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Kinderbuch: Zum 60. Geburtstag: Rassismus-Debatte um Jim Knopf

Kinderbuch

Zum 60. Geburtstag: Rassismus-Debatte um Jim Knopf

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    Nur ein Jahr nach Erscheinen von Michael Endes „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ brachte die Augsburger Puppenkiste das Buch ins Fernsehen.
    Nur ein Jahr nach Erscheinen von Michael Endes „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ brachte die Augsburger Puppenkiste das Buch ins Fernsehen. Foto: Fred Schöllhorn

    Eine Insel mit zwei Bergen und ’nem Eisenbahnverkehr liegt im tiefen weiten Meer. Und eines Tages kommt mit dem Postschiff ein kleiner, schwarzer Junge in einem Paket auf Lummerland an. So beginnt die Geschichte von "Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer". 60 Jahre wird das Buch alt, das durch seine liebenswert-skurrilen Figuren und seine tiefe Humanität ganze Generationen in Deutschland geprägt hat. Am 9. August 1960 erschien der erste Band von Michael Endes mehr als 500 Seiten starken Manuskript, das zuvor ein Dutzend Verlage abgelehnt hatten. Es sollte ein Welterfolg werden, übersetzt in 33 Sprachen. 1962 folgte der zweite Band "Jim Knopf und die Wilde 13".

    Beteiligt an dem riesigen Erfolg waren gewiss auch die beiden Verfilmungen der Augsburger Puppenkiste für den Hessischen Rundfunk, gleich 1961 in Schwarzweiß und nochmals 1976 in Farbe. Die tapsigen Marionetten, die knuffige Lok Emma und das silbern wogende Plastikfolienmeer gehören zur kollektiven Erinnerung. Inzwischen haben Produzent Christian Becker und Regisseur Dennis Gansel den Stoff auch mit Schauspielern verfilmt. Am 8. Oktober soll der zweite Teil "Jim Knopf und die Wilde 13" in unsere Kinos kommen – wieder mit Henning Baum als Lukas und Solomon Gordon als Jim.

    Nach „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ soll am 8. Oktober der zweite Teil „Jim Knopf und die Wilde 13“ in die Kinos kommen – wieder mit Henning Baum als Lukas und Solomon Gordon als Jim.
    Nach „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ soll am 8. Oktober der zweite Teil „Jim Knopf und die Wilde 13“ in die Kinos kommen – wieder mit Henning Baum als Lukas und Solomon Gordon als Jim. Foto: Ilze Kitshoff, Warner Bros. Entertainment/dpa

    Jim Knopf sollte das ideologische Gift aus den Köpfen ziehen

    Trotz seiner Popularität möchte Christiane Kassama, Kita-Leiterin im Hamburger Stadtteil Groß-Flottbek, das Buch wegen angeblich rassistischer Tendenzen am liebsten in die Tonne treten. "Jim Knopf reproduziert viele Klischees zum angeblich typischen Wesen und Äußeren von Schwarzen. Jim Knopf ist so, wie sich Weiße ein lustiges, freches, schwarzes Kind vorstellen", ereifert sich die 56-jährige Erzieherin im Zeit-Interview. "Jim Knopf" werde in vielen Kitas noch zu unkritisch gelesen.

    Wahrscheinlich ist sie nie Julia Voss begegnet. Die Kolumnistin der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung und Professorin an der Leuphana Universität Lüneburg, hat die vielleicht spannendste Entdeckung in "Jim Knopf" gemacht. Was oberflächlich als lustige Kindergeschichte, "randvoll von köstlichen Einfällen" und "atemberaubend fantastischen Abenteuern" – wie es in der Begründung des Deutschen Jugendbuchpreises 1961 hieß – erscheint, ist tatsächlich ein Gegenentwurf zur nationalsozialistischen Rassenlehre. Im Gewand eines Abenteuerromans sollte "Jim Knopf" das ideologische Gift aus den Köpfen der deutschen Jugend ziehen.

    Die Nazi-Herrschaft war bei Erscheinen des Buchs gerade 15 Jahre vorbei

    Viele Hinweise in Michael Endes Buch führten Julia Voss auf die Spur. Hängt nicht über der Einfahrt zur Drachenstadt das Warnschild: "!Achtung! Der Eintritt ist nicht reinrassigen Drachen bei Todesstrafe verboten." Vom herzigen Halbdrachen Nepomuk heißt es, er sei in der Drachenstadt ausgestoßen worden als ein Mischling, geboren von einem Drachen und einem Nilpferd. Sein Leben bezeichnet Nepomuk als "Schande".

    Die Augsburger Puppenkiste

    Die Erfolgsgeschichte der Augsburger Puppenkiste begann am 26. Februar 1948 mit der Aufführung des Märchens «Der gestiefelte Kater».

    Walter Oehmichen gründete das Marionettentheater zusammen mit seiner Frau.

