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Kino: Kritik zu "Ammonite": Kate Winslet ist hier ein Ereignis

Kino

Kritik zu "Ammonite": Kate Winslet ist hier ein Ereignis

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    Saoirse Ronan als Charlotte Murchison und Kate Winslet als Mary Anning in dem Film Ammonite.
    Saoirse Ronan als Charlotte Murchison und Kate Winslet als Mary Anning in dem Film Ammonite. Foto: Agatha A. Nitecka

    Mit großer Wucht branden die Wellen an die Küste von Lyme Regis in der südenglischen Grafschaft Dorset und spülen Steine aus den Klippen heraus. Wenn die Flut zurückgeht, steht Mary Anning (Kate Winslet) am nebligen Strand und bindet ihren Rock mit einem festen Knoten zusammen. Aus dem aufgeweichten Fels löst sie mit den blanken Händen einen Brocken, der knapp an ihr vorbei herunter kracht und zerspringt. Im Inneren des Steins offenbart sich das Fossil eines Ammoniten, die vor mehr als 60 Millionen Jahren ausgestorben ist. Seit ihrer Kindheit sucht und findet Mary am Strand nach fossilen Überresten aus der Jura und Kreidezeit. Ihr bekanntester paläontologischer Fund liegt im British Museum. Aber neben dem versteinerten Ichthyosaurus steht nicht ihr Name, sondern der eines Mannes, der den Fund der damals Zwölfjährigen abgekauft hat.

    Seit dem Tod des Vaters lebt Mary mit ihrer Mutter Molly (Gemma Jones) allein in ärmlichen Verhältnissen vom Verkauf von Muscheln und Fossilien an Touristen. Die geologische Wissenschaft im frühen viktorianischen England ist ein exklusiver Club, der wohlhabenden Männern vorbehalten ist. Als der begeisterte Hobby-Geologe Roderick Murchison (James McArdle) sie gegen ein solides Honorar auf ihren Strandexkursionen begleiten möchte, willigt Mary widerwillig ein. Wenig später bittet Murchison die Fossiliensammlerin sich entgeltlich um seine Frau Charlotte (Saoirse Ronan) zu kümmern, während er auf einer mehrwöchige Reise ins Ausland geht.

    Francis Lee nutzt in seiner zweiten Regie-Arbeit "Ammonite" wieder eine historische Kulisse

    Mary scheint für die Bespaßung der jungen, depressive Schutzbefohlenen vollkommen ungeeignet. Aber als Charlotte mit schwerem Fieber in Marys Bett einquartiert wird, kommen die beiden Frauen sich bald sehr viel näher.

    Ähnlich wie Céline Sciammas „Porträt einer jungen Frau in Flammen“ (2019) nutzt auch Francis Lee („God‘s Own Country“) in seiner zweiten Regiearbeit „Ammonite“ die historische Kulisse und die Abgeschiedenheit einer rauen Küstenlandschaft, um eine lesbische Liebesgeschichte zu erzählen, die sich mit sinnlicher Behutsamkeit auf der Leinwand entfaltet. Dabei bleibt Winslets wortkarge Fossiliensammlerin im Fokus der Erzählung.

    Was sich allein in Winslets Blick abspielt, ist ein schauspielerisches Meisterwerk

    Nach ihrem Auftritt in der TV-Serie „Mare of Easttown“ ist die britische Schauspielerin hier erneut ein echtes Ereignis. Mit unaufdringlicher Präsenz spielt sie diese vom Leben enttäuschte und verhärtete Frau, die niemanden an sich heranlässt und allein in ihrer Arbeit aufzugehen scheint. Als schließlich Marys Gefühle für Charlotte die harte Schale durchbrechen, ruht die Kamera während eines Hauskonzertes in halbnaher Einstellung auf Winslets Gesicht. Was sich hier einzig in ihren Augen abspielt, ist ein kleines schauspielerisches Meisterwerk, in dem Verzweiflung, Leidenschaft, Eifersucht und Überwältigung gegeneinander ankämpfen.

    Dass es dabei nicht bleibt und die Liebe zweier Frauen nicht nur mit ein paar wilden Küssen, sondern in einer ausformulierten Sexszene gezeigt wird – auch das ist eine Qualität dieses Films, der mit dem genauen Blick einer Paläontologin im Unscheinbaren das Verborgene zu entdecken versucht. Dafür nimmt sich Lee Zeit und fordert von seinem Publikum Geduld. Aber wer sich auf den cineastischen Slow-Food-Modus einlässt, wird in dieser eindringlichen Liebesgeschichte reich belohnt.

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