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Karl Ove Knausgård: Maßlose Qual: Dieser Autor lebt in seinen Büchern

Karl Ove Knausgård

Maßlose Qual: Dieser Autor lebt in seinen Büchern

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    Karl Ove Knausgård ist vom Erfolg seiner Bücher überrrascht worden. Er kehrt sein Leben darin vollkommen nach außen: Bis ins Privateste, bis ins Peinlichste.
    Karl Ove Knausgård ist vom Erfolg seiner Bücher überrrascht worden. Er kehrt sein Leben darin vollkommen nach außen: Bis ins Privateste, bis ins Peinlichste. Foto: Bernd von Jutrczenka (dpa)

    Was für eine unglaubliche Geschichte das ist, die ausgerechnet diesen Norweger ins Rampenlicht der Weltliteratur befördert hat, lässt sich jetzt erst richtig ermessen. Denn nun ist auch bei uns der fünfte der sechs Bände erschienen, in denen er seine persönlichen Bekenntnisse niedergeschrieben hat.

    Sein Leben in den Büchern: bis ins Privateste, bis ins Peinlichste

    Der fünfte Band dieser sogenannten Romane, jeweils 600 bis 800 Seiten stark, die ihn, Jahre nachdem sie in seiner Heimat unter dem Titel „Min Kamp“ („Mein Kampf“) veröffentlicht wurden, inzwischen zum Liebling der Feuilletons Europas, in den USA zur Kultfigur für Autoren und Kritiker gemacht haben – und damit zu einer Marke des globalen Marktes. Karl Ove Knausgård. Der Mann, der schonungslos gegenüber sich und anderen sein Leben ausstellt, bis ins Privateste und Peinlichste. Die Authentizität in Person.

    „Träumen“ heißt das Buch in Deutschland (wo der Originaltitel jeweils mit dem Zusatz „Erstes Buch“ bis „Sechstes Buch“ tabu blieb), nachdem die vorhergehenden mit „Sterben“, „Lieben“, „Spielen“ und „Leben“ betitelt waren, allumfassend poetisch. Dabei hätte dieser fünfte Teil eigentlich „Schreiben“ heißen müssen. Denn während Knausgård diesmal die Lebensjahre zwischen 19 und 30 ausbreitet und dabei einmal mehr seine sexuellen Verklemmungen bearbeitet, das Finden und Scheitern der Liebe, sein Minderwertigkeitsgefühl gegenüber dem großen Bruder, sein Leiden am tyrannischen Vater, den Schock durch dessen Zugrundegehen am Alkohol, den Kontrollverlust bei eigenen Saufexzessen …, während er also die Wiederholungsschlaufen schriftlich vollzieht, die ein jeder beim Nachdenken über sein Leben unweigerlich dreht – diesmal gibt es wirklich ein Kernthema: das Schreiben.

    Er war 19, als er in Norwegens zweitgrößte Stadt Bergen zog, um an der Akademie für Autoren zu studieren: „Eine Woge des Glücks durchrollte mich. Es war der Regen, es waren die Lichter, es war die große Stadt. Es war ich selbst, ich würde Schriftsteller werden, ein Star, ein Leitstern für andere.“ Heute ist Karl Ove Knausgård 46 Jahre alt und scheint all das tatsächlich erreicht zu haben. Warum er aber trotzdem nicht glücklich ist und warum gerade das Erfolgsgeheimnis von „Mein Kampf“ zugleich sein großes Scheitern ist, das offenbart dieses fünfte Buch nun.

    Knausgård ist ein Autor, der sich mit den Großen der Literatur misst

    Knausgård nämlich ist seit jungen Jahren ein Getriebener. Ein Leben ohne zu schreiben musste und muss für ihn ein unerfülltes bleiben. Selbst als er als Literaturkritiker gefragt und bei späteren Studien an der Universität erfolgreich war, empfand er sich als „Sekundärmensch“. Und das Glück, das ihm etwa Beziehungen eröffneten, musste er zerstören, weil die Zufriedenheit seinem Zwang zur Außergewöhnlichkeit widerspricht. Er muss der Fremde bleiben, um bei sich selbst zu sein. Bei dem Unglücklichen, der schreibt.