    Nationale und internationale Berühmtheit bekamen die inzwischen legendären Figuren um Jim Knopf dank der Fernsehproduktionen seit 1953.

    Für Millionen Kinder wurden Figuren wie Urmel aus dem Eis und die Krähe Lukulla zu Begleitern ihrer Kindheit.

    Seit 1992 leitet Klaus Marschall die Puppenkiste. Das Augsburger Puppentheatermuseum «Die Kiste» zeigt seit 2001 all die bekannten Marionetten.

    Im Bühnenbild eines riesigen, rußgeschwärzten Höllenschlunds folgert Voss: "Der Leser befindet sich in diesem Augenblick nicht mehr in einer Fiktion, sondern in einer Vergangenheit." Zumal bei Erscheinen von "Jim Knopf" die Naziherrschaft gerade 15 Jahre vorbei und ihre Vernichtungslager noch in wacher Erinnerung waren.

    Das Buch führte einen ganz neuen Sound ein

    Dabei führte der Schriftsteller Michael Ende (1929–1995), Sohn eines Künstlers aus München, in seinem literarischen Erstling einen ganz neuen Sound ein. "Die Art des Erzählens und diese fantastischen Welten gab es damals nicht", sagt sein Literaturagent und Freund Roman Hocke. "Jim Knopf" ist einerseits geerdet im überschaubaren Mikrokosmos von Lummerland bei Ladeninhaberin Frau Waas, bei Besserwisser und Fotograf Herr Ärmel und bei König Alfons, dem Viertelvorzwölften. Und dem gemütlichen und gemütvollen Lokführer Lukas, der mit seiner Emma um die zwei Berge dampft.

    Andererseits geht es hinaus aufs wilde Meer mit dem für Eisenbahnen fatalen Magnetberg und der silberhaarigen Meerprinzessin Sursulapitschi. In der Wüste begegnet ihnen der Scheinriese Tur Tur, der desto kleiner wird, je näher man ihm kommt. Beim Kaiser von China in der Stadt Mandala lernen sie eine fremdartige Kultur kennen und beschließen die entführte Prinzessin Li Si aus den Klauen der Drachen zu befreien. Dem blanken Horror begegnen Jim und Lukas im Klassenzimmer von Frau Mahlzahn, die ihren Stock über die an Bänke geketteten Kinder pfeifen lässt und sie zwingt, falsche Fakten ("drei und vier ist achchcht!") zu lernen.

    Es ist die wohl bekannteste Geschichte der Augsburger Puppenkiste: Jim Knopf und Lukas, der Lokomotivführer. In der Wüste begegnen sie dem Seinriesen Tur Tur, der desto kleiner wird, je näher man ihm kommt.
    Es ist die wohl bekannteste Geschichte der Augsburger Puppenkiste: Jim Knopf und Lukas, der Lokomotivführer. In der Wüste begegnen sie dem Seinriesen Tur Tur, der desto kleiner wird, je näher man ihm kommt. Foto: Andreas Schopf

    Vom Rassismus-Verdacht bleibt in dieser Version wenig übrig

    Wie im Märchen werden schließlich die Strukturen des Bösen mutig überwunden. Die bunte Schar von Kindern, darunter ein Indianerjunge und ein Eskimokind, werden aus der Drachenschule befreit. Wasser- und Feuerwesen versöhnen sich, der schwarze Jim – in Wahrheit ein Abkomme des heiligen Königs Kaspar – erhält Prinzessin Li Si und das Königreich, dem feuerspeienden Drachen wird das Leben geschenkt und er verwandelt sich vom Schreckenstier zum Glücksdrachen. Aus den Fluten steigt die Insel Jimballa als ein zweites Atlantis auf.

    Vom Rassismus-Verdacht bleibt in dieser Vision einer weltumspannenden Menschheitsfamilie ebenso wenig übrig wie vom Vorwurf des Eskapismus (Weltflucht), den die kritische Linke in den 1970ern erhob. Endes Geschichte galt als Heile-Welt-Fantasie eines "Schreiberlings für Kinder". Er gehöre zu denen, die meinen, dass man Kindern die Welt nicht so zeigen darf, wie sie ist, sondern dass man sie für die Kinder rosa anstreichen muss.

    Der Stuttgarter Thienemann-Verlag möchte das Buch nicht umschreiben, auch wenn in einer Passage Jim als "Neger" bezeichnet wird. "Grundsätzlich hat der Autor die Hoheit über seinen Text; das bringt der urheberrechtliche Schutz mit sich. Kein Verlag kann und wird ohne Rücksprache und Zustimmung des Autors oder seiner Erben in einen Text eingreifen", sagt Verlegerin Bärbel Dorweiler. Literaturagent Roman Hocke, der Ende seit 1969 kannte, ergänzt, das N-Wort komme nur in einer Szene vor. "Ich denke, Ende hat ein Gespür gehabt, dass man das Wort nicht zu oft benutzen sollte", so Roman Hocke. (mit dpa)

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