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Keine Auftritt und Gagen: Was Corona für die Sängerin Sabine Lutzenberger bedeutet

Keine Auftritt und Gagen

Was Corona für die Sängerin Sabine Lutzenberger bedeutet

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    Wenn man nicht arbeiten kann, fühlt man sich „wie geknebelt“, sagt Sabine Lutzenberger.
    Wenn man nicht arbeiten kann, fühlt man sich „wie geknebelt“, sagt Sabine Lutzenberger. Foto: Ulrich Wagner

    Nur einen ganz kurzen Augenblick war da im März der naheliegende Gedanke: Spargelstechen. Oder Erdbeeren pflücken. Erntehelfer fehlten damals in Deutschland, weil die Lohnarbeiter aus Ländern wie Polen und Bulgarien wegen der Corona-Beschränkungen erst einmal nicht einreisen durften. Künstler wie Sabine Lutzenberger hatten dagegen reichlich Zeit und mussten schauen, wie sie ein Auskommen finden konnten. Aber sehr schnell war für Sabine Lutzenberger dann doch klar, „das mache ich nicht, das will ich nicht“.

    Lutzenberger ist Sängerin, Spezialistin für mittelalterliche Musik. Sie singt in dem von ihr gegründeten Ensemble Per-Sonat, außerdem ist sie Mitglied des vielfach ausgezeichneten belgischen Huelgas Ensemble. Seit Jahren ist sie gut im Geschäft, die Unsicherheit einer Künstlerexistenz war für sie nie ein Thema. „Es lief von Anfang an gut“, sagt die 56- Jährige. Wenn sie singt, füllt ihre Stimme einen Raum; wenn sie spricht, ist sie zurückhaltender, hört oft erst in sich hinein, bevor sie ausspricht, was sie erzählen will.

    50 Auftritte in ganz Europa waren geplant - dann kam Corona

    In ganz Europa tritt Sabine Lutzenberger auf den großen Alte-Musik-Festivals auf, in Antwerpen, in Köln, in Utrecht. Auch in diesem Jahr sollte es so sein, an die 50 Auftritte waren geplant. Gerade mal einen hatte sie im Januar, der nächste sollte am 15. März in der Augsburger Katharinenkirche im Schaezlerpalais sein. „Meine Mitmusiker waren schon auf dem Weg hierher zu den Proben“ erinnert sie sich genau an jenen 13. März, als in Bayern die Corona-Ausgangsbeschränkungen verkündet und damit Konzertbesuche unmöglich wurden. Geprobt haben sie dann doch noch, „anders wäre das gar nicht auszuhalten gewesen“, deutet Lutzenberger an, wie existenziell die Krise nicht nur finanziell ist, in die sie der Corona-Lockdown geführt hat.

    Von einem Tag auf den anderen brachen für freischaffende Künstler alle Einnahmen weg. Keine Auftritte, keine Gagen und erst einmal keine Perspektive, wie sie ihren Lebensunterhalt bestreiten könnten. Während Festangestellte in Kurzarbeit gingen, saßen die freien Künstler in ihren Ateliers und Studios und mussten abwickeln. Absagen entgegennehmen, Reisen und Hotelaufenthalte stornieren. Schnell stellte sich heraus, dass die Soforthilfe für Solo-Selbstständige, die der Bund ins Leben rief, für die vielen freien Künstler im Land nicht greift, da sie nur für Betriebskosten eingesetzt werden durfte. Mittlerweile gibt es in den Bundesländern deshalb ein Künstlerhilfsprogramm, das selbstständigen Kulturschaffenden für maximal drei Monate mit jeweils 1000 Euro auch für ihre Lebenshaltungskosten unter die Arme greift. Bis September kann Sabine Lutzenberger diese Unterstützung in Anspruch nehmen.

    Sabine Lutzenberger (links) bei Proben für ein Kunstprojekt in der Augsburger Moritzkirche.
    Sabine Lutzenberger (links) bei Proben für ein Kunstprojekt in der Augsburger Moritzkirche. Foto: Mercan Fröhlich

    Denn Betriebskosten haben Künstler wie die Sängerin kaum. Zu Hause in ihrem Dachstübchen erarbeitet sie die Programme für die Konzerte ihres Ensembles, studiert Noten, liest Quellen aus dem Mittelalter und trainiert ihre Stimme. Etwa ein halbes Jahre hatte sie so auch über dem Programm „Der Mythos von Orpheus“ für den Auftritt von Per-Sonat in der Katharinenkirche gesessen. „Damit Kunst entsteht, muss etwas gut vorbereitet sein“, ist Sabine Lutzenbergers Credo. Das müsse man berücksichtigen, wenn dann als Abendgage Beträge von 600 Euro und mehr gezahlt würden. „Dafür habe ich lange vorher schon gearbeitet, verbringe Zeit für die An- und Abreise und die Proben“, gibt sie zu bedenken. Durchschnittlich 15.000 bis 17.000 Euro verdienen freischaffende Künstler nach Angaben des Deutschen Kulturrates im Jahr. Geld, sich ein Polster für Notzeiten wie diese zu schaffen, bleibt da nicht.

    Mutter und Tochter wohnen wieder unter einem Dach

    Für die erste Zeit konnte Sabine Lutzenberger aber auf Reserven zurückgreifen. Außerdem haben Freunde und ihr Vater Unterstützung angeboten. „Die musste ich schon annehmen.“ Und dann war da noch ihr Mann, Wolfram Oettl, ebenfalls Musiker, Pianist. Der konnte einen Teil seines Unterrichts per Skype und später mit Hausbesuchen abhalten und „musste uns alle durchfüttern“. Den Sohn, der eine Ausbildung zum Software-Entwickler in Berlin macht und auf Unterstützung angewiesen ist; die Tochter, die in einer Kompanie in Brüssel tanzt und ebenfalls keinerlei Einnahmen mehr hatte. Magdalena Oettl verbrachte die Zeit des Lockdown im Elternhaus in Augsburgs Nachbarstadt Stadtbergen. Die ungewohnte Erfahrung, wieder einen Raum zu teilen, haben Mutter und Tochter in eine Performance für ein Kunstprojekt einer Augsburger Kirchengemeinde einfließen lassen – eine Beschäftigung, die Lutzenberger neue Energie in einer Zeit der Lähmung gegeben hat.

    Denn die finanzielle Not durch den Lockdown ist ja nur die eine Seite. Während manche Künstler mit Angst und Verzweiflung reagierten, andere mit Wut und Empörung, spürt Sabine Lutzenberger noch immer „eine tiefe Traurigkeit darüber, geknebelt zu sein, nicht arbeiten zu dürfen“. Zu singen war ihr in der ersten Zeit nicht möglich. „Wenn das Instrument da sitzt, wo es einen reißt, dann geht halt nichts mehr“, sagt sie und stockt ein wenig mit der Stimme. Für ihre künstlerische Arbeit sei es wichtig, sich zu erinnern an die Emotionen während des Übens und des Auftritts. „Wie intensiv die Spannung und die Nuancen eines Vortrags sind, das kann man nicht abrufen, wenn man nicht den Fokus dieses Live-Moments in einem Raum mit dem Publikum hat“, versucht sie begreifbar zu machen, wie essenziell das Bühnenerlebnis für sie ist. Gut, dass sie jetzt wieder eine Perspektive hat, kleinere Auftritte in Augsburg und im nordschwäbischen Auhausen und dann das Festival Radovljica in Slowenien. Da wird „Der Mythos von Orpheus“ dann nämlich endlich erklingen – geprobt haben Lutzenberger und ihre Musiker schon.

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