Miss Robbie, Wie war es für Sie, das Drehbuch zum allerersten Mal zu lesen? Hat Damien Chazelle Sie in irgendeiner Art und Weise vorgewarnt?
MARGOT ROBBIE: Als ich das Drehbuch zum ersten Mal gelesen habe, saß ich mit offenem Mund da. Ich hatte überhaupt keine Ahnung, was mich erwartet. Mit jeder Seite, die ich gelesen habe, habe ich mich gefragt: Dürfen wir das überhaupt zeigen? Dürfen wir das wirklich machen? Die ganze Geschichte ist so verrückt! Ich glaube, ich hatte noch nie so eine extreme Reaktion auf ein Drehbuch. Ich wusste quasi sofort, dass ich ein Teil dieses Projektes sein will. Mein Gefühl war, dass dieser Film irgendwann in Zukunft Teil der Filmgeschichte sein wird und ich wollte ein Teil davon sein. Während ich das Drehbuch gelesen habe, dachte ich mir nur: Wow, das ist, als hätten „Dolce Vita“ und „Wolf of Wallstreet“ ein Baby bekommen. Dafür war ich Damien Chazelle sehr dankbar.
Wie haben Sie reagiert, als Damien Chazelle von Ihnen verlangt hat, sich vor laufender Kamera zu übergeben?
ROBBIE: Als Damien wollte, dass ich mich auf andere Leuten übergebe, habe ich einfach gesagt: „Ich werde alles dafür geben und darauf vertrauen, dass ich trotzdem danach noch als Schauspielerin gebucht werde. Ich hoffe, du zerstörst meine Karriere nicht!“ (lacht). Teilweise hatte ich tatsächlich Angst, dass nach diesem Film meine Karriere vorbei ist (lacht). Jetzt im Nachhinein liebe ich die Szene und finde sie zum Schreien komisch. Das alles habe ich Damien zu verdanken!
Sie mussten für die Rolle an einem Tag alleine acht Stunden tanzen. Wie war das?
ROBBIE: Oh ja. Für diese Szene musste ich jede Menge Tanzstunden nehmen. Nellie war vielleicht die körperlich anstrengendste Rolle, die ich jemals spielen musste – und ich habe schon einige Rollen gespielt, die körperlich nicht ohne waren! Aber Nellie war ein ganz anderes Kaliber. Ich vermisse sie tatsächlich! Ich habe sie sehr lieb gewonnen. Bei diesem Film hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, dass ich an meine Grenzen gestoßen bin. Damien hat mich bis in die Extremen gelockt, was für mich die tollste Erfahrung meines Lebens war. Zuvor wurde ich noch nie so von der Leine gelassen und durfte voll und ganz aus mir rausgehen. Damien wollte immer, dass ich noch mehr gebe und noch wilder werde. Er hat uns ganz viel improvisieren lassen am Set. Gleichzeitig hatte Damien aber in gewissen Szenen eine ganz genaue Vision und Vorstellung, wie unsere Aussprache und Körpersprache zu sein hat. Ich hätte mir als Schauspielerin nichts Besseres vorstellen können und es war tatsächlich die beste Erfahrung meines Lebens. Es war auch die beste Filmrolle, die ich jemals spielen durfte und wahrscheinlich jemals spielen werde.
Worauf basiert Ihre Rolle?
ROBBIE: Ich weiß gar nicht, ob meine Rolle auf einer bestimmten Person basiert. Ich glaube, dass all die Charaktere im Film auf mehreren Personen basieren, die einst existiert und in der Branche gearbeitet haben. Es ist wie ein Potpourri aus mehreren real existierenden Menschen. Ich glaube, dass viele Charaktereigenschaften von Nellie von Schauspielerin Clara Bow inspiriert wurden. Clara war für mich auf jeden Fall die größte Inspirationsquelle.
Sie hatten also keine Schwierigkeiten, sich mit Ihrer Rolle als Nellie zu identifizieren?
