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Kommunikation: Vom Verschwinden der Telefonzelle

Kommunikation

Vom Verschwinden der Telefonzelle

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    Das Verschwinden der Telefonzellen wirft ein grelles Schlaglicht auf die Revolution der Telefonie, die nicht nur unser Kommunikationsverhalten verändert hat, sondern auch unsere Ortsbilder.
    Das Verschwinden der Telefonzellen wirft ein grelles Schlaglicht auf die Revolution der Telefonie, die nicht nur unser Kommunikationsverhalten verändert hat, sondern auch unsere Ortsbilder. Foto: Teresa Winter (Symbol)

    Dass man zumindest noch ein bisschen Saft im Akku braucht, um auf der Stelle zu telefonieren oder eine Sprachnachricht zu verschicken, weiß jedes Schulkind.

    Aber Münzen? Kleingeld? Und dann auch noch eine freie Kabine? Hoffentlich mit noch nicht herausgerissenem Telefonbuch … Wie verrückt ist das denn?

    Vor 20 Jahren gab es noch 170.000 Telefonzellen - und heute?

    Gerne würde man heute den Kindern anschaulich zeigen, wie Telefonieren von unterwegs jahrzehntelang ablief. Also, kommt mal mit, wir suchen jetzt so ein Häuschen mit rosa Haube auf, hoffen, dass nicht schon jemand drin steht, befühlen noch mal die Münzen in der Hosentasche, also da, wo eigentlich das Handy steckt …

    Problem: Finden Sie heute mal eine Telefonzelle. Egal, ob gelb oder magenta. Da läuft man sich die Hacken ab, bis das Handy 100.000 Schritte meldet. Es gibt sie praktisch nicht mehr. Um die 15.000 öffentliche Fernsprecher sollen angeblich noch herumstehen auf deutschem Boden – in einem Land, das 357.386 Quadratkilometer groß ist. Mitgezählt sind dabei schon die Stehsäulen mit der kleinen Seitenscheibe, sogenannte Basistelefone, die sich im Vergleich zum Telefonhäuschen ausnehmen wie ein Besenstil zum Laubbaum.

    Am Rathaus in Bächingen (Kreis Dillingen) steht nach wie vor ein sogenanntes Basistelefon.
    Am Rathaus in Bächingen (Kreis Dillingen) steht nach wie vor ein sogenanntes Basistelefon. Foto: Andreas Schopf (Symbol)

    Vor 20 Jahren waren es noch mehr als zehnmal so viele Zellen, um die 170.000 nämlich. Das Verschwinden der Telefonzellen (die Geschichten über Dörfer, die um ihre letzte Telefonzelle kämpfen, vergilben auch schon im Archiv) wirft ein grelles Schlaglicht auf die Revolution der Telefonie, die nicht nur unser Kommunikationsverhalten binnen 25 Jahren verändert hat, sondern auch unsere Ortsbilder.

    Auch ohne Telefonzellen wird nach wie vor draußen telefoniert

    Denn die Telefonzelle gehörte wie Briefkästen, Litfaßsäulen und Parkbänke einmal zur Grundausstattung des öffentlichen Raums. In seinem 2020 erschienenen Buch "Bedeutsame Belanglosigkeiten" schreibt der Architekt und Stadtwissenschaftler Vittorio Magnago Lampugnani: "Es fällt nicht leicht, die Telefonzelle aus unseren Städten wegzudenken. Sie ist mit deren Bild zusammengewachsen." Das gilt für unsere klassischen gelben Häuschen und noch mehr für die roten Telefonzellen in London. Vorbei. Rausgerissen aus dem Bild. Die verglasten Turmzimmer, intime Stehplätze im Straßenraum, wurden zuletzt wenn überhaupt fast nur noch von Vandalismus heimgesucht.

