Die Normalität ist längst auf den Kopf gestellt. Wenn in seinen frühen Jahren noch merkwürdig beäugt wurde, wer im Alltag per Plastikkarte zahlen wollte – heute fällt nicht nur in Asien, den USA oder Nordeuropa schon aus dem Rahmen, wer noch auf Bares besteht. Versuchen Sie mal ein Hotel zu buchen ohne Kreditkarte! Und der Handel im Internet basiert auch weitestgehend auf der Eingabe von Gültigkeitsdatum, Karten- und Kennnummer. Schöne neue Geldwelt: Sie feiert genau heute 70. Geburtstag – und dabei immer weiter fröhliche Urstände. Denn der massenhafte Kauf auf Kredit sichert die Konjunktur, Schulden sind das Schmiermittel einer Finanzwirtschaft, die für Erspartes keine Zinsen zahlt und für Geliehenes kaum noch welche verlangt. Ein gefährliches Spiel, bei dem längst nicht mehr nur die konsumfreudigen Amerikaner auch gerne mal mit dem Finanzrahmen mehrere Karten jonglieren, Kreditblasen in die Wirtschaft aufblähen. Und dabei hat alles so einfach und begrenzt angefangen …
McNamaras Geschichte, zu schön um wahr zu sein
Es war ein Geschäftsessen im noblen Steakhouse „Major’s Cabin Grill“ in Manhattan, an dessen Ende der New Yorker Börsenmakler Frank McNamara feststellen muss, dass er seine Brieftasche vergessen hat. Nach kurzer Rücksprache mit dem Restaurantmanager hinterlässt er als Garantie auf einem Stück Karton eine Art signierten Schuldschein. Zu Hause angekommen schwört sich McNamara, nie wieder in eine derartig peinliche Situation kommen zu wollen und erfindet kurzerhand die Kreditkarte.
Hübsche Geschichte. Wohl zu hübsch, um wahr zu sein. McNamaras damaliger PR-Mann Matty Simmons – später Herausgeber von Magazinen, Autor und Produzent in Hollywood – schreibt im Buch „The Credit Card Catastrophe“: „Um das Produkt bekannter zu machen, haben wir die Entstehungsgeschichte ein wenig glamouröser vermarktet.“ Tatsächlich soll McNamara der Geistesblitz ganz unspektakulär am Schreibtisch gekommen sein, gemeinsam mit seinem Rechtsanwalt Ralph Schneider und einem Kapital von 1,5 Millionen Dollar gründete er die erste Kreditkartengesellschaft, den „Diners Club International“. Am 8. Februar 1950 bekam das Bargeld Konkurrenz, die erste Kreditkarte der Welt wurde präsentiert und eine Idee geboren, die das Bezahlsystem für Konsumenten und Unternehmen revolutionierte.
Eigentlich war sie für Geschäftsleute gedacht gewesen
„Die Idee ist ideal für Geschäftsleute, die häufig essen gehen“, sagte McNamara, „sie bezahlen nur einmal im Monat mit einem Scheck und müssen nicht viel Bargeld bei sich haben.“ Die ersten Karten bestanden noch aus brauner Pappe und zum Start konnten 200 Mitglieder in 27 Restaurants damit ihre Rechnungen bargeldlos begleichen. Ende 1950 gab es bereits rund 20 000 Nutzer und im März 1951 hatte der „Diners Club“ 42 000 Mitglieder.
Der Jahresbeitrag für den elitären Speisezirkel betrug fünf Dollar. Haupteinnahmequelle war allerdings die siebenprozentige Gebühr, die den Händlern bei jeder Transaktion in Rechnung gestellt wurde. Den Durchbruch brachte dann 1952 der öffentlichkeitswirksame Firmeneinstieg des Millionärs Alfred Bloomingdale (Enkel des Kaufhausgründers von „Bloomingdale’s“), der mit seiner Reputation viele neue Mitglieder und Akzeptanzstellen anlockte. Bald konnte überall in den USA neben Restaurants auch in Bars, Hotels und vielen Geschäften mit Karte bezahlt werden.
