Herr Haas, 25 Jahre ist es jetzt her, dass Sie gleich mit Ihrem literarischen Debüt den Deutschen Krimipreis gewonnen haben. Wie erinnern Sie diese Zeit? Denn „Auferstehung der Toten“, dieser erste Brenner-Roman hat doch Ihr Leben ziemlich nachhaltig verändert, oder?
Wolf Haas: Eigentlich ging es ganz beschaulich los. Das erste Buch ist ja noch in einer Taschenbuch-Krimireihe erschienen und erschreckte erstmal nur ein paar eingefleischte Krimileser. Der „Knochenmann“ war mein zweiter Brenner, und der dritte ist dann schon mehr Leuten aufgefallen. Das war die Rettungsfahrergeschichte „Komm, süßer Tod.“ Mit der Zeit hab ich dann auch die Leser erreicht, die um Krimis eigentlich einen weiten Bogen machen.
Es kursiert die schöne Geschichte, dass eine Therapie die Initialzündung für Ihre Karriere lieferte (weil Sie da eingestanden haben, dass Ihr Traum eigentlich immer war, Schriftsteller zu werden, und quasi den Auftrag bekam, es dann doch einfach mal wirklich zu probieren). Stimmt das eigentlich?
Haas: Naja, wie alles im Leben stimmt es so halb. Ich hab mal erzählt, dass ich eine Therapie gemacht hab, um nach jahrelang erfolgloser Verlagssuche den sinnlosen Wunsch loszuwerden, Schriftsteller zu werden. Das ging sozusagen nach hinten los.
Woher kommt die geradezu Kult gewordene Erzählstimme, die von Anfang die Bücher geprägt hat und jetzt auch „Müll“, den neunten Brenner-Roman, prägt? War die damals einfach schon da?
Haas: Ursprünglich war das nur ein Intermezzo in einem längeren Text, der insgesamt in einem normaleren, literarischen Stil geschrieben war. Als dieser Text fertig war, hab ich mich gefragt, warum ist es links und rechts von dieser seltsamen Stelle so langweilig. Irgendwann hab ich mich getraut, ein ganzes Buch so zu schreiben. Klingt im Nachhinein sehr einfach, war aber für einen unveröffentlichten Autor sozusagen ein Wagnis, weil man ja nicht den Vertrauensvorschuss hat, dass man schon weiß, was man da tut.
Und können Sie die jetzt mit ihren typischen Einsprengseln – frage nicht, ja was glaubst du, alles ein bisschen dings, Schweigekartell Hilfsausdruck – einfach abrufen? Oder haben Sie da Rituale des Evozierens, lesen vielleicht sogar vorher in älteren Brennern zur Einstimmung?
Haas: Eigentlich muss ich mir nur diesen beflissenen Erzähler vorstellen, dann entsteht automatisch dieser Tonfall. Mir ist auch auf Fotos von Lesungen aufgefallen, dass ich beim Lesen vor lauter Identifikation immer ziemlich blöd aus den Augen schau. So rächt sich der Erzähler an mir.
Und dann ist da noch die Freude des studierten Linguisten, der mitten im Krimi auch mal genauer auf einen Satz schaut, ihn zerlegt und nach Unstimmigkeiten abklopft, oder? Wie etwa an dieser Stelle, die man dazu als ganze zitieren muss. „Weil brauchst du nur zwei und zwei zusammenzählen, wenn bei der Flamme des Ermordeten, oder wie soll ich das jetzt ausdrücken, Zukünftige klingt auch blöd bei einem Toten, aber jedenfalls, wenn bei der ein Einsatz ist. Bei der Frau, zu der der Ermordete ziehen wollte, neutral gesprochen. Also, der Ermordete, bevor er der Ermordete war. Manchmal ist es verhext, je richtiger man es ausdrücken will, umso komplizierte wird es. Die Roswitha war einfach die Roswitha und aus!“ Macht einen beim Lesen nicht nur lächeln, sondern liest sich auch, als würde Ihnen das Spaß machen…
Haas: Das ist schon eine grenzwertige Stelle. Aber das Schreiben macht mir nur Spaß, wenn ich nicht ganz sicher bin, ob ich mich nicht schon zu weit aus dem Fenster lehne.
Aber seit Sie den Erzähler mal sterben haben lassen, was schon wie das Ende der Brenner-Krimis wirkte, und dann einfach wiedererweckt haben, dürfen Sie doch eh alles, oder?
Haas: Ja, ich finde auch, dass ich alles darf. Aber komischerweise muss man sich zwischendurch immer wieder dazu ermutigen. Man ist ja umgeben von ermahnenden Zeigefingern – äußeren und inneren.
Bloß den Brenner sterben lassen, das dürfen Sie nicht. Außer Sie machen mal ernst mit dem Ende der Serie. Also wenn Sie mal gar kein Geld mehr brauchen und bloß noch Kunstwerke schaffen wollen… Vorstellbar?