ROBBIE: Absolut nicht. Ich weiß aber auch nicht, was das jetzt über mich als Mensch aussagt (lacht). Ich habe so viel Zeit mit ihr verbracht und habe mir ihre Kindheit in meinem Kopf ausgemalt. Für mich war deshalb ihr Verhalten völlig gerechtfertigt. Sie hätte jemanden umbringen können, und ich hätte es auf ihre Kindheit geschoben. Ich weiß zwar, dass sie nur ein fiktionaler Charakter ist, aber sie hatte eine wirklich traumatische Kindheit. Vielleicht habe ich deshalb viele Parallelen zu Clara Bow gezogen. Ein Fünkchen Wahrheit steckt also auf jeden Fall in Nellies Geschichte.
Sind Sie selbst auch so stark?
ROBBIE: Wäre ich gerne, bin ich aber nicht immer um ehrlich zu sein. Ich gebe aber immer mein Bestes, um positiv zu sein.
Wie sieht das mit dem Selbstbewusstsein sein? Wenn Sie ein knappes Film-Outfit anziehen, oder wie bei „The Wolf of Wall Street“ sich sogar nackt zeigen?
ROBBIE: Ich habe genauso, wie jeder andere auch, Selbstzweifel. Es gibt bestimmt keine Frau oder bzw. Menschen auf dieser Welt, der die nicht hat. Für meine Rolle schalte ich das Denken aus …
Wie viel Stärke haben Sie von Ihrer Mutter. Sie hat immerhin vier Kinder alleine erzogen.
ROBBIE: Sie ist eine tolle und sehr starke Frau. Ihr habe ich alles zu verdanken. Wir waren als Kinder furchtbar. Haben uns immer gestritten und es damit noch schwerer für sie gemacht. Meine Mutter ist zu bewundern, wie sie das alles geschafft hat.
Was mussten Sie selbst aufgegeben, um sich Ihren Traum der Schauspielerei zu erfüllen?
ROBBIE: Viel. Ich habe jeden Cent gespart, packte meinen Sachen, ließ meine Freunde und meine Familie zurück und musste mich von sogar von meinem damaligen Freund trennen, um in Amerika ein neues Leben zu starten. Doch zu diesem Zeitpunkt war es für mich klar, dass dies der einzige Weg war. Ich habe diesen Weg auch nie bereut.
Wie gut können Sie persönlich mit Veränderungen umgehen?
ROBBIE: (Lacht) Ich bin auf jeden Fall kein Mensch, der Routinen mag. Ich mag es, mich ständig zu verändern und finde es auch gut, dass sich die Filmindustrie stetig wandelt. Ein Freund hat mir mal erzählt, dass die Kunst wie ein Haifisch ist – sie hört nie auf, sich zu bewegen. Nach diesem Grundsatz lebe ich und lasse alles auf mich zukommen. Das liebe ich an meinem Leben und an meinem Job. Ich werde nie an einen Punkt kommen, an dem ich mich nicht weiter entwickle. Bei einem Stillstand würde meine Kreativität sterben.
Jetzt Sie sind schon seit mehreren Jahren in Hollywood tätig. Wie haben Sie es geschafft, so auf dem Boden zu bleiben?
ROBBIE: Ich kann meine wahre Seite gut verbergen. Aber Spaß beiseite – mich hat es auf jeden Fall um einiges besser erwischt als meine Filmrolle Nellie. Aber Nellie hat in der Industrie auch einen völlig anderen Wandel mitmachen müssen. Viele Schauspieler konnten den Sprung vom Stummfilm zum Film mit Ton nicht schaffen und blieben auf der Strecke. Ich kann mich dagegen glücklich schätzen, zur heutigen Zeit in der Industrie zu arbeiten. Für mich wird es von Jahr zu Jahr nur besser und besser und das macht mich stolz und überglücklich. „Babylon“ ist mein bisheriges Highlight und ich habe das Gefühl, dass ich an der Spitze meiner Karriere angekommen bin. Ich kann es selbst noch gar nicht glauben, dass ich jetzt an diesem Punkt bin. Gleichzeitig blicke ich gerne zurück und schaue mir an, wie die Dinge vor 100 Jahren noch waren. Ich hatte, bevor ich Damiens Drehbuch gelesen habe, einen völlig anderen Blick auf die damalige Filmwelt. Jetzt sehe ich viele Dinge anders – vor allem auch dank meiner Recherchen. Damien hat es geschafft, die schmutzige, wilde und desaströse Seite der damaligen Zeit darzustellen.