Der Erfinder glaubte nicht an einen Erfolg
Der Diners Club verbuchte Ende 1952 satte sechs Millionen Dollar Jahresumsatz. Dennoch glaubte McNamara nicht an einen langfristigen Erfolg und verkaufte seine Geschäftsanteile für 200 000 Dollar an Bloomingdale. Der Kaufhauserbe wurde Firmenpräsident und stand für die neue Geschäftsidee: Statt individueller Kredite der einzelnen Geschäfte bot Diners seinen Kunden Kredit in verschiedenen Geschäften und übernahm monatlich die Zahlungsabwicklung. 1955 erstreckte sich Diners’ Franchise-Netz nicht nur über ganz Amerika, sondern es verfügte auch in mehreren europäischen und asiatischen Ländern über Akzeptanzstellen. In Deutschland gab es die Diners-Club-Karte ab 1958.
Und dann ging das Auf-Pump-Geschäft los
Andere Kartenanbieter wie American Express, die Bank of America (Americard) und die Chase Manhattan Bank (Bank Charge Card) kopierten Ende der 1950er Jahre die Erfolgsidee. Dabei eroberten Americard – 1977 in Visa Card umbenannt – und Bank Charge Card den Markt mit einem noch breiter angelegten Konzept. Während die Karten vom Diners Club und American Express Abbuchungskarten waren, die einmal monatlich vollständig bezahlt werden mussten, bot die Americard die Rückzahlung auch flexibel über einen längeren Zeitraum an – eine bis heute vor allem in den USA gängige Praxis. Das war die Geburtsstunde der im Wortsinn „echten“ Kreditkarte.
Jedoch wollte oder konnte jeder vierte Karteninhaber sein Konto nicht ausgleichen, die Bank machte Millionenverluste. Trotzdem war die Entwicklung nicht aufzuhalten, schnell gehörten die nun aus Plastik hergestellten Kreditkarten zum modernen Lebensstil. Im August 1966 brachte das Bankenkonsortium Interbank Card Association eine Kreditkarte heraus, die 1979 in MasterCard umbenannt wurde. 1987 gelangten die Karten bis nach China, im Jahr darauf in die Sowjetunion …
Allein in Deutschland 108 Milliarden Umsatz pro Jahr
Der Umsatz der großen Kreditkartengesellschaften wie Mastercard, Visa, American Express und Diners Club ist in Deutschland von 43 Milliarden Euro im Jahr 2010 auf mehr als 108 Milliarden Euro im Jahr 2018 angestiegen. Im gleichen Zeitraum nahm die Zahl der Kreditkarten von 25 auf über 35 Millionen zu, 36 Prozent der Deutschen besaßen 2018 eine solche Karte. Nur etwa ein Viertel der Deutschen glaubt jedoch, dass bargeldlose Zahlungen sicher sind.
Die Deutschen lieben weiterhin ihr Bargeld, drei von vier Einkäufen werden bei uns bar bezahlt. Eine Kreditkarte nutzen die meisten vor allem im Ausland. Falls kein Cash über die Ladentheken geht, kommt die Girocard zum Einsatz. Mit dieser Debitkarte, die bis 2007 noch EC-Karte hieß, wird das Konto des Inhabers nach Bezahlung sofort belastet. Weil dabei kaum Gebühren anfallen, freuen sich Händler über das für sie günstige Zahlungsmittel.
Kommt nun das Ende des Bargelds?
In Skandinavien, den angelsächsischen Staaten oder den Schwellenländern wächst dasbargeldlose Zahlenrasant. Pro Kopf gerechnet sind die Kreditkartenumsätze eines US-Amerikaners im Schnitt mehr als siebenmal so hoch wie die eines Menschen hierzulande. Selbst kleine Beträge werden dort mit Karte oder mobil per Smartphone bezahlt. Mit dem Nahfunkverfahren NFC (Near Field Communication) ausgerüstet, ermöglichen sie das Zahlen „im Vorbeigehen“. Diese Art des Bezahlens nimmt auch bei uns zu. Schweden will das Bargeld bis 2030 komplett abschaffen. 4000 Bewohner haben sich sogar einen Chip in die Hand implantieren lassen, um ihre Geschäfte bargeldlos zu erledigen.
Obwohl in Deutschland bei den meisten immer noch der alte Leitspruch „Nur Bares ist Wahres“ gilt, ist der frühere Deutsche-Bank-Chef John Cryan der festen Überzeugung: „Binnen zehn Jahren wird das Bargeld verschwinden.“