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Seuchen: Forschung lüftet Geheimnis: Woher kam die Pest?

Seuchen

Forschung lüftet Geheimnis: Woher kam die Pest?

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     Eine elektronenmikroskopische Aufnahme zeigt das Pestbakterium Yersinia pestis, den Erreger der mittelalterlichen Pestepidemien.
    Eine elektronenmikroskopische Aufnahme zeigt das Pestbakterium Yersinia pestis, den Erreger der mittelalterlichen Pestepidemien. Foto: dpa

    Im Jahr 2017 wütete auf der Insel Madagaskar die Pest. Tausende Menschen steckten sich nachweislich an, mehr als 200 Menschen starben. Der Ausbruch rief eine Krankheit in Erinnerung, die zumindest viele Menschen der westlichen Welt lediglich als Schrecken längst vergessener Zeiten kennen. Sie verursachte den „Schwarzen Tod“, eine der größten Pandemien der Menschheitsgeschichte. Die Seuche breitete sich zwischen 1346 und 1353 in Europa aus, tötete Millionen Menschen und hatte politische und soziale Umwälzungen zur Folge. Wo sie damals ihren Ursprung hatte, ist trotz zahlreicher Forschungen zum Thema nicht gesichert. Nun glauben Wissenschaftler, den Ausgangspunkt des Seuchenzuges gefunden zu haben.

    Grundlage der Studie, die Forschende um Johannes Krause vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie (Leipzig) im Fachmagazin Nature vorstellen, bilden genetische Analysen des Pesterregers, des Bakteriums Yersina pestis. Die Forscher suchten in den Überresten von sieben Menschen, die in den Jahren 1338/39 auf zwei Friedhöfen nahe dem Yssykköl, dem größten See Kirgisistans, begraben worden waren, nach genetischen Spuren des Pest-Bakteriums.

    Übersterblichkeit in den Jahren 1338 und 1339

    Der Hintergrund: Aus syrisch-aramäischen Inschriften auf einigen der Grabsteine geht hervor, dass die dort beerdigten Menschen an „Pestilenz“ gestorben waren. Seit den ersten archäologischen Untersuchungen der Gräber zwischen 1885 und 1892 rätselten Fachleute, ob die Pest die unbekannte Seuche gewesen sein könnte, die damals die ungewöhnlich hohe Zahl an Bestattungen verursacht hatte.

    „Von den 467 präzise datierten Grabsteinen aus der Zeit zwischen 448 und 1345 stammten 118 aus den Jahren 1338 und 1339“, erläutert Phil Slavin, Historiker der University of Sterling (Großbritannien) und einer der Hauptautoren der Studie. „Es ist offensichtlich, dass irgendetwas vor sich geht, wenn man ein bis zwei Jahre mit einer derartigen Übersterblichkeit hat.“ Tatsächlich stießen die Forschenden in Überresten von drei der Verstorbenen auf Erbgut des Erregers. „Wir konnten endlich nachweisen, dass die auf den Grabsteinen erwähnte Epidemie durch die Pest verursacht wurde.“

     Dieses Massengrab aus dem Pestjahr 1644 wurde in den Sechziger-Jahren des letzten Jahrhunderts am Lindenberg in Bissingen entdeckt.
    Dieses Massengrab aus dem Pestjahr 1644 wurde in den Sechziger-Jahren des letzten Jahrhunderts am Lindenberg in Bissingen entdeckt. Foto: Herreiner

    Was bedeutet das für den Ursprung des „Schwarzen Todes“ – die Pandemie, die wenige Jahre nach diesem Pestausbruch vor allem in Europa wütete? Ist die bisher populärste Theorie, dass die Seuche ihren Ausgang in Ostasien nahm, speziell in China, damit vom Tisch? Die Forscher zumindest sind zuversichtlich, mit den Gräbern in Kirgisistan die Ursprungsregion des Schwarzen Todes gefunden zu haben, dessen Name vermutlich auf die manchmal auftretende schwarze Verfärbung der Haut Infizierter zurückgeht. Sie begründen dies zum einen mit den Ergebnissen ihrer detaillierten genetischen Analyse. Die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen hatten die Pestgenome aus Kirgisistan mit Genomen weiterer historischer sowie mit dem heute noch zirkulierender Stämme verglichen. Modellierungen zeigten, dass die Genome aus Kirgisistan zu einer sehr ursprünglichen Variante gehören und aus der Zeit vor dem sogenannten Urknall der Pestdiversität stammen – ein Begriff, der die starke genetische Aufspaltung der Peststämme beschreibt.

    „Wir fanden heraus, dass sich die alten Stämme aus Kirgisistan genau am Knotenpunkt dieses massiven Diversifizierungsereignisses befinden“, sagt die Erstautorin der Studie, Maria Spyrou, von der Universität Tübingen. „Es ist uns also tatsächlich gelungen, den Ursprungsstamm des Schwarzen Todes und seinen genauen Ausbruchszeitpunkt – das Jahr 1338 – zu bestimmen.“

    Gestärkt wird die Vermutung durch die Analyse von Pesterregern, die heute in Nagetieren der Region zu finden sind, sogenannten Pestreservoiren. Die Ergebnisse legen nahe, dass der Erreger aus der Region des nahen Tian-Shan-Gebirges stammt. „Moderne, mit dem alten Stamm am engsten verwandte Stämme finden wir heute in Pestreservoiren rund um das Tian-Shan-Gebirge, also ganz in der Nähe des Fundortes dieses alten Stammes“, erläutert Krause. „Der Vorfahre des Schwarzen Todes scheint also in Zentralasien entstanden zu sein.“

    Natürlich könne der Ursprung der Epidemie auch 50 oder 100 Kilometer im Umkreis des Fundortes liegen – einen Ursprung in China hält der Paläogenetiker aber für unwahrscheinlich. Dann müssten auch in Nagern dort Verwandte des historischen Erregers zu finden sein.

