Gleich wird Greser über das Grundsätzliche sprechen. Zum Beispiel sagen: „Dass man über alles einen Witz macht.“ Und auch erklären, was heute dagegen nichts weniger als das „Ende der Komik“ sei. Aber vorher muss Lenz hier erzählen, wie alles angefangen hat. Denn er sagt, dass Horst Haitzinger, dessen Werke über Jahrzehnte auch in dieser Zeitung erschienen, für sie „einer von den ganz, ganz wenigen Tageszeitungs-Karikaturisten war, den wir sehr, sehr geschätzt haben, weil er einer der ganz, ganz wenigen war, der wirklich Geschichten erzählt hat“. Jetzt, da sie mit Ausstellung und Prachtbildband Jubiläum feiern, sind die beiden selbst die Größten hierzulande: „Greser&Lenz“.
Das sind Achim Greser und Heribert Lenz, beide Jahrgang 1961, deren Karikaturen seit vielen Jahren auch in unserem „Wochenend-Journal“ erscheinen, sie lernten sich beim Studium an der FH Würzburg kennen. Greser sagt mit Thomas Bernhard, bloß in sehr fränkischem Ton: „Im Sumpf der Kunsthochschulen, da erblühen solche Orchideen, mit ihrer Mischung aus zeitgeschichtlichem Interesse und zeichnerischer Fertigkeit, komischem und kritischem Blick auf die Welt.“ Lenz sagt: „Wir haben uns an der Titanic hochgezogen, uns zusammen in die Kneipen gesetzt, das auch probiert, die Blätter untereinander weitergeschoben“ – aber eigentlich nicht für möglich gehalten, dass das mal ihr Beruf werden könnte.
Doch nach ersten Veröffentlichungen in der Titanic ermöglichte ihnen vor 25 Jahren die feste Aufnahme am anderen Ende des Publikationsspektrums die bis heute anhaltende, in einem gemeinsamen Haus in Aschaffenburg ansässige Künstler-Duo-Existenz: zwischendurch zwar auch Stern und Focus, aber vor allem und ausgerechnet und in all den Jahren treu druckte und druckt die konservative, betont seriöse FAZ ihre Witze. Dass sie vermeintlich besser ins Spektrum des Spiegel passten, dazu gibt es selbst eine bittere Pointe.
Aber zunächst mal müssen die beiden sich ja zur Arbeit treffen, immer um halb elf im hausinternen Atelier („Wir hatten noch nie was anderes als Homeoffice“) und schauen, wo sich an diesem Tag im Nachrichtengeschehen ein Ansatz finden, woraus sich „ein Plot“ machen lässt, wie Greser das nennt: „Wir brauchen immer einen komischen Aspekt an einer Geschichte, auf der man eine eigene Geschichte aufbauen kann.“ Und Lenz sagt: „Wahrscheinlich liegt es daran, dass wir beide früher Ministranten waren und den reichen Bilderschatz der Kirchen und Kapellen noch zu schätzen gelernt haben, dass wir so aufwendig und in realistischen Milieus zeichnen.“ So geht es immer wieder ins bayrische Wirtshaus oder zum Ebbelwoi, schon mal in die Hölle, oft in Zweiraumwohnungen, Prominenz meist nur in Alltagsanverwandlung. Lenz sagt: „Merkel haben wir höchstens zehn Mal gezeichnet.“ Und Laschet, Baerbock, Scholz? „Alle viel zu langweilig. Wir versuchen immer, um das Politikerpersonal drum rum zu kommen, eher ganz normale Menschen und Auswirkungen des Zeitgeschehens auf sie zu zeigen.“ Ausnahme: Putin. Aber vor allem: Trump. „Das sind beides sowieso fast Comicfiguren, Donald mit seiner Frisur, seinem Wahnsinn – das ist schon spektakulär.“ Übrigens zeichnet an jedem Motiv immer nur einer, aber generell beide und im steten Wechsel.
Die Debatten und ihre "Wärter und Wächter"
Doch nun Greser zum Grundsätzlichen: Wen und was aufs Korn? „Wir haben das immer so gehalten, dass wir das ganz gleichmäßig verteilen. Dahinter stehen der Wunsch und die Vorstellung, mit der wir auch groß geworden sind, dass man über alles einen Witz macht. Das ist fester Bestandteil, aufgeklärter zwischenmenschlicher Kommunikation, auch ironisch miteinander umzugehen.“ Dabei gebe es heute ohnehin Probleme, weil Witzemacher „kaum noch von einer gemeinsamen Grundlage der Informiertheit ausgehen“ könnten.
Dazu kommt nun die Sache mit dem „Ende der Komik“. Denn: „Wenn einzelne Witze verboten werden oder einzelne gesellschaftliche Gruppen ausgenommen werden“, dann bedrohe das das ganze Prinzip. Greser meint die identitätskulturellen Debatten, „wo meistens ja nicht die selbst Betroffenen, sondern stellvertretende Wärter und Wächter auftreten und heutzutage ja auch die kommunikativen Mittel zur Hand haben, großen Radau zu schlagen“. Die unbedingte Moral, der bittere Ernst, der sofortige Exekutionswille: „Das alles betrifft uns sehr.“
Der Druck der täglichen Produktion
Lenz nennt auch die Geschichte mit dem Spiegel eine herbe. Der hatte dem Duo nach nur einem Jahr gekündigt, im Zuge der Relotius-Affäre um gefälschte Reportagen mit dem Hinweis: Das Magazin wolle „mehr auf Wahrhaftigkeit setzen“. Im Prachtband zum Jubiläum ist die so kluge wie klare Antwort von Greser&Lenz abgedruckt. Am Ende von 700 Seiten voller großartiger Karikaturen des Duos lässt sich, zwei Jahre danach, auch darüber lachen. Nicht lustig ist höchstens, wenn Lenz sagt, auch für sie werde, wie einst für Haitzinger, wohl „irgendwann bald mal die Überlegung kommen“, dem täglichen Produktionsdruck ein Ende zu setzen, aufzuhören. Da stimmt der Titel des Buches dann auch: „Schlimm!“
Greser & Lenz: Schlimm. Kunstmann, 705 Seiten, 48 Euro.