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Interview: Rufus Beck: "Harry Potter wäre ein Klimaaktivist"

Interview

Rufus Beck: "Harry Potter wäre ein Klimaaktivist"

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    Hat es bis heute keinen der Harry-Potter-Filme gesehen: Schauspieler und Sprecher Rufus Beck, der sämtliche Bände für den Hörverlag eingesprochen hat.
    Hat es bis heute keinen der Harry-Potter-Filme gesehen: Schauspieler und Sprecher Rufus Beck, der sämtliche Bände für den Hörverlag eingesprochen hat. Foto: Sven Hoppe, picture alliance

    Im Juli vor 25 Jahren erschien bei uns der erste Band über den Zauberlehrling „Harry Potter und der Stein der Weisen“. Damals ahnte niemand, wie sehr die mit der Zahl der Bücher wachsende Potter-Mania eine ganze Generation prägen würde. Erinnern Sie sich noch daran, dass Jugendliche vor Bücherläden campierten, um als erste den nächsten Harry Potter in der Hand zu halten?
    RUFUS BECK: Natürlich, das war ja immer ein unglaublicher Hype vor dem nächsten Harry-Potter-Band. Da campierten die Fans vor den Buchläden, um möglichst als erste um Mitternacht das Buch oder auch das Hörbuch, das gleichzeitig erschien, zu ergattern. Ich kann mich auch noch sehr gut daran erinnern, als 2001 der erste Band „Harry Potter und der Stein der Weisen“ erschien, das waren neun CDs, knapp neun Stunden. Die Aufnahmen fanden im Jahr 2000 statt, also knapp zwei Jahre, nachdem der erste Harry Potter in England erschienen ist. Ich hatte zu Hause das Manuskript gelesen und fand das unglaublich witzig. Was mir sehr gut gefallen hat, war die Idee, dass die Zaubererwelt heutzutage stattfindet und nicht in irgendeinem Mittelalter. Sondern es gibt eine Parallelwelt, und wir Menschen sind Muggel. Und immer wenn wir mit Magie konfrontiert werden oder Zauberer entdecken, gibt es eine Erinnerungslöschung des Ministeriums. Unglaublich witzig diese ersten Erzählungen. Joan Rowling musste sich damals sehr kurzfassen. Es war ja der erste Band, und ich wusste damals noch nicht, dass sechs weitere folgen sollen.

    Was hat Sie an der Figur des Zauberlehrlings fasziniert?
    BECK: Wir haben einiges gemeinsam, Harry Potter und ich. Ich habe auch die meiste Zeit meiner Jugend im Internat verbracht. Und ich weiß, was es bedeutet, fernab der Eltern „überleben“ zu müssen. Du brauchst Freunde, und es gibt aber auch Menschen, die dir nicht wohlgesonnen sind. Du musst sehr früh wissen, wo du hingehörst und welche Rolle du spielst. Und Abenteuer hatten wir natürlich auch bei uns im Internat. Es ist natürlich eine große Belastung, denk ich mal, in zwei Familien zu leben – in der Internatsfamilie und der eigenen Familie. Bei Harry ist das viel schwieriger, weil die Eltern nicht mehr leben. Davon handelt ja eigentlich auch Harry Potter. Von einem Erwachsenenwerden und dem Verlust der Eltern und der großen Frage, wer bin ich. Warum bin ich auf der Welt? Was ist meine Reise, was ist meine Vision, was ist der Sinn? Wo stehe ich grade im Leben? Das sind die großen Fragen, die sich Harry Potter stellt. 

    Sie kennen die Figur Harry Potter in- und auswendig, haben alle Bände eingesprochen und sich in jede Figur eingefühlt. Nun ist der junge Zauberlehrling zum biederen Familienvater mutiert. Können Sie diesen Werdegang nachvollziehen?
    BECK: Ich finde nicht, dass ein Familienvater unbedingt bieder sein muss. Ein Familienvater hat eine unglaubliche Verantwortung, und in einer gesunden Familie ist man füreinander da. Man zeigt seine Liebe, es ist ein Geschenk, lieben zu dürfen und Verantwortung zu übernehmen. Joan Rowling hat ja schon in ihrem letzten Band im Epilog festgehalten, dass Harry Potter Familienvater werden wird. Und ich finde das absolut nachvollziehbar. Harry Potter ist nun einmal das größte Werk, das sie geschrieben hat. Da wird kein größeres folgen. Es ist sehr schwer, von dieser gewaltigen Geschichte, sieben Bände, loszukommen.

