Die derzeit verwendeten Rotorblätter von Windkraftanlagen können mehr als 50 Meter lang sein und über 25 Tonnen wiegen. Ihre Haltbarkeit ist begrenzt – mit Reparaturen seien etwa 20 Jahre möglich, sagt Dieter Stapf vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Gerade die größten Rotorblätter seien sehr hohen Belastungen ausgesetzt. „Die Spitze des Flügels bewegt sich dann schon mal mit bis zu 400 Kilometer pro Stunde. Kleinere Windkraftanlagen erreichen sogar halbe Schallgeschwindigkeit und mehr.“
„Sandkörner in der Luft wirken bei hohen Geschwindigkeiten wie ein Sandstrahler auf die Flügel“, so Stapf. Auch Regentropfen oder Hagel schlagen mit immenser Wucht auf das Material. Bei Anlagen auf See kommen noch Materialbelastungen durch Salzwasser hinzu – inwiefern sich das auf die Lebensdauer der Anlagen auswirken könnte, ist bisher unklar.
Bis zu 90 Prozent einer Windkraftanlage können recycelt werden
Ende September 2022 waren an Land bundesweit rund 28.000 Windenergieanlagen (WEA) mit einer Gesamtleistung von etwa 57.000 Megawatt am Netz, wie der Bundesverband Windenergie mitteilte. Neu genehmigt wurden demnach von Januar bis September 524 Windenergieanlagen mit einer Gesamtleistung von rund 2750 Megawatt. Hinzu kommt eine wachsende Zahl von Anlagen auf See.
Wirtschaftsminister Robert Habeck strebt eine Verdopplung der derzeitigen Windkraftkapazität innerhalb von acht Jahren an, wie er im September sagte. Und erst Anfang November unterzeichneten die Bundesregierung, mehrere Bundesländer sowie Unternehmen eine Vereinbarung, den Ausbau der Windenergie auf See schneller vorantreiben zu wollen.
Im Gegenzug aber kommen immer mehr Anlagen am Ende ihrer geplanten Laufzeit an und müssen abgerissen werden. Zwar können bis zu 90 Prozent einer Windkraftanlage recycelt werden, das betrifft aber vor allem den Stahl und Beton – wobei recycelter Beton in Deutschland bisher großteils nur im Straßenbau Verwendung findet. Die Stahlsegmente gehen wieder zurück in die Stahlwerke.
Ein Rotorblatt besteht aus verklebten Halbschalen aus Faserverbundstoffen
Wesentlich schlechter ist es um die Wiederverwendung von Rotorblättern bestellt. „Sie gehören wegen des enthaltenen Materialmixes wie Solarzellen, Lithiumbatterien und Handys zu den Dingen, die extrem schwer zu recyceln sind“, erklärt Stapf. „Bisher hat man da noch keine guten Lösungen.“
Nach einer im September vorgestellten Studie des Umweltbundesamtes (UBA) sind in diesem Jahrzehnt beim Rückbau von Anlagen jährlich etwa 20.000 Tonnen an Rotorblatt-Abfällen zu erwarten, für die 2030er Jahre sogar bis zu 50.000 Tonnen. „Es wird befürchtet, dass Rotorblätter auf ungeeigneten Wegen entsorgt oder als wiederverwendbar dauerhaft zwischengelagert, zur „Scheinverwertung“ exportiert und im Ausland abgelagert werden“, heißt es in der Analyse zum Umgang mit Rotorblatt-Abfällen.
Ein Rotorblatt besteht üblicherweise aus zwei miteinander verklebten Halbschalen aus Faserverbundstoffen – Glas- und Carbonfasern, vermischt unter anderem mit Epoxid- und Vinylharzen. Sie machen dem UBA zufolge mindestens 70 Prozent des Gewichts aus. Hinzu kommen Metalle wie Eisen, Kupfer, Aluminium und Blei sowie Schäume, Balsaholz und Lacke mit Titandioxid-Partikeln. Allein an Carbonfasern sind dem UBA zufolge rund 200 unterschiedliche auf dem Markt.
Lange Zeit wurde bei den Flügeln zumeist glasfaserverstärktes Material (GFK) genutzt, wie es etwa auch für Bootsrümpfe verwendet wird. Für größere Anlagen werde zudem auf Carbonfaser-verstärkte Verbundstoffe (CFK) gesetzt, wie sie etwa bei modernen Flugzeugen zum Einsatz kämen – um ultraleichte Materialien zu haben, die besonders hohe Belastungen aushalten, erklärt Stapf. Damit verbunden ist ein großes Problem: „Für die weitere Verwendung von CFK-Abfall gibt es bisher noch keine etablierte Lösung.“
Aus Carbonfaser-verstärkten Verbundstoffen lassen sich zwar grundsätzlich die Fasern mittels thermischer Verfahren zurückgewinnen und einer weiteren Verwertung zuführen. „Jedoch ist deren Qualität, deren Belastbarkeit und Einsatzfähigkeit dann geringer als bei der Neufaser“, erklärt Stapf.
