„Sieh nicht weg!“, hatte die Tante den kleinen Neffen stets aufgefordert. Nun wird sie gewaltsam in den Krankenwagen gezerrt und schon bald zum Opfer des NS-Euthanasieprogramms. Der Junge sieht hin, hält jedoch die leicht gespreizte Hand eine halbe Armlänge vor die Augen. Die grausame Realität dahinter bleibt sichtbar, aber ihre Konturen verschwimmen.
Florian Henckel von Donnersmarck hat diese Szene in seinem neuen Film „Werk ohne Autor“ als Schlüsselmoment ausgewiesen. Sie belegt einerseits die traumatische Erfahrung, die den Jungen und späteren Maler Kurt Barnert ein Leben lang verfolgen wird. Zum anderen zeigt sie mit dem Blick durch die gespreizte Hand, wie durch den künstlerischen Eingriff die schmerzhaften Wirklichkeitserfahrungen kompensiert werden. Oscar-Preisträger Donnersmarck („Das Leben der Anderen“) macht sich in seinem 188 Filmminuten umfassenden Werk auf die Suche nach den Quellen des künstlerischen Schaffens und er tut dies vor dem Hintergrund der gewalttätigen deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Als eigener Quell der Inspiration diente ihm dabei die Biografie des Malers Gerhard Richter.
Technische Perfektion soll inhaltliche Schlichtheit überdecken
Der Film beginnt mit einem Rundgang durch die NS-Ausstellung „Entartete Kunst“. Die Werke der Moderne beeindrucken den zehnjährigen Kurt, auch wenn die ideologischen Ausschweifungen des Museumsführers (Lars Eidinger) ihn an seinem Berufswunsch zweifeln lassen. Bald darauf wird die geliebte, schizophrene Tante (Saskia Rosendahl) abgeholt und gegen Kriegsende im Konzentrationslager ermordet. Donnersmarck holt unterlegt mit schwülstigen Orchestertönen zu einer Parallelmontage aus, die die Ermordung im KZ mit der Bombardierung Dresdens und dem Tod von Kurts Bruder auf dem Schlachtfeld nebeneinander schneidet. Dass er mit dieser visuellen Gleichstellung von Vernichtungslagern und Alliiertenbombardierung ein beliebtes rechtsextremistisches Argumentationsmuster bedient, scheint dem Regisseur im Rausch der Inszenierung gar nicht bewusst zu sein. An der Kunsthochschule in der jungen DDR verliebt sich Kurt in die Modegestalterin Elisabeth (Paula Beer) – die Tochter jenes SS-Gynäkologen Professor Seeband (Sebastian Koch), der mit seinem ärztliche „Gutachten“ die Ermordung der Tante angeordnet hat.
Bald schon flüchten beide in den Westen, wo an der Düsseldorfer Kunsthochschule die Avantgarde fröhliche Feste feiert. Und als er dann beginnt, das Foto seiner Tante abzumalen, generiert ein zufallender Fensterladen einen Moment der Offenbarung und verwandelt das Trauma in Kunst.
Donnersmarcks dritter, sehr abendfüllender Spielfilm kommt fast in jeder Szene mit dem Gestus und der technischen Perfektion eines Meisterwerkes daher, womit die Schlichtheit so mancher Erkenntnis nicht ohne Geschick übermalt wird. Aber obwohl es von den künstlerischen Selbstheilungskräften der Seele erzählen will, ist das auf Überwältigung ausgerichtete Filmkunstwerk von einer gewissen Seelenlosigkeit durchdrungen und droht stets am eigenen Kalkül zu ersticken.