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Kommentar: Auf Pioniere folgen Touristen, ob auf den Bergen oder im All

Kommentar

Auf Pioniere folgen Touristen, ob auf den Bergen oder im All

Richard Mayr
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    Touristen warten vor dem Matterhorn auf den Zug der Gornergratbahn.
    Touristen warten vor dem Matterhorn auf den Zug der Gornergratbahn. Foto: Jean-Christophe Bott, dpa

    Die Berge sind nicht nur schön, sie ziehen die Menschen als Ausflugsziel nicht nur magisch an, sie sind auch ein guter Spiegel, um gesellschaftliche Phänomene beobachten zu können. Ob es nun die Gipfel vor unserer Haustüre oder aber die Bergriesen im Himalaja sind. Diese höchsten Punkte der Erde dort waren ja die letzten unberührten Flecken Natur, die letzten Orte, die noch nie ein Mensch zuvor betreten hatte. Während schon an den Raketen geforscht wurde, mit denen später die ersten Menschen zum Mond gelangten, bestiegen Extrem-Alpinisten in den 1950er und 1960er Jahren die Achttausender dieser Erde und schoben die Grenze des Erreichbaren tatsächlich ins All hinaus.

    Heute, 70 Jahre später, sind aus den Expeditionen an die Ränder der Welt touristische Unternehmungen geworden, stehen die Menschen Jahr für Jahr am Gipfel des Mount Everest Schlange, um den Rekord aus Stein im eigenen Leben zu verankern. Dass es private Raumfahrtunternehmen gibt, die bald das All touristisch erschließen wollen, erscheint da fast schon zwingend logisch.

    Heute geht es Spitzenbergsteigern nicht mehr um das Ob, sondern das Wie

    Die Grenzen des Alpinismus sind innerhalb von 200 Jahren immer weiter verschoben worden. Damals langte es, den Gipfel der Zugspitze zu erreichen. Später mussten es die steilsten Felswände der Alpen sein, in denen Extremalpinisten ihr Können zeigen konnten. 1938 gelang es Heckmair, Harrer und Co. in drei Tagen, die Eiger-Nordwand erstmals zu durchsteigen, damals ein Himmelfahrtskommando, dem zuvor viele Bergsteiger zum Opfer gefallen sind. Heute geht es Spitzenbergsteigern nicht mehr um das Ob, sondern das Wie, etwa die schnellste Zeit für eine Eiger-Nordwand-Besteigung zu erzielen. Der Rekord liegt bei etwas mehr als zwei Stunden und zwanzig Minuten.

    Von Bergerlebnis kann da niemand mehr sprechen. Es geht dann um einen maximal austrainierten Körper, um perfekte Technik, auch einen perfekten Tag, an dem alles passt – mit dem Tunnelblick geht’s in die Wand. Der Berg dient als Kulisse für Extremsport.

    Was auf der Strecke bleibt bei der Hatz nach den Einträgen in die Geschichtsbücher, ist die Erfahrung der Natur. Ob nun bei Messners Alleingängen am Berg, die er als große Selbsterfahrungserlebnisse beschrieben hat, oder bei Tempo-rekorden. Es geht darum, sich als Mensch gut zu fühlen, sich neu zu erfahren, mit sich etwas Unvorhergesehenes zu veranstalten. Den Bergen fällt dabei der Rang einer spektakulären Kulisse zu.

    Wer bringt den Millionen von Touristen bei, tatsächlich anzukommen?

    Diese Entwicklung ist nicht nur unter Spitzenalpinisten anzutreffen, sondern auch bei normalen Alpintouristen, denen nur Berg längst zu langweilig geworden ist. Die Palette an Unternehmungen im Freizeitpark Alpen ist lang: vom Gleitschirmflug bis zu den Flying-Foxes-Abfahrten, von alpinen Kletterrouten bis zu immer neuen Klettersteigen.

    Erst kommen die Pioniere, die hinter die Grenze blicken wollen, später folgen die vielen Touristen, mit all den Folgeerscheinungen, die das hat. Dieses Muster findet sich in vielen anderen touristischen Bereichen wieder. Erst ziehen die exotischen Orte Abenteurer an, später Individualreisende, dann die Pauschaltouristen. Es ist spielend einfach geworden, eine Flugreise zu den fernsten Orten der Erde zu buchen. Aber wer bringt den Millionen von Touristen heutzutage bei, dort tatsächlich anzukommen?

    Die Berge würden es einem einfach machen. Sie rennen nicht fort. Sie sind (aus unserer Perspektive) immer schon da. Wir müssen uns nur hinsetzen und anfangen, sie anzuschauen und abzuwarten, was passiert – bis etwas passiert, einfach nur schauen.

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