Man könnte meinen, Brät sei der Kleber, der die bairische Gesellschaft zusammenhält. Beim gemeinsamen Weißwurstfrühstück, bei der Leberkässemmel in der Mittagspause oder zur Brätnockerlsuppe am Abend. Die fleischige Masse, bei deren Herstellung selbst Fleischesser lieber wegschauen, formt die regionale Speisekarte. Auch auf dem Oktoberfest. Die Großveranstaltung ist ein Schlaraffenland für Fleischliebhaber. Doch dieses Jahr haben sie Konkurrenz, denn auf der Wiesn isst man jetzt auch vegan. Ist die fleischlose Bewegung also im Herzen der Bayern angekommen, oder brauchts da noch mehr?
Seit 2009 ist das vegane Angebot auf dem Oktoberfest gewachsen
Neben Haxn, Hendl und Ochsen gibt es jetzt auch Kartoffelwaffeln mit Schwammerlragout, vegane Currywurst, Seitangulasch oder veganen Leberkäs. Die fleischlosen Schmankerl sind in mehreren Zelten zu bekommen. Festleiter Clemens Baumgärtner (CSU) spricht von einem ergänzenden Angebot, das den Charakter der Wiesn nicht verändert. Vor neun Jahren wurde das erste Mal ein veganes Gericht auf dem Oktoberfest angeboten. In den zwei Jahren Corona-Pause hatten die Wirte Zeit, ihre Rezepte zu perfektionieren.
Jetzt müssen die Gerichte zeigen, was sie können. Punkte werden für Form, Farbe, Konsistenz und Geschmack vergeben. Denn nicht nur Vollveganer und Vegetarier bestellen die fleischlosen Alternativen. Knapp die Hälfte der deutschen Bevölkerung will zumindest weniger Fleisch essen – also auch mal den veganen Leberkäs auf der Wiesn bestellen. Da ziehen die Gäste natürlich den Vergleich zum Original.
Der Leberkäs, den es zum Beispiel im Herzkasperlzelt gibt, sieht auf den ersten Blick aus wie Leberkäs. Mit Kartoffelsalat als Beilage und ein paar grünen Blättern Salat. Von der Konsistenz reicht er an die dichte Masse eines Fleischkäses ran. Nicht ganz so saftig. Aber abgesehen davon hat er eine stabile Form auf dem Teller. Die Gewürze stimmen, der Rosaton mit einem Hauch von grau auch.
Vegane Weißwurst wird auf der Wiesn ohne Brezn serviert
Nicht so überzeugend kommt dagegen die Weißwurst daher. Kabarettistin Monika Gruber verglich sie im Bayerischen Rundfunk mit "gepressten Sägespänen". Lust auf die Veggie-Wurst machen solche Aussagen nicht. Kontrovers ist das vegane Gericht auch deshalb, weil es nicht immer eine Brezn dazu gibt. Mei, und das soll a Weißwurschtfrühstück sein? Da wird dem veganen Bayer gleich seine halbe Identität vorenthalten. Denn Brezn werden teils noch mit Schweineschmalz bestrichen. Für das zusätzliche G'schmäckle.
Aber zurück zur Weißwurst. Aus einem Kunst- oder Tierdarm muss die vegane Wurst nicht gepellt oder gezuzelt werden. Sie kommt ohne den hauchdünnen Mantel aus. Das macht das Verspeisen einfacher, wirkt sich aber auf die Konsistenz aus. Denn während die originale Weißwurst zur fluffigeren Fleischmischung zählt – dank der kleinen Luftblasen, in denen sich beim Kochen der Saft sammelt – ist die fleischlose Version bläschenfrei und relativ fest. Da ist in der Entwicklung also noch Luft nach oben. Fleischesser lassen sich mit dieser Form der veganen Wurst wohl kaum überzeugen, schon gar nicht in Bayern.
Probieren geht über studieren – oder granteln
Denn der Fleischkonsum in Deutschland sank laut Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung zwar von 61 Kilogramm 2018 auf 55 Kilogramm 2021. Doch die Bayerinnen und Bayern essen mit am meisten Fleisch. Häufig fehlt vielleicht einfach der Wille, der veganen Küche eine zu Chance geben. "Bähh" oder "Ich ess meinem Essen sonst das Essen weg", sagt der Ich-verzichte-nicht-auf-Fleisch-Missionar und moniert gleich noch, dass die vegane und vegetarische Bewegung aus Heuchlern besteht. Und wieso werden fleischlose Gerichte eigentlich nach Fleisch-Gerichten benannt? Wieso wird ein Seitan-Gericht als veganes Huhn vermarktet?
Auf dem Oktoberfest schaffen solche Bezeichnungen Klarheit. Denn für viele ist vegan ja immer noch neu, gerade auf der Wiesn und mit etwas, das sich "Gebratener Erbsen-Protein-Zylinder" nennt, überzeugt man vermutlich niemanden, der eine fleischfreie Alternative zur Rostbratwurst sucht. Am Ende sollte nicht der Name entscheiden, ob jemand zur fleischfreien Alternative greift. Es zählt: Erlaubt ist, was schmeckt. "Probier's wenigstens mal", würden Mütter sagen. Wenn's nicht schmeckt, kann man immer noch ein halbes Hendl bestellen.