Meist werden Rotorblätter in sechs bis zwölf Meter lange Stücke zersägt
Wenn die Faser am Ende ihres Lebenszyklus nicht mehr eingesetzt werden könne, gebe es bisher keine technisch erprobte Lösung, sie sicher zu entsorgen: „Carbonfasern sind so beständig, dass sie in der Natur oder auf Deponien und selbst in modernen Abfallverbrennungsanlagen nicht vollständig abgebaut werden können.“ Zwar werden auch GFK-Abfälle nicht wirklich recycelt, zumindest aber können sie bei der Zementherstellung genutzt werden – der enthaltene Kunststoff als Brennstoff, die mineralische Faser als Bestandteil des Zements.
Carbonfaser-Verbundstoffe seien dafür nicht geeignet, sagt Stapf. Zudem sei im Umgang damit viel mehr Vorsicht geboten: „Sie können beim thermischen Abbau teilweise lungengängige Bruchstücke bilden, die in ihrer Geometrie Asbestfasern gleichen.“ Ihre Wirkung auf den Organismus sei noch nicht vollständig erforscht.
In Deutschland ebenso wie in der Schweiz, den Niederlanden und anderen europäischen Ländern gibt es Deponieverbote. Der europäische Verband für Windenergie, WindEurope, fordert bis 2025 ein europaweites Deponieverbot für ausgemusterte Rotorblätter. CFK-Abfall werde daher in eine Art Zwischenlager gebracht – für welche Zeiträume, sei völlig offen, erklärt Stapf. „Eigentlich hätte man den Entsorgungsweg vor dem Inverkehrbringen haben sollen.“
In Ländern wie den USA werden ausgemusterte Rotorblätter durchaus deponiert – und Experten befürchten, dass dort auch aus Europa stammendes Material landen könnte. Für die USA gab das Electric Power Research Institute vor zwei Jahren an, dass bis 2050 geschätzt etwa vier Millionen Tonnen Windturbinenblätter auf dortigen Mülldeponien entsorgt werden könnten.
Wegen der lungengängigen Partikel ist schon beim Abbau und Transport Carbonfaser-verstärkter Flügel Vorsicht geboten. Meist werden die Rotorblätter direkt vor Ort in sechs bis zwölf Meter lange Stücke zersägt. Um dabei die Freisetzung winziger Faserbruchstücke zu verhindern, müsse zum Beispiel mit Einhausungen und Wassernebel gearbeitet werden, der die Partikel abscheidet, sagt Stapf.
Boom der Windkraft sorgt für Abholzung von Basalbäumen in Südamerika
Für die Fasern ist zudem bekannt, dass sie unlöslich und reaktionsträge sind. Das bedeute, dass sie sich wahrscheinlich in der Umwelt und auch in Lebewesen anreichern können, heißt es im UBA-Bericht. Die möglichen Folgen sind unklar. Eine Freisetzung in die Umwelt sei jedenfalls generell zu vermeiden – zumindest beim Zerstückeln vor Ort ist das der Analyse zufolge allerdings kaum möglich: „Bei keinem der in der Studie untersuchten Verfahren zur Demontage vor Ort an der WEA kann eine Freisetzung von Partikeln in die Umwelt vollständig und nachweisbar unterbunden werden. Daher gilt die Empfehlung, so wenig Schnitte wie möglich vor Ort an der WEA vorzunehmen.“
Kritische Stimmen gibt es auch zum in großen Mengen verwendeten Balsaholz. Es gehört zu den leichtesten Hölzern überhaupt, ist korkartig und stammt von Balsabäumen aus den Regenwaldgebieten Mittel- und Südmerikas. Derzeit werden dem UBA zufolge mehr als 90 Prozent des weltweit geernteten Balsaholzes in Windenergieanlagen verbaut, der Rest verteilt sich auf Yacht- und Modellbau.
In dem Maße, in dem die Windenergie weltweit ausgebaut wird, nimmt die Abholzung von Balsabäumen zu. Das Potenzial für eine Weiterverwendung als sekundärer Rohstoff sei beim Balsaholz zwar groß, bisher aber völlig ungenutzt. Bislang wird der Füllstoff – Balsaholz und Schäume – beim Recycling von Rotorblättern nicht vom glasfaserverstärkten Kunststoff getrennt, wie es im UBA-Bericht heißt. Der gesamte Materialmix werde einfach zerkleinert und im Zementwerk verwertet.
Mehrere Windanlagenbauer haben bereits Nachhaltigkeitskonzepte verkündet und wollen in den kommenden Jahrzehnten abfallfreie Anlagen entwickeln. Doch das wird dauern. Dabei gewinnt die Problematik zunehmend an Bedeutung: Anfang der 2030er Jahre sei im Zuge des Rückbaus älterer Anlagen mit einem deutlichen Anstieg der GFK- und CFK-Abfallmengen zu rechnen, heißt es in der UBA-Analyse. Von 2021 bis 2040 werden demnach allein in Deutschland bis zu 430.000 Tonnen faserverstärkte Kunststoffe aus rein GFK-haltigen Rotorblättern und bis zu 212.000 Tonnen aus Rotorblättern mit GFK- und CFK-Anteilen anfallen.