Also keine Nostalgie mehr beim Gedanken an das alte Hollywood?
ROBBIE: In gewisser Weise ist das Hollywood von heute mit dem damaligen Hollywood vergleichbar. Wenn ich an die Vergangenheit denke, dann denke ich an die Leute, die die Filmbranche ins Leben gerufen haben. Sie haben das nicht getan, um berühmt und reich zu werden, sondern, weil sie Filme machen wollten. Danach wurde die Industrie jedoch schnell von Geschäftsmännern belagert, die ganz andere Prioritäten hatten. Damals war es eine echte Sensation, überhaupt etwas auf einer Leinwand zu sehen. Heute sind wir alle abgestumpft und Filmemacher müssen sich immer wieder selbst übertrumpfen, um die Zuschauer zu begeistern. Ich glaube auch, dass vieles von damals auch heute noch gilt. Zum Beispiel der exzessive Drogenkonsum …
Der Elefant im Film war aber nicht wirklich am Set, oder?
ROBBIE: Nein. Aber ich finde es spannend, dass man in unserer Industrie mit Menschen viel schlimmer umgehen darf als mit Tieren. Das spricht meiner Meinung nach schon für sich. Es wäre für den Elefanten auf jeden Fall sehr anstrengend gewesen, auf der Party zu sein. Wir hatten dafür aber Puppenspieler, die den Elefant nachgeahmt haben, damit wir in der Szene wussten, wo sich das Tier befinden soll. In jedem anderen Film hätte man das Ganze mit Lasern gelöst, aber wir hatten echte Puppenspieler mit einem riesigen Stoffelefanten! Es war so schön anschaulich gemacht für uns – genau wie all die Explosionen und Waffen. Alles war echt.
Macht das die Schauspielerei einfacher für Sie?
ROBBIE: Absolut. Die Technologie bringt zwar viel Gutes mit sich, aber sie macht es uns nicht möglich, etwas physisch vor einem zu sehen und mit einem physischen Objekt zu interagieren. Das ist es, was einen in die Rolle eintauchen lässt und ein unglaubliches Gefühl hinterlässt. Nach manchen Szenen habe ich am ganzen Körper gezittert und war komplett außer Atem. Das passiert manchmal am Set, auch wenn ich weiß, dass das nicht die Realität ist. Wenn du eine echte Explosion hörst, dann antwortet dein Körper darauf mit einem Adrenalin-Schub. Dieses Gefühl kann man nicht vortäuschen – auch nicht mit modernster Technologie. Für uns Schauspieler war es deshalb ein echtes Geschenk, dass am Set von „Babylon“ alles echt war.
Zur Person
Der große Durchbruch gelang Margot Robbie vor zehn Jahren, da spielte sie an der Seite von Leo DiCaprio in „Wolf of Wall Street“. Dann folgten „The Big Short“ mit Christian Bale“, mehrere DC-Comic-Verfilmungen in der Figur als Harley Quinn, die Oscar-Nominierung für das Eislauf-Drama „I, Tonya“, „Maria Stuart, Königin von Schottland“ an der Seite von Saoirse Ronan, die Rolle der Sharon Tate in Tarantinos „Once Upon a Time in Hollywood“… Und nun, gerade erst lief der feine „Amsterdam“, die Hauptrolle in „Babylon“ von „La la Land“-Macher Damien Chazelle. Begonnen aber hat die Karriere der im australischen Queensland geborenen Margot Robbie nach dem Schulabschluss in der Endlos-Serie „Neighbours“ (Nachbarn). Als nächstes spielt sie „Barbie“ an der Seite von Ryan Gosling. Die 32-Jährige ist seit 2016 mit Tom Ackerley verheiratet, einem britischen Regieassistenten.