    Sie haben nicht nur Harry Ihre Stimme verliehen, sondern allen Figuren, die Rowling für Ihr Harry-Potter-Universum erschaffen hat. Wie ist es Ihnen gelungen, stimmlich vom jungen Helden zum teuflischen Voldemort zu wechseln?
    BECK: Ich muss dazu sagen, dass der HörVerlag mir alle Freiheiten gelassen hat. Gerade im ersten Band, wo ich ja die meisten Figuren stimmlich angelegt habe. Ich durfte machen und tun, was ich will, was mir in den Kopf kam. Das war sozusagen auch eine Bedingung. Ich habe mich sehr aus dem Bauch heraus für verschiedene Dialekte, Idiome oder sprachliche Eigenarten entschieden. Doch ich muss dazu sagen, ich habe ein visuelles Gedächtnis. Ich habe mir bestimmte Figuren ganz konkret vorgestellt. Wie die sich bewegen, was für Eigenarten, was für Ticks sie hatten, wie sie sich angezogen haben. Und das hat einfach Einfluss auf die Figur. Es gibt natürlich ein großes Spektrum, und da Harry Potter eine fantastische Geschichte ist, habe ich auch sehr griffige, starke Effekte gewählt. Denn so eine Figur wie Mad Eye Moody, der ein Auge vorn und eins hinten hat, der kann nicht einfach ganz normal sprechen. Oder Voldemort, das muss schon sehr geisterhaft, sehr unheimlich sein. Hagrid wird ja beschrieben, so ein Drei-Meter-Riese, der muss eine sehr dunkle Stimme haben. Dobby, zum Beispiel, der erst in den späteren Bänden auftaucht, das ist ja ein masochistischer Charakter, der unglaublich Selbstmitleid hat und gleichzeitig so um Aufmerksamkeit bettelt, der hat eine ganz nervige Stimme, und das muss auch so sein, weil er auch als nervige Figur beschrieben wird. Und gleichzeitig hat man mit ihm als Hauself auch gewissermaßen Mitleid, aber man kann ihn nicht lange ertragen. Also es gibt schon psychologische Gründe für die verschiedenen Figuren. Und offensichtlich hat mir der liebe Gott, sofern es ihn gibt, einfach dieses Talent gegeben, mit meiner Stimme zu spielen und Bilder zu schaffen.

    Gab es denn Vorbilder für die Stimmen im Kopf?
    BECK: Ich habe immer Vorbilder für die verschiedenen Stimmen, aber ich werde nicht verraten, wen ich da vor meinem inneren Auge hatte. Auch muss man dazusagen, dass die Figuren dann doch anders klangen als die Vorbilder, die ich im Kopf hatte. 

    Hatten Sie auch einen Lieblingscharakter?
    BECK: Ich habe den Hagrid sehr gerne, den ich mir als Motorrad fahrenden Hells Angel vorstellte – aus Norddeutschland. Ein Riesentyp. Ich finde ihn deswegen so besonders, weil er erst mal furchterregend ist, ganz eigenartige Hobbys hat, gefährliche Tiere süß und spannend findet und sie auch manchmal einfängt. Aber er hat eine Kinderseele und eine große Naivität. Also es gibt da Widersprüche in ihm. Ja, das ist fast meine Lieblingsfigur, Hagrid. 

    Sie haben viel Zeit mit Harry Potter verbracht, um weit über 100 CD einzusprechen. Hatten Sie da nicht auch mal Probleme, vom Harry-Paralleluniversum zurück zum Muggel-Alltag zu finden?
    BECK: Es sind, glaube ich, 133 CD. Insgesamt hat es zehn Jahre gedauert, weil Joan Rowling sich manchmal ein Jahr, eineinhalb Jahre Zeit gelassen hat, bis der neue Band erschienen ist. Für mich war das kein Problem, vom Harry-Paralleluniversum zurück zum Muggel-Alltag zu finden. Meine Kinder haben sehr davon profitiert, weil ich ihnen oft abends noch Geschichten vorgelesen habe, bevor ich am nächsten Tag ins Studio gegangen bin. Und ich liebe die Studioarbeit. Ich habe mir das immer sehr offengehalten. Ich hatte keinen richtigen Plan, wusste nur grob, wie eine Figur klingen wird, wenn eine neue Figur auftaucht. Aber eigentlich habe ich das sehr aus dem Bauch entschieden.

