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Konzert: Dylan in Neu-Ulm: Auftritt eines großen Verweigerers

Konzert

Dylan in Neu-Ulm: Auftritt eines großen Verweigerers

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    Wie seit Jahren ließ Bob Dylan auch in Neu-Ulm nicht fotografieren. Hier, 2011 in Schanghai, beim ersten Konzert in China überhaupt, machte er eine Ausnahme.
    Wie seit Jahren ließ Bob Dylan auch in Neu-Ulm nicht fotografieren. Hier, 2011 in Schanghai, beim ersten Konzert in China überhaupt, machte er eine Ausnahme. Foto: Philippe Lopez, afp (Archiv)

    Am Ende gehen die Meinungen auseinander. Hat er tatsächlich noch „Thank You“ genuschelt, bevor er hinterm Vorhang verschwand, oder ist er nur zum Mikrofon getänzelt/getorkelt und hat geschwiegen wie die 100 Minuten zuvor? Natürlich hat Bob Dylan den Mund aufgemacht und gesungen – oder doch eher gebrummt, geraunt, geknarzt, meistens halb versteckt hinter seinem Flügel. Aber immerhin: Dylan war da, er hat tatsächlich zum ersten Mal in seinem Leben in Neu-Ulm gespielt und die akustisch eigentlich nur für Basketballspiele taugliche Ratiopharm-Arena in einen fast lauschigen, antiquierten Ballsaal verwandelt.

    Es gehört mittlerweile zu den raren Vergnügen, diesen Mann in Aktion zu erleben, das wird nicht jedem zuteil. Das Nobelpreis-Komitee in Stockholm kann davon ein Lied singen, denn das hat ihm zwar die weltweit renommierteste Auszeichnung für Literatur verliehen, ihn allerdings nicht zu Gesicht bekommen. Insofern können sich an diesem Abend die knapp 4000 Menschen in Neu-Ulm deutlich glücklicher schätzen als die schwedische Akademie, der er zur Preisverleihung nur einen Text schickte, den dann die US-Botschafterin vortrug. Aber eigentlich war das ja die falsche Ehrung. Denn Dylan hat sich zeit seines Lebens zwar viele gute Texte ausgedacht, doch er hat in erster Linie Lieder geschrieben, die unbedingt zum Weltkulturerbe gehören. Sein Einfluss auf die Rockmusik kann einfach nicht überschätzt werden. Als er 1965 beim Newport Folk Festival zum ersten Mal mit E-Gitarre auftrat und die Wandergitarren-Puristen das als Sündenfall verfluchten, war das der Brückenschlag von der alten Welt des Folk zum neuen, elektrifizierten Zeitgeist. Unglaublich viele Bands haben seither Stücke von Dylan gespielt. Ohne ihn würde die Rockmusik vielleicht nicht komplett anders klingen, sie wäre aber definitiv ärmer.

    Aufs Great American Songbook verstehen sich andere besser

    Der Mann kann also für seine Auftritte aus einem unglaublich tiefen Brunnen voller Songs schöpfen. Doch was er bei seiner aktuellen Tournee auf die Stückeliste geleert hat, ist nicht unbedingt das, was die breite Mehrheit glücklich macht, die endlichen mal IHN sehen wollte, weil er in ihrem Leben immer irgendwie da war, aber nie in der Nähe gespielt hat. Der große Verweigerer möchte nicht mehr die Songs spielen, die schon seit 40, 50 Jahren an den Lagerfeuern dieser Welt erklingen. Ein Viertel des Abends bestreitet er allein mit Material von „Tempest“ aus dem Jahr 2012, drei Lieder sind Coverversionen, die eigentlich andern Künstlern gehören, etwa Yves Montand („Autumn Leaves“) oder Frank Sinatra („Melancholy Mood“). Das konnten die Originale ungleich besser singen, wobei sich Dylan bei „Once Upon A Time“ von Tony Bennett ausgesprochen achtbar schlägt, gemessen an seiner in 76 Lebensjahren aufgebrauchten Stimme. Es ist seine etwas steife Verbeugung vor dem Great American Songbook, in dem sich die größten Unterhaltungskünstler der USA verewigt haben.

    Mit Rock und Folk hat das nichts zu tun, aber das interessiert jemanden wie Dylan nicht mehr. Er lebt in seiner eigenen Welt und inszeniert sich zeitlos. Mit seiner fünfköpfigen Band tritt er vor einem gewaltigen dunklen Vorhang auf, an dem klobige, aus der Zeit gefallene Riesenscheinwerfer herunterhängen. Das Licht ist warm und stets ein wenig schummrig. Es wirkt fast, als würde hier eine Tanzband zum Nostalgieabend aufspielen. Der Klang ist fein austariert, verhältnismäßig gedämpft und von einem Hauch Barjazz umweht. So klingt auch ein Auftritt von Norah Jones: unaufgeregt und herzerwärmend. Wobei dieses Konzert in Neu-Ulm einen nicht unbedingt packt.

    Dabei ist es gut, besser als erwartet. Dylans Band rund um seinen Meistergitarristen Charlie Sexton spielt sauber und stimmig, dazu greift der Meister in die Tasten. Die Gitarre, also das Instrument, mit dem er seinen Ruhm begründet hat, überlässt er anderen.

    Das Publikum lauscht ergriffen und konzentriert – was soll es auch anders tun, wenn das Hantieren mit dem Handy streng untersagt ist und die Musik eher zum entspannten Fußwippen animiert. Nur selten verbreiten ein paar Blues-Riffs wie in „Early Roman Kings“ ein wenig Rock-Stimmung oder wird das Tempo angezogen wie bei „Thunder On The Mountain“.

    In der Zugabe lässt Dylan seine Fans ratlos zurück, denn sein allergrößter Hit „Blowin’ In The Wind“ lässt sich nur an wenigen verständlichen Worten identifizieren. Die Melodie? Der verweigert sich Bob Dylan, ebenso wie den Ansagen, einer Begrüßung und einer Verabschiedung. Aber: Erscheinungen kommunizieren eben nicht mit Normalsterblichen.

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