Gute Kinderbücher erkennt man unter anderem daran, dass Erwachsene nicht gequält aufstöhnen, wenn der Nachwuchs kommandiert: „Noch mal lesen!“ Weil sie vielschichtiger sind, weil sie etwas zum Klingen bringen, das man als Erwachsener längst hinter sich gelassen zu haben glaubte. Oder einfach, weil sie eine zutiefst menschliche und philosophische Botschaft haben, die einen auch jenseits der vermeintlichen Altersgrenze von Kinderbüchern noch anspricht. Etwa die, dass man sich den Blick für die kleinen Schönheiten des Lebens bewahren muss, und dass man, um anzukommen, erst einmal weggehen muss.
Der große Bilderbuchkünstler Janosch zieht mit dieser Erkenntnis noch immer Kinder und ihre Eltern in seinen Bann. „Oh wie schön ist Panama“ ist eines der Kinderbücher, die nicht nur in den Kinderzimmern ihren Platz haben. Es erzählt die Geschichte von Tiger und Bär, die sich auf den Weg nach Panama machen. Weil sie immer nach links gehen, landen sie am Schluss wieder dort, wo sie ihre Reise begonnen haben, in ihrem kleinen Häuschen am Fluss, das ihnen jetzt aber vorkommt wie das Paradies.
1978 gelang Janosch damit der Durchbruch als Schriftsteller, nachdem er zuvor schon etliche Bücher nur mit mäßigem Erfolg veröffentlicht hatte. Kinderbücher sollten damals, in der Folge der umstürzlerischen 68er Jahre, progressiv und pädagogisch sein, mit klarer politischer und sozialkritischer Haltung. Den Kindern zeigen, wie die Realität ist.
Janosch floh vor der Schaffenskrise nach Ibiza
Doch das kaufte kaum einer und Janosch hatte „die Schnauze voll von diesen Kinderbüchern“, wie er Joachim Lang für einen Dokumentarfilm des Bayerischen Rundfunks erzählte. Er floh vor der Schaffenskrise nach Ibiza, trank Cuba Libre und wusste genau, was die Leute liebten: Kitschbücher mit Kuschelbären, am besten, wenn sie noch eine Reise machten. „In so einem Rumrausch saß ich vor dem Hafen und hatte auf einmal den Mut zum endgültigen Verrat an der Revolution. Ich musste leben und nicht die Revolution. Ich fuhr zurück. Mein Haus war vom Gras zugewachsen und als es mir vorkam wie das Paradies, hatte ich die Lösung: Jeder lebte schon immer im Paradies, hat es nur nicht gewusst,“ erzählte er über die Entstehungsgeschichte seines Erfolgsbuchs.
Das Leben des Autors verlief jedoch nicht immer paradiesisch, genau genommen waren Kindheit und Jugend „die Hölle“, wie er gegenüber seiner Biografin Angela Bajorek darstellte. Als Horst Eckert kam er am 11. März 1931 im polnischen Zabrze zur Welt – der Vater, deutschstämmig, war ein Säufer und prügelte, die Mutter, polnischstämmig, beschreibt er als gefühlskalte Sadistin.
Trostlos auch der Ort, an dem die Familie lebte, im Braunkohleabbaugebiet, das letzte Haus vor der Grenze zu Deutschland, ohne fließendes Wasser und Strom, mit dem Geruch von Kohl, Alkohol und Urin. Für seine Kindheit findet Janosch drastische Sätze: „Die ersten Jahre meines Lebens waren die totale Zerstörung meiner Person“. Zum unerträglichen Elternhaus kamen die Brutalität der katholischen Kirche, die das Kind in Angst vor dem Fegefeuer versetzte, und die erzwungene Mitgliedschaft in der Hitlerjugend, in der Horst fortwährend schikaniert wurde. Auch die Vertreibung aus Polen war eine traumatische Erfahrung.
In seinen Kinderbüchern baute Janosch eine Gegenwelt auf
In seinen Erwachsenenbüchern „Chlonek oder der liebe Gott aus Lehm“ und „Polski Blues“ verarbeitete er die Erlebnisse und konnte sie doch nie ganz hinter sich lassen. Davon sprechen unter anderem jahrzehntelange Alkoholexzesse.
In seinen Kinderbüchern aber baute Janosch eine Gegenwelt zur eigenen Kindheit auf, anarchisch zwar, aber mit liebenswürdigen und warmherzigen Figuren wie Tiger und Bär, Lari Fari Mogelzahn, Hannes Strohkopp, Emil Grünbär oder Lukas Kümmel. In einfachen Sätzen erzählt er ihre Geschichten mit verschmitztem Humor, in kindlichen Zeichnungen mit dem berühmten Janosch’schen Zitterstrich gibt er ihnen Gestalt. Freundschaft und Solidarität, Empathie, Trost, Freundlichkeit und Toleranz, die er selbst in seinen ersten Lebensjahren so vermisste, erhob er hier zum Maß. Immer waren auch die Bewahrung der Umwelt und die Rebellion gegen Unrecht und Ungerechtigkeit sein Thema. Denn das hatte er durch seine Kindheit gelernt: Es gibt nichts, was nicht geht. Man kann seine Welt aus eigener Kraft verändern, seinem Leben eine neue Richtung geben.
Janosch wurde mit "Oh wie schön ist Panama" zu einer Marke
Schon als kleines Kind wollte er malen, Rosa, Silber und Gold waren seine Lieblingsfarben in einer Welt, die vor allem grau, schwarz und braun war. In Oldenburg, wohin die Familie 1946 ausgesiedelt wurde, machte er eine Ausbildung zum Textilzeichner. Anfang der 50er Jahre zog es ihn dann ins künstlerische München. Dass er dreimal an der Akademie wegen „mangelnder Begabung“ abgelehnt wurde, traf ihn schwer, hielt ihn aber nicht vom Malen ab. Neben den rund 300 Büchern gibt es ein großes Oeuvre mit Porträts, Landschaftsbildern, Stillleben und Akten.
1960 überredete ihn ein Münchner Verleger zu seinem ersten Kinderbuch „Die Geschichte von Valek, dem Pferd“, und zu einem neuen Namen: Janosch. Der wurde dann, fast 20 Jahre später mit „Oh wie schön ist Panama“ zur Marke mit einem bisher nicht gekannten Merchandising. Auf Schnullern, Socken, Bettwäsche, Turnbeuteln gab es in Kinderzimmern kein Entrinnen vor Tiger, Bär und Tigerente.
Aber deren Schöpfer machte sich rar und emigrierte vor 40 Jahren nach Teneriffa, wo er seine Frau fand, das Bild vom Lebenskünstler in der Hängematte mit einem Glas Wein in der Hand pflegte und zwischendurch von sich hören ließ. Etwa in der wöchentlichen Zeit-Kolumne, in der 2013 bis 2019 sein gezeichnetes Alter Ego Wondrak tiefschürfend und hintersinnig auf Fragen antwortete.
Auf die Frage, wie man aus der Hölle ins Paradies kommt, hat Janosch, der am 11. März seinen 90. Geburtstag feiert, für sich selbst längst eine Antwort gefunden. „Die Welt ist auf der einen Seite ganz schön, auf der anderen grausam.“ Annehmen muss man beides, „wie wenn man ein Seil spannt zwischen den beiden und es sich dazwischen einrichtet“.
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