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Kommentar: Die Kirche muss sich der Zukunft öffnen

Kommentar

Die Kirche muss sich der Zukunft öffnen

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    Die Austrittszahlen aus der Kirche sind auf einem Rekordhoch.
    Die Austrittszahlen aus der Kirche sind auf einem Rekordhoch. Foto: Alexander Kaya

    Nach der Logik der Statistik werden die beiden großen Kirchen in Deutschland irgendwann aufhören zu existieren. Ein jährlicher Aderlass von inzwischen einer halben Million Mitglieder kann selbst mit kühnsten Wachstums- und Werbestrategien nicht mehr wettgemacht werden. Die katholische und die evangelische Religionsgemeinschaft werden – so sehr man es bedauern mag – unweigerlich immer kleiner. Es ist zu erwarten, dass sich die Krise jetzt immer mehr verschärft.

    Eine Prognose der Universität Freiburg kam 2019 zu dem Schluss, dass sich ihre Mitgliederzahlen bis zum Jahr 2060 halbieren werden. Damit wird den Kirchen deutlich weniger Geld zur Verfügung stehen, um den Betrieb aufrechtzuerhalten. Sie werden ihr Personal reduzieren, ihre Gebäude zum Teil verkaufen und ihre Einrichtungen auf ihre wirtschaftliche Tragfähigkeit hin prüfen müssen. All dies ist in einigen jetzt schon darbenden Regionen bereits in Gang gesetzt worden.

    Warum wenden sich die Deutschen von den Kirchen ab? Darüber gibt es viele Vermutungen. Sicher ist im Wohlstand die Angefochtenheit der menschlichen Existenz weniger spürbar. Man kann es sich scheinbar leisten, ohne jenseitige Versicherung zu leben. Und es sieht nicht danach aus, dass die Corona-Pandemie daran etwas ändert. Sicher wirkt sich auch der Drang zur Individualisierung auf die Bereitschaft aus, sich an Institutionen zu binden. Das gilt für Kirchen genauso wie für Parteien, Vereine oder Gewerkschaften. Das heutige Freiheitspathos duldet keine vorgegebenen Normierungen.

    Krise der Kirche: Stromlinienförmige Gefolgschaft war gestern

    Man würde es sich zu leicht machen, dies als üblen Zeitgeist abzutun, dem die verbliebenen Gläubigen umso standhafter widerstehen sollten. Konservative raten der Kirche, sich auf die übernatürliche Botschaft zu konzentrieren, aus den Weltdingen tunlichst herauszuhalten und treu zum Althergebrachten zu stehen. Aber auch die Kirchen werden von den Zeitströmungen erfasst und müssen darauf reagieren, um nicht Gefahr zu laufen, die Menschen zu verlieren. Der neue Augsburger Bischof Bertram Meier wird nicht müde zu betonen, dass Kirche sich der Zukunft öffnen soll und Schritt halten mit den Menschen.

    Tatsächlich haben beide Kirchen Reformprozesse aufgegleist, um verlorene Glaubwürdigkeit wieder zu gewinnen und mit ihren seelsorglichen Diensten näher an den Menschen zu sein. Speziell die katholische Kirche ist dabei jedoch in ihrer Tradition gefangen. Trotz der Erschütterungen durch den Missbrauchsskandal ist der Klerikalismus nicht überwunden. Während coronabedingt die Gotteshäuser geschlossen waren, zelebrierten die Priester munter für sich allein. Als bräuchten sie keine Gemeinde. Wen wundert es, wenn sich die Gläubigen dann zurückziehen?

    Religion muss sich um jede Seele bemühen

    Während des Shutdown haben etliche Katholiken entdeckt, dass sie sich geistlich auch selbst versorgen können. Hier muss dringend ein neues Miteinander einziehen, dass fürs Religiöse künftig eben nicht nur der Pfarrer zuständig ist. Ein heikler Punkt dabei ist das Verhältnis der Kirche zu den Frauen. Wann finden sie katholischerseits endlich Anerkennung mit der Befugnis zum Predigen und zum Segnen (etwa der Kranken)? Davon hängt durchaus einiges ab.

    Stromlinienförmige Gefolgschaft war gestern. Heute muss sich die Religion um jede Seele bemühen. Zeitgenossen fragen: Was bringt mir die Kirche? Wo sie im Ritualisierten erstirbt, wird sie nicht überzeugen. Im Glauben muss ein echter Mehrwert stecken. Er muss mich aufrichten, trösten, ermutigen, inspirieren. Biblische Erzählungen gilt es, im Heute zu verankern. Dafür genügt kein einsamer Prediger, es braucht das ganze Volk Gottes.

    Lesen Sie dazu auch: So viele Kirchenaustritte in Bayern wie nie: Ein Land verliert seinen Glauben

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