Corona-Regeln: Die Bürger nehmen sie nicht mehr so ernst

11.01.2021

Seit neun Monaten herrscht der Corona-Ausnahmezustand, nur greifen die Verordnungen nicht mehr so wie zu Beginn der Pandemie. Was läuft da falsch?

In den Mund will man das Wort seit Monaten nicht nehmen. Man sagt, der Staat regiert gerade auf Basis des Infektionsschutzgesetzes, aber im Grunde müsste man das schlicht und einfach Ausnahmezustand nennen, herbeigeführt nicht durch einen Krieg, sondern durch eine Epidemie. Die Regierung müsste in diesem Notstands-Modus keine Rücksicht mehr auf die Parlamente oder die Ansichten der Opposition nehmen, sie kann per Verordnung sogar Grundrechte drastisch einschränken.

Der Staat regiert gerade direkt ins Privatleben der Menschen hinein

Der Ausnahmezustand ist das äußerste Mittel, zu dem der Staat greifen kann, nie ist die Demokratie der Diktatur näher als dann. Der große Unterschied ist, dass in der Demokratie dieses Regieren per Verordnung nur so lange möglich ist, wie der Grund für den Ausnahmezustand gegeben ist.

Gleichzeitig kann man beobachten, dass sich mehr Menschen ihre Freiheiten einfach nehmen, dass mit laufender Dauer der Maßnahmen deren Effekte sich abschwächen – nicht nur in Deutschland, auch in anderen europäischen Ländern. Die gleichen Corona-Regeln führen im Winter anders als im Frühjahr zu einem geringeren Rückgang an Corona-Infektionen. Die Kontakte, die noch erlaubt sind, werden stärker wahrgenommen, das, was verboten ist, nicht mehr so stark befolgt – mit dem Ergebnis, das nun der Lockdown weiter verschärft wird.

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Eine breite Mehrheit steht hinter den Maßnahmen der Bundesregierung, aber es sind nicht mehr ganz so viele wie im Frühjahr. Es gibt jetzt Bilder wie von den überlaufenen mitteldeutschen Skigebieten und Meldungen, dass die Polizei Silvesterpartys ausgehoben hat. Und ob sich an Weihnachten alle an die Vorschriften gehalten haben?

Der Staat regiert gerade direkt ins Privatleben der Menschen hinein, bestimmt, wie viel Kontakt erlaubt ist und wie viel nicht, verbietet es, nachts die Wohnung zu verlassen. Und dann gibt es diejenigen, die das Erlaubte ganz ausreizen, und die anderen, die sich bewusst über die Verordnungen hinwegsetzen, frei nach dem russischen Sprichwort „Der Himmel ist hoch und der Zar ist weit“. Was der Zar nicht sieht, interessiert ihn nicht und spielt auch ansonsten keine Rolle.

Dem Virus ist der Widerstand gegen Verordnungen egal

So drastisch die staatlichen Verordnungen auch sein mögen, so sehr sich das nach einem Zwang anfühlt, den man gemeinhin mit diktatorischen Systemen in Verbindung bringt, gibt es da einen Unterschied. So absurd manche Corona-Regeln in speziellen Situationen wirken – etwa bei einem einsamen Fußgänger in einem Gebiet, wo die Maskenpflicht gilt –, so sehr haben all die Verordnungen doch einen Grund und ein Ziel: die Corona-Pandemie aufzuhalten.

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Sich einfach über die Verbote hinwegzusetzen und dabei wie ein Freiheitskämpfer in einer Diktatur zu fühlen, ist eine Anmaßung gegenüber denen, die das tatsächlich in einer Diktatur machen. Der Gegner ist ja nicht der Staatsapparat, der außer Kontrolle geraten ist, sondern das Virus. Es macht einen Unterschied, ob es heimliche Partys, Gottesdienste mit engem Körperkontakt und Freundestreffen im großen Stil gibt: Die Pandemie verbreitet sich vor allem durch Superspreader-Events. Wenn es ungünstig läuft, reicht ein Erkrankter, um zig Menschen anzustecken. Ein paar Tage später taucht das in den Corona-Statistiken auf.

In Bezug auf Corona lässt sich „Der Himmel ist hoch und der Zar ist weit“ nicht sagen. Dem Virus sind Politik und Widerstand gegen Verordnungen egal, es reproduziert sich, nutzt dazu jede sich bietende Gelegenheit und kann zu tödlichen Krankheitsverläufen führen. Wer diesen Kreislauf unterbrechen will, muss Kontakte reduzieren, Maske tragen, wo es nötig ist – und auf einen schnellen Impftermin hoffen.

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