Das italienische Modelabel Gucci ist heute ein weit verzweigter Weltmarktkonzern, der 2019 einen Rekordumsatz von 9,63 Milliarden Euro generierte. Dass hinter diesem Wirtschaftsimperium der selbst verschuldete Untergang einer Familiendynastie steht - davon erzählt „House of Gucci“ von Ridley Scott, der gerade 84 geworden ist und nach „The Last Duel“ in diesem Jahr nun schon eine zweite, große Regiearbeit ins Kino bringt. Über drei Dekaden spannt sich der Bogen, der im epischen Format die innerfamiliären Machtkämpfe lustvoll ausbreitet.
Der Film beginnt im Mailand der frühen 70er: Eigentlich soll Sohnemann Maurizio Gucci (Adam Driver) als zukünftiger Erbe die väterliche Hälfte der Firma übernehmen. Aber der schüchterne, etwas linkische Bücherwurm interessiert sich mehr für sein Jurastudium - und für Patrizia Reggiani (Lady Gaga), in die er sich Hals über Kopf verliebt. Die Angebetete kommt aus einfachen Verhältnissen und findet nicht das Wohlwollen des Schwiegervaters Rodolfo Gucci (Jeremy Irons), der den Sohn vor die Tür setzt und droht ihn zu enterben.
"House of Gucci": Eine Familienaufstellung voller toxischer Beziehungen
Patrizia heiratet ihn trotzdem und verschafft dem Millionärssohn einen Job als Autowäscher im väterlichen Fuhrunternehmen. Onkel Aldo Gucci (Al Pacino), der in New York die US-Geschäfte leitet, versucht nicht ganz uneigennützig die Fronten zu glätten. Er hofft nach dem Tod des schwerkranken Rodolfo mehr Kontrolle über die Geschäfte zu bekommen und überzeugt gemeinsam mit Patrizia den Neffen ins Familienunternehmen einzusteigen. Aldos eigener Sohn Paolo (Jared Leto) ist ein geschäftsuntüchtiger Taugenichts mit viel Chaospotenzial, dessen Modedesigner-Träume im krassen Gegensatz zu seinen Talenten stehen. Die dysfunktionale Familienaufstellung ist gesetzt und entfaltet ihre toxische Wirkung.
Im emotionalen Zentrum steht dabei Lady Gagas Patrizia, die ambitioniert um die Anerkennung der Familiendynastie kämpft und ausgefeilte Intrigen gegen Aldo und Paolo spinnt, um die Machtposition ihres Ehemannes auszubauen. Schließlich wird sie selbst zur tragischen Figur, als sie nach der Scheidung einen Auftragskiller auf Maurizio ansetzt. Lady Gaga trägt die Widersprüche und das Schicksal ihrer Figur souverän durch den Film und lässt ihr Charisma unter okkulten, zeitgenössischen Frisuren hindurchstrahlen. Es ist ihr erster Kinoauftritt seit ihrem Leinwand-Debüt „A Star Is Born“, das ihr gleich eine Oscar-Nominierung einbrachte.
Kein Zweifel mehr: Von Lady Gaga ist noch viel zu erwarten
Nach „House of Gucci“ dürfte kein Zweifel mehr daran bestehen, dass die Sängerin, Song-Writerin und Mode-Designerin auch jenseits des Musikfilms ein großes schauspielerisches Talent besitzt, von dem man noch viel erwarten darf. Sichtbar lehnt Lady Gaga ihre Performance an die großen, weiblichen Ikonen des italienischen Kinos wie Gina Lollobrigida und Sophia Loren an. Gleichermaßen furios und sensibel gestaltet sie diese Patrizia, die als ehrgeizige Gucci-Gattin ihr Leben immer selbst in der Hand hält und nicht loslassen kann, als ihr das Erreichte genommen werden soll. Die Figur ist sicherlich keine Sympathieträgerin, aber dank Lady Gagas Performance eine, die man keine Filmminute aus den Augen lassen möchte.
Generell überzeugt „House of Gucci“ in erster Linie als großes Schauspielerkino, das seinen Akteuren reichhaltige Entfaltungsspielräume bietet. Adam Driver verkörpert schlüssig die Entwicklung des Millionärssohnes vom schüchternen Bubi zum eiskalten Geschäftsmann, der sich am Ende jedoch verzockt und das Familienunternehmen an arabische Investoren verscherbelt. Im Falle von Jared Leto allerdings, der als durchgeknallter Cousin mit einigen prothetischen Gesichtserweiterungen ausgestattet wurde, führt die Zügellosigkeit in enervierendes Overacting. Aber die großen, schauspielerischen Gesten passen zur Haltung des gesamten Projektes. Denn Ridley Scott will sein Intrigen-Spektakel aus der Wirtschaftsaristokratie im Format eines klassischen Mafia-Epos erzählen.
"House of Gucci" zeigt Parallelen zu "Der Pate" - und ist doch nicht vergleichbar
Dabei erinnert die Präsenz Al Pacinos nicht zufällig an die Parallelen zwischen dem Machtkalkül Maurizio Guccis und dem des Mafia-Paten Michael Corleone, den Pacino in „Der Pate“ spielte. Allerdings spürt man auch deutlich, dass diese filmhistorischen Schuhe ein paar Nummern zu groß geraten sind. Über 157 Kinominuten zeigt die True-Crime-Story aus der Modebranche deutliche Materialermüdungen. Trotz der markanten schauspielerischen Leistungen erweist sich „House of Gucci“ unter dem Strich eher als hoch subventionierte Seifenoper im High-End-Format denn als Meilenstein der Filmgeschichte.