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Kommentar: Es wird ein Trauerspiel geben für unsere Kulturnation

Kommentar

Es wird ein Trauerspiel geben für unsere Kulturnation

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    Staatsoper Unter den Linden: Alle geplanten Veranstaltungen in den großen Sälen der staatlichen Theater, Opern- und Konzerthäuser in Berlin werden abgesagt.
    Staatsoper Unter den Linden: Alle geplanten Veranstaltungen in den großen Sälen der staatlichen Theater, Opern- und Konzerthäuser in Berlin werden abgesagt. Foto: Paul Zinken, dpa

    Es wird dauern, aber es wird der Tag kommen, an dem die Corona-Seuche – unter welchen Opfern auch immer – überwunden ist. Aber wenn dieser Tag anbricht, wird die reiche, vielfältige Szene der Kulturnation Deutschland mit ihrer außerordentlich hohen Dichte an Theatern, Museen, Orchestern, Kunstvereinen und Kinos deutlich zusammengesackt und verarmt sein. Zusammengesackt und verarmt trotz mutmaßlicher Staatshilfen vor allem innerhalb jener alternativen Bühnenszene mit vielen freien Künstlern, in der sowieso schon von der Hand in den Mund gelebt und gearbeitet wurde, in der innerer Überzeugung gemäß Kunst und Kultur um der Sache willen geschah – selten in der Hoffnung, damit Rücklagen bilden zu können, gar großen finanziellen Gewinn zu machen.

    Es wird ein Trauerspiel geben; nur die Widerstandsfähigen werden überleben, viele werden kapitulieren und andere Arbeit annehmen müssen. Selbst die professionellen Bühnenkünstler, die jetzt noch Ein- oder Zweijahresverträge haben, werden damit rechnen müssen, allenfalls Projektverpflichtungen von städtischen Bühnen, Landes- und Staatstheatern angeboten zu bekommen, da drastisch gespart werden muss, weil damit zu rechnen ist, dass in großem Einverständnis zwischen Politik und Volk erst einmal anderes vorrangig ist.

    Auswirkungen von Corona: Selbst festangestellte Künstler müssen mit Einschnitten rechnen

    Etwa der Aufbau eines Gesundheitssystems, das in personeller und technischer Ausstattung nicht auf Kante genäht ist. Kleinere öffentlich geförderte Bühnen und Orchester schrumpften und starben in den vergangenen 30 Jahren allein schon durch die finanziellen Folgen der Wiedervereinigung; blauäugig wäre die Annahme, nach Corona komme es anders. Selbst fest angestellte Künstler im Öffentlichen oder öffentlich-rechtlichen Dienst (Rundfunkanstalten!) werden mit Einschnitten rechnen müssen.

    Das Coronavirus wirkt sich auf zahlreiche Kulturbetriebe im In- und Ausland aus.
    Das Coronavirus wirkt sich auf zahlreiche Kulturbetriebe im In- und Ausland aus. Foto: Robert Jaeger, dpa

    Wie aber wohl wird der Tag der Corona-Überwindung aussehen? Wird es gleichsam so sein, dass die Menschen – wie nach dem Zweiten Weltkrieg geschehen – Kohle in den Konzertsaal mitbringen, da sie kulturell ausgehungert sind und solidarisch anpacken, um Bach und Beethoven tatsächlich zu erleben – und nicht nur per Konserve zu hören? Wird dann erst mal landauf, landab Sophokles’ „Ödipus“ auf dem Spielplan stehen? Weil wir uns nämlich – wie der König von Theben – durch eine Seuche veranlasst sehen, unsere eigene Vergangenheit und Verantwortung kritisch unter die Lupe zu nehmen.

    Nie waren die Künste wichtiger für die Gesellschaft

    Bis besagter Tag gekommen ist, wird jedenfalls auf jene Momente zu verzichten sein, in denen von einem Auditorium der Fall einer Stecknadel gehört werden würde, und jene Momente, da ein kollektives Glücksstöhnen unüberhörbar ist, weil das Intro zum beliebtesten unter allen beliebten Songs einer Sängerin angestimmt wird.

    Diese unmittelbaren Momente werden, bis der Tag kommt, nicht zu erleben sein – stattdessen nur mittelbare, verkleinerte, neutralisierte, eindimensionale Kunst auf dem Bildschirm und Screen. Aber auch ohne direkte Aura: Seien wir froh, dass wir jedenfalls das haben – gestreamt vom Club bis zur Staatsoper als praktische Lebenshilfe und sinnvolle, ja bildende Beschäftigung zu Hause – im Übrigen unter Verzicht auf Urheber- und Leistungsschutzrechte!

    Nie seit den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Künste wichtiger für die Gesellschaft – und dies nicht nur hierzulande. Weniger, weil die Künste in tragischer Situation – bedingt – trösten können, sondern viel mehr, weil sie in zerstörerischer Zeit mit ihren wie auch immer gearteten Schönheiten traditionell für das Konstruktive der conditio humana stehen.

    Über alle Entwicklungen rund um das Coronavirus informieren wir Sie in unserem Live-Blog.

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