    Draußen telefoniert wird ja nach wie vor. Mehr denn je. Bloß anders. Und vor allem: woanders. Unbehaust. Überall. Im Gehen. Im Stehen, im Liegen, im Sitzen. Durch das Handy und seine enorme Verbreitung ist Telefonieren inzwischen vollkommen ortsunabhängig und beiläufig geworden. Dauernd quasselt einer in Rufweite, in der Telefonzellenära hätte man sich von Leuten in Selbstgesprächen umzingelt gewähnt. Seit es Prepaid-Karten gibt, kommen ja nicht einmal mehr Erpresseranrufe aus Telefonzellen. Wo die überhaupt noch stehen, stehen sie leer. Verwaiste Refugien im öffentlichen Raum, Aquarien, gemieden selbst von stummen Fischen.

    Bringt eine Telefonzelle weniger als 50 Euro Umsatz im Monat, wird sie abgebaut

    Es ist ein bisschen wie mit den Tante-Emma-Läden und den Discountern. Irgendwie schön und wichtig, wenn es sie gibt. Aber sein Kleingeld trägt man woanders hin. Telefonhäuschen sind eine nicht mehr angenommene Einladung zur Privatheit, zur Intimität auf einem Quadratmeter. Man könnte sich ja auch mit seinem Handy hineinstellen … Macht kein Mensch. Das entblößte Reden stört heute niemanden mehr. Diskretion? Diese Leitung ist tot. Lampugnani schreibt: "Die Mobiltelefone und der rücksichts- und schamlose Gebrauch, der von ihnen gemacht wird, stellen den Endpunkt der Evolution des telefonierenden Menschen dar von einem zurückhaltenden, respektvollen, ja scheuen Wesen zu einem ungehemmten Exhibitionisten."

    Die Deutsche Telekom (in der Blütezeit der Telefonzellen hieß sie Deutsche Post) doziert kühl: Der Kunde entscheidet. "Der Kunde ist der Architekt des Telefonzellen-Netzes." Und der Kunde wirft nichts mehr ein und damit werfen die Telefonzellen auch nichts mehr ab. Bringt eine Zelle weniger als 50 Euro Umsatz im Monat, wird sie abgebaut. Die ausrangierten Kabinen lagern in Michendorf in Brandenburg. Man kann sie kaufen. FeH 78 aber, die gelbe Zelle, ist als Kultobjekt längst vergriffen – sie steht als Design-Totem im Loft, dient als Schuppen oder Dusche in Kleingärten. Viele Zellen sind umgenutzt als öffentliche Bücherschränke.

    Private Gespräche waren früher nur in der Telefonzelle möglich

    In der Telefonzelle war man wie im Raumschiff. Anonym, allein mit dem Klang der Worte, die aus dem Hörer kamen, während draußen Regenrinnsale die Scheiben hinab rannen und Leute in Taxis am Taxistand einstiegen. Nachts, wenn die Zellen erleuchtet waren wie Vitrinen voller Versprechen, fühlte man sich nirgendwo geborgener als an diesem Ort. Und, Kinder mit euren Smartphones, ihr müsst wissen: Wer privat telefonieren und nicht von den Eltern belauscht werden wollte, der hatte immer die Telefonzelle als anonymen Ort. Manchmal brauchte man Geduld: Wenn die Zelle schon besetzt war und endlose Gespräche geführt wurden. Dann stand man draußen wie ausgesperrt. Machtlos, entnervt.

    Die Telefonzellenalltagskultur, das Hochwuchten der Telefonbücher, das Blankreiben von Münzen, die durchrasselten, der schwer in der Hand liegende grauschwarze Hörer … "Gerade Menschen, die in den 1960er Jahren oder früher geboren sind, verbinden entscheidende Momente ihres Lebens mit Telefonzellen", sagt die Kulturwissenschaftlerin Lioba Nägele vom Frankfurter Museum für Kommunikation. "Noch 1963 haben nur 14 Prozent der Haushalte über ein eigenes Telefon verfügt. Private Gespräche waren nur in der Telefonzelle möglich", sagt Nägele. "Moderne Beichtstühle" wurden Telefonzellen früher genannt. Auch so ein Auslaufmodell.

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