    Mit den Pelzen wurden auch die Erreger transportiert

    Bei der Ausbreitung des Erregers von Kirgisistan nach Europa spielte der Handel vermutlich eine wesentliche Rolle, wie die Forscher weiter berichten. Archäologische Funde zeigten, dass die in Kirgisistan untersuchten Gemeinschaften Handwerker und Händler waren. In den Mittelmeerraum gelangte der Schwarze Tod dann vermutlich im Jahr 1347 mit Handelsschiffen aus dem Schwarzen Meer. Bereits vor einigen Jahren hatten Forschende – ebenfalls nach genetischen Analysen von Pestbakterien – berichtet, dass der Pelzhandel einen möglichen Transportweg für die Erreger innerhalb Europas darstellte.

    Dass sich Jahrhunderte nach dem Auftreten überhaupt noch Forscher für die Pandemie interessieren, liegt wohl einerseits an ihrem massiven Ausmaß: Der Schwarze Tod breitete sich nach seiner Ankunft im Mittelmeerraum binnen kurzer Zeit in Europa, dem Nahen Osten und in Nordafrika aus. Schätzungen zufolge raffte die Pandemie mindestens 30 Prozent der Bevölkerung dahin, einige Schätzungen reichen bis zu 50, 60 Prozent.

    Die Figur eines Pestdoktors mit einer Schnabelmaske steht neben einer Pestbahre, die aus dem Jahr 1682 stammt.
    Die Figur eines Pestdoktors mit einer Schnabelmaske steht neben einer Pestbahre, die aus dem Jahr 1682 stammt. Foto: Moritz Frankenberg/dpa

    Tatsächlich war die Sterblichkeit wohl von Region zu Region sehr unterschiedlich, wie in Nature Ecology & Evolution veröffentlichte Untersuchungen zeigen. Nach Pollenanalysen in 19 Ländern Europas berichten Forschende vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte, dass die Landwirtschaft in einigen Regionen zum Erliegen kam, während sie in anderen weiter betrieben wurde – die Pest wütete also nicht überall gleich stark, folgern die Wissenschaftler. Hartnäckig war sie hingegen schon: Die erste Infektionswelle, der Schwarze Tod, weitete sich zur sogenannten Zweiten Pestpandemie aus, die noch bis ins frühe 19. Jahrhundert regelmäßig für Ausbrüche in verschiedenen Gebieten sorgte.

    Das Ausmaß der Pandemie ist aber nicht der einzige Grund für das anhaltende Interesse – sondern auch die Gefahr des Auftretens neuer Erreger in heutiger Zeit. „Genau wie Covid war der Schwarze Tod eine neu auftretende Erkrankung, und sie war der Beginn einer gewaltigen Pandemie, die für rund 500 Jahre anhielt“, sagt Krause. „Es ist sehr wichtig zu verstehen, unter welchen Umständen sie entstanden ist.“

    Könnte die Pest auch heute wieder Schrecken verbreiten?

    Könnte auch die Pest heute wieder ähnlichen Schrecken verbreiten wie damals? Die Forscher halten das für wenig wahrscheinlich. Die Pest sei in erster Linie eine Erkrankung von Nagetieren, nicht so sehr des Menschen, erläutert Krause. „Der Hauptgrund dafür, dass wir in den vergangenen Jahrhunderten keine wesentlichen Ausbrüche mehr hatten, ist Hygiene. Wir leben einfach nicht mehr so in der Nähe von Nagern wie in der Vergangenheit und wir haben weniger Flöhe als in der Vergangenheit – damit ist auch das Übertragungsrisiko geringer.“ Dennoch tritt die Pest auch heute noch in verschiedenen Ländern immer wieder auf – wie 2017 in Madagaskar. Neben dem Inselstaat sind die Demokratische Republik Kongo sowie Peru am stärksten von der Pest betroffen. Insgesamt fordert die mittlerweile gut behandelbare Infektionskrankheit heute nur noch wenige Todesopfer. Nach Angaben der WHO wurden zwischen 2010 und 2015 weltweit 3248 Erkrankte registriert, 584 davon starben.

    Warum die Pest ausgerechnet im frühen 14. Jahrhundert eine derart massive Pandemie verursachte, ist nicht genau bekannt. „Vermutlich waren der Schwarze Tod und seine Ankunft in Europa mehr oder weniger Zufall“, sagt Krause. Der Erreger sei dort auf eine immunologisch naive Population gestoßen – von Nagern und von Menschen. „Das letzte Mal, dass die Pest – so weit wir wissen – in Europa war, war im 8. Jahrhundert. Für 600 Jahre gab es also keine Pest. Niemand wusste – weder kulturell noch biologisch – wie mit dieser Krankheit umzugehen ist.“ (dpa)

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