    Denn: „ …etwas anderes, als zu schreiben, erschien mir sinnlos. Nichts sonst würde mir jemals genügen, meinen Durst stillen können. Aber wonach dürstete ich? Wie konnte das so mächtig werden? Ein paar Worte zu Papier bringen? Die zu keiner Abhandlung, Forschung, zu keinem Bericht oder einer anderen Art des Schreibens gehörten, sondern zu literarischen Texten? Es war verrückt, denn ausgerechnet das konnte ich nicht.“

    So wird aus dem Getriebenen der Verzweifelte. Knausgård nimmt an den Großen Maß – Borges, Mann, Joyce; er kämpft und versagt. Aber er sieht auch Freunde mit ihren Werken reüssieren und spürt sein eigenes Unvermögen umso deutlicher. Er weiß immer zu wenig, kann sich nichts ausdenken, an das er glauben kann, findet keinen Ton, keine Sprache: „Ich schrieb eine Zeile, Schluss.“

    Wie aber passt das zu dem Knausgård, der mit 30 eben doch einen Roman veröffentlicht und dafür als erster Debütant überhaupt mit dem norwegischen Kritikerpreis ausgezeichnet wird? Wie zu dem, der fünf Jahre später einen zweiten, sehr gelobten folgen lässt? Ist der Rückblick in diesem fünften Band also bloß Stilisierung, eine Selbstdramatisierung zum Künstler? Wie vielleicht der Blick auf die eigene Vergangenheit im gesamten „Mein Kampf“? Verklärt sich da einer, der im Zuge einer solchen Beichte ja sein gesamtes Umfeld in die Öffentlichkeit zerrt, zum genialisch Ringenden – um diese Tabulosigkeit mit der Ausnahmeerscheinung seiner Existenz zu rechtfertigen?

    Maßlose Selbstbezogenheit: Knausgårds Qual wirkt erschreckend echt

    In den Beschreibungen Knausgårds jedenfalls herrscht eine maßlose Selbstbezogenheit, die ansonsten dem Pubertierenden zu eigen ist. Unterschiedslos steht bei ihm das Banale wie ein Kindergeburtstag neben der Tragödie des Todes, weil alles nur zur Ich-Erkundung dient; unverschämt zeigt sich der abfällige Blick auf die anderen, und seien es Behinderte, weil die eigene Befindlichkeit alle Wirklichkeit überragt. Ist dieser ganze Triumph also der eines pathologischen Egomanen, einer nie vollendeten Pubertät, deren Intensität und Unbedingtheit offenbar viele noch einmal spüren wollen?

    Aber, und das ist das Frappierende, Knausgårds Qual wirkt echt. Man darf sich ihn, immerhin verheiratet und Vater von vier Kinder, höchstens in den zwei Jahren vor 2011 als glücklichen Menschen vorstellen, in denen er wie in einem Rausch die über 4000 Seiten der Bände zu „Mein Kampf“ geschrieben hat. Als er sich hemmungslos ins eigene Unglück vertiefte – ohne den literarischen Anspruch, an dem er sich zuvor verzweifelt abgemüht hatte. Denn damit hat die Sprache dieser Beichte nichts zu tun.

    Dass ihn gerade das ins Rampenlicht der Weltliteratur geführt hat, erzählt viel über eine Kultur, die nicht zufällig in Zeiten von Facebook und Twitter das Ich und die Authentizität liebt. Dafür ist er das passende Phänomen. Ein Selfie-Literat, und noch dazu ein sehr fotogener. Seitdem jedenfalls hat Knausgård lange nichts geschrieben. In einem neuen Projekt nun fabriziert er Miniaturen, höchstens eine Seite, über Gegenstände seines Alltagslebens. Wie Wattestäbchen. Sein Äquivalent zum Internet-Knüller der Katzenbaby-Videos.

    Karl Ove Knaugard: Träumen. Luchterhand, 800 Seiten, 24,99 Euro

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