    Die Hörbücher wurden auch durch Ihre Interpretation zu einem ganz eigenen Kunstwerk, vielfach ausgezeichnet. Nun plant Warner Bos. eine Neuverfilmung mit Unterstützung von J. K. Rowling und als Serie. Alles neu also. Und was ist mit den Hörbüchern?
    BECK: Ich muss gestehen, ich habe noch nie einen Harry-Potter-Film gesehen. Die Filme kamen ja viel, viel später auf die Leinwand. Da gab es ja schon drei Hörbücher, und das vierte war in der Mache. Ich habe es bis heute nicht geschafft, mir einen Film anzuschauen, weil ich auch meinen eigenen Harry Potter, so wie ich ihn mir vorstellte und interpretiert habe, nicht beeinflussen lassen wollte. Ich habe Harry Potter in meinem Kopf und ich hoffe, ich habe eine eigene akustische Welt geschaffen. Das Besondere ist ja, dass es drei verschiedene Medien gibt. Das Buch, das ist etwas Kontemplatives, man stellt sich selbst die Figuren vor, man liest und es dauert natürlich viel länger. Dann natürlich das Hörbuch, wo ich ganz eigene Charaktere geschaffen habe. Und dann eben das visuelle Ereignis, der Film, und in Zukunft dann auch die Serie. Das sind drei vollkommen verschiedene Medien. 

    J. K. Rowling ist in letzter Zeit hart in der Gegenwart aufgeschlagen, nachdem sie sich zu Genderfragen und queerer Identität geäußert hatte. Tatsächlich gibt es in ihrer Zauberwelt durchaus diverse Charaktere wie den Halbriesen Hagrid oder den Werwolf Lupin. Doch mit Ihrer Distanzierung von Begriffen wie „menstruierende Menschen“ hat sie nicht nur die queere Community gegen sich aufgebracht, auch die Stars der Harry Potter Filme wie Daniel Radcliffe (Harry) oder Emma Watson (Hermine) stellten sich gegen die Autorin. Was würde wohl Harry dazu sagen?
    BECK: Harry ist ein Diplomat. Er würde wahrscheinlich sagen, Kinder lasst uns auf dem Boden bleiben. Es ist doch alles nicht so schlimm. Wir können es doch wirklich in Ruhe besprechen. Wir müssen uns nicht immer gleich zu 100 Prozent empören. Ja, ich denke, Harry würde einen Ausgleich finden. 

    Die Welt hat sich in 40 Jahren verändert. Nicht nur von Gender und Trans war bei Harry Potter nicht die Rede, auch nicht vom Klimawandel. Wo würden Sie heute Harry Potter sehen? Bei den Klimaklebern?
    BECK: Harry hat ein großes Gerechtigkeitsempfinden. Die heutigen Klimaaktivisten sagen ja zu Recht, diese Welt ist uns geliehen. Wir haben eine Verantwortung für die nachfolgende Generation. Wir können diese Welt nicht zu Tode wirtschaften. Wir müssen etwas tun. Wir haben nur diese Erde. Wir können nicht ausweichen. Und das Klima ist bedroht und damit auch dieser Erdball. Ich bin sicher, Harry Potter würde sich bei den Klimaaktivisten engagieren. In welcher Form, sei dahingestellt.

    Zur Person

    Rufus Beck, geboren am 23. Juli 1957 in Heidelberg, ist in Deutschland untrennbar mit Harry Potter verbunden. Die von ihm eingesprochenen Hörbücher wurden mehrfach ausgezeichnet und brachten ihm ungeheure Popularität. Bekannt aber war Beck schon zuvor: Sein Kinodebüt gab er 1991 in Sönke Wortmanns "Kleine Haie", für seine Rolle als Waltraud in "Der bewegte Mann" (1994) wurde er mit dem Bambi ausgezeichnet. Beck, der sich auch "als Zehnkämpfer der darstellenden Künste" bezeichnet, ist zugleich Sänger, Produzent, Regisseur. Er inszenierte unter anderem Tabaluga-Musicals für Peter Maffay. Der zweifache Vater lebt am Starnberger See. 

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