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Jubiläum: Singen aus Notwehr: Folk-Legende Joan Baez wird 80

Jubiläum

Singen aus Notwehr: Folk-Legende Joan Baez wird 80

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    Joan Baez 2019 bei ihrem Konzert im Füssener Festspielhaus.
    Joan Baez 2019 bei ihrem Konzert im Füssener Festspielhaus. Foto: Ralf Lienert

    Eine Stimme kann ein mächtiges Vehikel zum Transportieren von Botschaften sein. Künstler wie Joan Baez, die in dieser Hinsicht von der Natur reich bedacht wurden, verfügen deshalb über einen besonderen Draht zu Menschen. Sie bewegen Massen, legen die Finger in Wunden und lindern Schmerz. Noch dazu, wenn die Worte mit einem engelsgleichen Sopran gesungen werden.

    Was aber passiert, wenn sich das Organ verändert, wenn es älter wird, dunkler, rauer? „Dann ist es immer noch meine Stimme“, lacht die Ikone des Protestsongs. „Halt eben nicht mehr dieselbe wie mit 20 oder 30.“ Genauer gesagt ist sie 80 Jahre jung, was man ihr niemals ansehen würde. Die „neue“ Stimme der Joan Chandos Baez, die am 9. Januar 1941 im New Yorker Stadtteil Staten Island geboren wurde, kann man auf ihrem angeblich letzten Album „Whistle Down The Wind“ (Proper) von 2018 bewundern. Angeblich? Die „Fare-Thee-Well“-Tour rund um den Globus wurde 2019 verlängert (und von Corona unterbrochen), weil das Publikum und wohl auch sie nicht loslassen können. Und weil man eine Stimme wie die ihre in Zeiten wie diesen weiter brauchen kann.

    "Nasty Man", Joan Baez' Song über Trump

    „Es wird immer behauptet, dass wir Amerikaner die Welt von Diktatur und Tyrannei befreien würden. Gleichzeitig treten eben diese Amerikaner permanent die Menschenrechte mit Füßen. Wir sind auf dem besten Weg zurück in den Wilden Westen.“ Diese Zeilen schrieb sie 16 Jahre, bevor Trump und sein Mob die US-Demokratie an den Rand des Untergangs führen sollten. 2018 veröffentlichte Baez einen Song über Trump mit dem bezeichnenden Titel „Nasty Man“. Ein Lied aus Notwehr. Kein gutes, räumt sie ein. Aber ein notwendiges. Es erfülle seinen Zweck, inzwischen mehr denn je. Ein Lied, das eine brennende Wunde hörbar werden ließ.

    Joan Baez in jungen Jahren: Die Sängerin und Gitarristin 1973 bei einem Auftritt in der Essener Gruga-Halle.
    Joan Baez in jungen Jahren: Die Sängerin und Gitarristin 1973 bei einem Auftritt in der Essener Gruga-Halle. Foto: Dürrwald, dpa

    Seit den späten 1950er-Jahren singt Joan Baez gegen den Wilden Westen des Rassismus, gegen Entdemokratisierung, gegen Populismus. Sie galt als das erste Covergirl einer Generation, die sich die Selbstbestimmung zum Ziel setzte. Jetzt, fast zeitgleich zu ihrem runden Geburtstag, erleben die USA eine Welle der Zerrissenheit und des politischen Irrlichterns. Am Lincoln Memorial, gegenüber des Capitols, das am Mittwoch der Trump-Mob stürmte, begann die Popularität der Joan Baez. Im August 1963 blickte die damals 22-Jährige schüchtern auf eine riesige Masse von 300.000 Menschen, die zum „March on Washington“ gekommen waren. Mit ihrer zarten Stimme sang sie davon, dass sie keine Angst habe, tief im Herzen fühle, dass Unrecht überwunden werden könne: „We Shall Overcome“. Das Lied von Pete Seeger wurde an diesem Tag zur Hymne der Friedensbewegung und des jungen, modernen Amerika.

    Seither positioniert sich Joan Baez vehement gegen Hass, Unterdrückung, Gewalt, Kriege. Sie protestierte vor Gefängnissen und musste wegen ihrer Anti-Kriegspropaganda 1967 selbst für einen Monat hinter Gitter. „Die heilige Johanna mit der Gitarre“, wie sie Wolf Biermann einmal bei einem gemeinsamen Konzert in Ostberlin nannte, marschierte mit Martin Luther King, half dem noch unbekannten Bob Dylan beim Karrierestart, mischte sich unter die westdeutsche Friedensbewegung, trat in Woodstock auf und eröffnete den US-Teil von Live Aid. Joan Baez gilt längst als essenzieller Teil der Popgeschichte.

    Joan Baez und der "gewisse Frust"

    Ihre Waffe in Form ihrer Songs verliert jedoch immer mehr an Durchschlagskraft. Im Orkan des Schreiens und chronischen Sich- Überhörens kann sich solch eine zarte Stimme nur noch schwer durchsetzen. Die Popmusik, erst recht Folk, haben im gesellschaftlichen Diskurs an Einfluss verloren. „Der Idealismus der frühen Tage ist einem gewissen Frust gewichen – vielleicht sollte ich aber nicht Frust sagen, sondern Realismus.“

    Trotzdem: Erreicht hat Joan Baez mehr als die allermeisten aus ihrer Branche. Auch wenn die Welt durch sie nur ein kleines Quäntchen besser geworden ist.

    Mehr über Joan Baez:

    Die Zeitreise der Joan Baez

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