Haas: Die Nicht-Brenner-Bücher hab ich auch nicht mit der Absicht geschrieben, Kunstwerke zu schaffen. Und ein Brenner ist für mich nicht per se künstlerisch uninteressanter als die anderen Bücher. Ich will mich in jedem Fall einfach selbst unterhalten.
In den vergangenen 15 Jahren haben Sie sich zwischen neuen Brenner-Teilen ja die Freiheit genommen zu je einem Roman genutzt, Bücher ganz anderer Art, angefangen mit dem genialischen Dialog-Roman „Das Wetter vor 15 Jahren“. Dann kam das verspielte, experimentell postmoderne „Verteidigung der Missionarsstellung“ bis hin zur ganz klaren, einfachen „straight Story“ von „Junger Mann“. Können wir uns beim nächsten Haas also wieder auf etwas ganz anderes, Mutiges gefasst machen? Es war mit „Die Gans im Gegenteil“ ja auch mal ein Kinderbuch dabei…
Haas: Das wüsste ich auch gern, worauf ich mich gefasst machen muss. Meistens wird das Buch, das ich schreiben will, nichts, und ein anderes, das vor zehn Jahren auf halber Strecke verreckt ist, wird auf einmal von selbst fertig.
Sie könnten doch mal einen politischen Roman schreiben, einen Polit-Thriller quasi, nach dem, was sich in letzter Zeit so in der österreichischen Politik getan hat…
Haas: Ja, das wäre aber dann eine Tragödie.
Als Krimi-Autor muss man auf der Suche nach neuen Szenerien ja immer bereit sein, in der Welt und Menschen das Abgründige zu sehen. Auch wenn Sie es dann mit einer gehörigen Portion Humor servieren: Muss man schon auch mögen diesen Blick. Liegt Ihnen also? Lesen Sie auch selber gern?
Haas: Eigentlich ist das Abgründige ja nicht etwas, das ich suche, sondern etwas, das einfach da ist. Und Humor ist das Einzige, was dagegen hilft.
Und der Brenner, was der eigentlich für Sie? Mit einer solchen Figur, die einen 25 Jahre begleitet, mit der man 25 Jahre immer wieder lebt: Wird der nicht zu so etwas wie einem Freund, einem Verwandten?
Haas: Ein bisschen verwandt war er wohl von Anfang an. Aber er interessiert sich nicht so für mich, wie ich mich für ihn. Eine einseitige Liebe.
Sehen Sie den Brenner eigentlich inzwischen auch mit dem Gesicht von Josef Hader, der die Rolle in den Verfilmungen ja kongenial ausfüllt?
Haas: Es gab ja schon vier Brenner-Romane, als die erste Verfilmung entstand. Da hatte ich schon mein eigenes Gesicht im Kopf. Aber ich denk beim Schreiben sowieso kaum an das Gesicht, eher an seinen Blick auf die Welt. Und an den Blick des Erzählers auf den Brenner.
Im neuen Teil begegnen wir dem Brenner, einer Randexistenz in immer neuen Facetten, ja als Mistler, er arbeitet also auf einem Müllentsorgungsplatz, Wertstoffcenter heißen die ja heute gerne auch aufwertend. Haben Sie da so was wie ein Praktikum gemacht, so genau wie Sie die Vorgänge dort beschreiben? Schön jedenfalls, wie Sie dort die Zivilisation spiegeln, die im Umgang mit ihren Hinterlassenschaften kenntlich wird …
Haas: Es freut mich, wenn es so wirkt. Ich bin halt manchmal hingefahren, wenn es was zum Wegschmeißen gab. Aber ich muss zugeben, es gefällt mir dort. So ein städtischer Müllplatz hat was Idyllisches, weil alles seinen richtigen Platz hat mit nummerierten Materialwannen. Im Prinzip ist es ein Ort der Sauberkeit und Aufgeräumtheit. Und Bagger gibt es auch. Es hat auch was Rührendes, wie man versucht, anhand der peniblen Material-Kategorien dem Chaos Herr zu werden.
Es gibt neben manch Brutalem – es beginnt gleich mit einer zerstückelten Leiche – viele bildstarke Szenen: Der Brenner mit Handschellen an ein Bett fixiert, über viele Stunden, neben einer ziemlich erstaunlichen Frau, aber so gar nicht libidinös; und dann eine Jagd, geradezu aus Drohnenperspektive, über die Autobahn. Denken Sie beim Schreiben den Film inzwischen unweigerlich mit? Und bei der Gelegenheit freilich auch gleich gefragt: Ist denn schon eine weitere Verfilmung geplant im Trio mit Josef Hader und Regisseur Wolfgang Murnberger?
Haas: Wenn man beim Lesen einen Film im Kopf hat, ist der Film ja eigentlich schon fertig. Das ist für mich wichtiger als die Frage, ob das Buch einmal verfilmt wird.
Das Buch Wolf Haas: "Müll". Hoffmann und Campe, 288 Seiten, 24 Euro