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Kommentar: Europa darf keine Union von Kunsträubern sein

Kommentar

Europa darf keine Union von Kunsträubern sein

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    Drei Raubkunst-Bronzen aus dem Benin in Westafrika.
    Drei Raubkunst-Bronzen aus dem Benin in Westafrika. Foto: Daniel Bockwoldt, dpa

    Dass es zwei Generationen dauerte, bis die Wiedergutmachung an den Opfern nationalsozialistischer Kunst-Raubzüge in Gang kam, beweist, wie monströs Hitlers System nachwirkte: Bis kurz vor die Jahrtausendwende, ja bis zum Schwabinger Kunstfund, dem Fall Gurlitt, hielt sich der Wille öffentlicher Sammlungen, geschehenes Unrecht wenigstens ansatzweise an den Erben der Opfer zu heilen, deutlich in Grenzen. Ignoranz gehörte zur Grundhaltung, auch grundsätzliches Infragestellen, Auf-Zeit-Spielen, (Informations-)Blockade.

    Als die Staatsanwaltschaft 2012 die Wohnung von Cornelius Gurlitt durchsuchte, fand Sie über 1500 Kunstwerke - darunter Gemälde von Monet und Picasso.
    Als die Staatsanwaltschaft 2012 die Wohnung von Cornelius Gurlitt durchsuchte, fand Sie über 1500 Kunstwerke - darunter Gemälde von Monet und Picasso. Foto: Barbara Gindl, dpa (Archiv)

    Es waren dieselben Verhaltensweisen, die für Jahrzehnte auch noch weiter zurückliegende – tatsächliche oder potenzielle – Völker-Unrechte nur unzulänglich wahrnehmen wollten – öffentlich schon gleich gar nicht: jenen Abtransport und jenen weltweiten Verschiebebahnhof von Kultobjekten, (Teil-)Heiligtümern, Kunstwerken aus ehemaligen Kolonien.

    Die Benin-Bronzen sind ein Symbol für die geraubte ethnische Kunst

    Großbritannien stand und steht da von jeher schwer unter Beobachtung, ja Beschuss, nicht nur, was seine einstigen Kolonien anbelangt – auch was aus Griechenland mehr oder weniger krumm entfernte Artefakte betrifft. Deutschland steht kaum besser da und profitiert bis heute vom seinerzeit einnehmenden britischen Wesen: etwa in Form der Ägineten-Giebelfriese in der Münchner Glyptothek, die 1811/1812 erst einmal in britischen Gewahrsam auf Malta genommen wurden, bevor sie Ludwig I. kaufen konnte.

    Drei Raubkunst-Bronzen aus dem Benin in Westafrika.
    Drei Raubkunst-Bronzen aus dem Benin in Westafrika. Foto: Daniel Bockwoldt, dpa

    Mehr noch in Form der sogenannten Benin-Bronzen aus dem einstigen afrikanischen Königreich Benin, heute Nigeria zugehörig. Diese Benin-Bronzen, 1897 in einer kolonialen Vergeltungsaktion durch die Briten gebrandschatzt und weiterverkauft in alle Welt, sind heute quasi Symbol und Mahnmal für alle, auch von Deutschland geraubte und/oder abtransportierte ethnische Kunst.

    Viele hundert Benin-Bronzen befinden sich allein in Deutschland, vorrangig in Berlin. Dort war es die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy, die im ausgedehnten Vorfeld der anstehenden großen Eröffnung des Humboldt Forums hartnäckig geschichtliche Hintergründe offenlegte – und jene Abblock-Taktiken, mit denen die Rückgabe so vieler Objekte der „tribal art“ bislang verhindert wurde. Das ist ihr Verdienst. Und wenn auch noch kein Durchbruch für eine allseits planmäßig verfolgte Restitution kolonialer Raubkunst erzielt ist: Beispiele von Rückgaben aus Frankreich und Deutschland an ehemalige Kolonialländer, die um ihre nationale Identität ringen, gibt es. Auch Deutschland wird Benin-Bronzen zurückgeben, das ist nur noch eine Frage der Zeit.

    Jedes Kunstwerk muss einzeln geprüft werden

    Dabei gilt aber auch: Der grundsätzliche Durchbruch zu Rückgaben jedweder kurzerhand abtransportierter Artefakte ist aus etlichen Gründen gar nicht erstrebenswert.

    Dazu zählt die eingehende historische Prüfung, ob ein Objekt einst nicht vielleicht auch rechtlich einwandfrei den Eigentümer wechselte. Jede Inbesitznahme ist einzeln zu betrachten, jeder Fall liegt anders. Dazu zählt zudem das längst international verbreitete Bewusstsein, dass Beispiele herausragender Kunst der Menschheitsgeschichte nicht nur an ihrem Ursprungsort zu sehen sein sollten; und dazu zählt auch der Verstand, dass besagter Ursprungsort nicht alleiniges Kriterium für eine Rückgabe sein kann.

    Sonst müsste auch jene im 13. Jahrhundert in den venezianischen Markusdom eingebaute Tetrarchengruppe – sowie die berühmten vergoldeten Pferde-Bronzen – in das einst geplünderte Konstantinopel, heute Istanbul, zurückgegeben werden – und von dort aus, im Falle der Tetrarchen, womöglich weiter nach Izmit oder gar Ägypten. Der Rückgaben wäre kein Ende in der Welt.

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