Pro: Gipfelkreuze motivieren und geben Orientierung
Mehrere Millionen Menschen tummeln sich jährlich in den bayerischen Alpen. Jahr für Jahr werden es mehr. Sie kraxeln, erklimmen und hatschen, bis die Sohlen glühen. Alle wollen sie hoch hinaus, viele sogar bis auf die Spitze. Zum Gipfelkreuz - eine Wander-Trophäe, die an Ort und Stelle bleibt, aber wunderbar taugt als Hintergrundmotiv fürs Selfie. Aus der Zeit gefallen sind die Kreuze also keineswegs.
Klar: Die religiöse Symbolik ist ihnen nicht abzusprechen, sie sind seit jeher Teil christlicher Tradition. Und doch, sie stehen für so viel mehr. Für alpine Kultur, für Achtsam- und Dankbarkeit gegenüber der Natur, manche haben sogar eine ganz praktische Funktion. Sie sind mit Messinstrumenten und Blitzableitern ausgestattet und liefern wichtige Wetterdaten. Zudem dienen die schon von weitem zu sehenden Kreuze als Orientierungspunkt, als permanenter Motivator für Gipfelstürmer: "Bis dorthin schaff ich's!".
Mag nun manch einer fragen: Müssen es denn ausgerechnet Kreuze sein? Und die Antwort wäre wohl "Nein". Aber sie deswegen abbauen? Blödsinn. Schließlich würde im Himalaya auch niemand auf die Idee kommen, die Gebetsfahnen von den Bergen zu rupfen.
Die Debatte um die Gipfelkreuze ist eine Diskussion um ihrer selbst Willen. Verbaler Aktionismus, viel Wirbel um nichts, in den zuletzt auch Ministerpräsident Markus Söder ein paar Worte mitfliegen ließ: "Wir stehen zum Kreuz. [Sie] werden in Bayern nicht abgebaut!" Wäre ja auch der Gipfel! Auf selbigem angekommen, sollten Bergsteiger sich von alledem nicht irritieren lassen - in Ruhe die Aussicht genießen und am Kreuz mit einem Gipfelbier anstoßen. (Matthias Kleber)
Contra: Als Monument der Schönheit steht der Berg für sich
Markus Söder, der bayerische Bergprediger und Bewahrer von Bier und Brezen, hat mal wieder ins Blaue gesprochen und verkündet, man möge die Kreuze auf den Gipfeln lassen, denn sie stünden nicht nur als Zeichen religiöser Ehrfurcht da oben, sondern offenbarten auch Demut vor der Natur.
Überdimensionierte Metallgestänge und Holzbalken auf den Berg zu hieven und sie in den Boden zu rammen, klingt nicht unbedingt nach Naturschutz. Aber wenn sich die Millionen Menschen, die jedes Jahr auf die Gipfel kraxeln, dem Himmel und Gott dadurch näher fühlen. Sei’s drum.
Wobei die meisten wahrscheinlich eher für ein Selfie statt für ein Stoßgebet auf den Berg hatschen. Aber dem steht das Allerheiligste dann auch nur im Weg und durchkreuzt die Aussicht. Abgesehen davon hechelt man doch nicht hunderte Höhenmeter hinauf, um im Schweiße seines Angesichts zu Kreuze zu kriechen und dankbar zu sein für das, was man da eben geschafft hat. Lieber blickt man stolz in die Tiefe und genießt das Gefühl, aus eigener Kraft den Berg bezwungen zu haben.
Wenn selbst der Berggott Reinhold Messner vom Kreuz-Wahn spricht, ist es vielleicht wirklich Zeit, die Kirche im Dorf und das Kreuz in der Kirche zu lassen. „Niemand hat das Recht, einen Berg für seine Religion zu besetzen“, erklärt Messner. „Am liebsten wäre mir, wenn gar nichts mehr auf den Berggipfeln stünde.“ Kreuze aufstellen, Statuen errichten, Flaggen hissen, der Mensch setzt sich gerne ein Denkmal. Landmarken, nur um zu sagen: Wir waren hier. Darin steckt auch ein bisschen menschlicher Größenwahn. Aber egal, wie viele Kreuze auf den Gipfel getragen werden, der Berg steht für sich. Ein Monument der Schönheit. Er braucht kein Kreuz. (Felicitas Lachmayr)