch etwas machten, was sie selbst eigentlich gar nicht wollten, aber für die, die sie lieben, eben doch täten. Sehr nett.
Ed Sheeran in München: Stößt er doch an seine Grenzen?
Und auch wenn sich dieser Ed Sheeran sicher ist, dass er gerade im deutschen Publikum ein weltweit einzigartiges habe, weil es einen Musiker wie ihn, habe es ihn einmal ins Herz geschlossen, bis ans Lebenende verehrten, egal, was er aktuell mache und ob er neue Hits fabriziere: Es könnte doch ziemlich interessant werden, wie er mit seinem Solo-Loop-Pop-Rezept weithin verfahren wird. Denn dreimal verlässt er es ja doch an diesem Abend.
Alt ist schon die Ausnahme von „Thinking Out Loud“, das er ganz ohne Loops, dafür aber an einer E-Gitarre begleitet. Als letzten Song vor den Zugaben aber serviert er dann aber auch „Sing“, das tatsächlich ja schon viel mehr nach zeitgenössischen Dance-Rezepten klingt, von denen sonst so fern liegt. Und vor allem lässt sich sein größter Hit, „Shape Of You“, mit dem er die Zugaben dann beginnt, eben nicht mehr mit Loop allein bewerkstelligen, er braucht dafür schon auch einen Synthesizer.
Markiert das eine Grenze? Verlangt das nach mehr Zusatzeinsatz künftig? Oder ist sich dieser 27-Jährige tatsächlich so bewusst über seinen Weg, wie es scheinen könnte? Zum Erscheinen des aktuellen Albums nämlich schon hat er in einem Interview gesagt, dass das sein großes Erfolgsalbum sein wird und dabei wohl nicht von ungefähr auch auf „Shape of You“ gesetzt, das ihm dann ja auch prompt Chartrekorde beschert hat. Und ebenso hat er nun kürzlich eben auch angekündigt, dass sein nächstes Album eben nicht in diese Richtung weitergehen, sondern betont gegen den Chartstrich gehen wird. Kann er tatsächlich so souverän mit seinen Grenzen umgehen?
Daddys Ratschläge sind die besten
In eben jenem Interview hat Ed Sheeran erzählt, wie ihm sein Vater den Rat gab: keine Politik und keine Religion. Das beherzigt der Sohnemann bis heute in geradezu schlagerhafter Reinheit. Von ihm hört man kein Wort über den Brexit oder Donald Trump oder was auch immer. Er erzählt nur von sich und von der Liebe. Oder? Hat er da nicht zur letzten Zugabe, dem für seine Verhältnisse bereits alten, aber mächtig aufdrehenden „You Need Me, I Don't Need You“ nicht passend zum Christopher-Streer-Day die Regenflagge geschwenkt und umgelegt? Und dann auch noch...
Ein Rätsel? Oder ein Witz?
Wie bei allen Deutschlandkonzerten dieser Tour kommt Ed Sheeran auch an diesem Sonntagabend zu den Zugaben statt mit schwarzem T-Shirt wie zuvor nun mit einem Trikot der deutschen Fußball-Nationalmannschaft auf die Bühne. Und das nach dem historischen Desaster bei der WM. Soll das eine Art Solidaritätserklärung sein? Oder ist es gar ein Trikot des ja in England spielenden Özil? Ein Statement. Ach, wahrscheinlich ist das auf so komplizierte Arten grundsätzlich missverstanden und auf die Ed-Sheeran-Art ganz einfach zu verstehen: Es ist, wie alles, einfach nett gemeint.