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Interview: Thea Dorn zu Corona: "Das geht Richtung Politikversagen"

Interview

Thea Dorn zu Corona: "Das geht Richtung Politikversagen"

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    Die Autorin Thea Dorn, die in ihrem neuen Buch "Trost" die Corona-Krise aufarbeitet.
    Die Autorin Thea Dorn, die in ihrem neuen Buch "Trost" die Corona-Krise aufarbeitet. Foto: Peter Rigaud

    Frau Dorn, „Trost“ ist Ihr Buch zu Corona. Sie haben in Debatten auch immer wieder mit Sachbüchern Stellung bezogen, wie zum Patriotismus mit „Deutsch, nicht dumpf“. Warum ist es in diesem Fall ein Roman?

    Thea Dorn: Mir war schnell klar, dass ich zu diesem Thema keinen Essay schreiben will. Corona hat uns in eine tragische Situation gestürzt: Die Maßnahmen, die geboten sind, um die Pandemie einzudämmen, verletzten massiv andere Werte wie etwa Freiheit und Geselligkeit. Und, was noch schlimmer ist, sie kollidieren mit einem elementaren menschlichen Gebot wie dem, Sterbende und Trauernde nicht allein zu lassen. Das alles hätte ich nicht zurückgelehnt mit kühler Feder analysieren können, das ist hochemotional. Die Tragödie ist die Stunde der Literatur.

    Es ist ein Brief-Roman, tatsächlich hochemotional. Ihre Hauptfigur Johanna ist verzweifelt, weil ihre Mutter an Corona gestorben ist. Ist wütend, weil diese unvorsichtig war. Wütend, weil sie nicht zu ihr ans Sterbebett durfte. Sowieso wütend auf Politik und Pandemie-Maßnahmen. Wütend auf die Corona-Leugner, aber auch darauf, dass Kritiker der Maßnahmen sofort als Leugner behandelt werden … Wie viel Thea Dorn steckt in ihr?

    Dorn: Johanna hat insofern wenig mit mir zu tun, als meine Erfahrungen beim Sterben meiner Mutter gänzlich andere sind. Meine Mutter ist vor 13 Jahren gestorben, ich konnte bei ihr sein. Aber bereits im vergangenen April habe ich von Fällen unmenschlicher Isolation gehört, von Angehörigen, die nicht zu ihren sterbenden Liebsten gelassen wurden, aber auch von Menschen, die in Heimen isoliert wurden. Wenn sie an Demenz erkrankt waren, konnten sie nicht einmal verstehen, warum ihre Angehörigen nicht mehr zu ihnen kamen, wurden noch unruhiger, noch verwirrter – all diese Berichte haben mich vor eine Frage gestellt, die mich nicht mehr losgelassen hat: Wie würde ich reagieren, wenn ich wüsste, da, in diesem Krankenhaus, liegt ein mir lieber Mensch im Sterben, und man lässt mich nicht zu ihm? Deshalb habe ich Johanna erfunden. Johanna ist prinzipiell ein rationaler Typ, sie weiß, dass Isolationsmaßnahmen zur Eindämmung der Pandemie nötig sind. Dennoch ist sie verzweifelt. Sie erlebt die ganze Widersprüchlichkeit der Situation, die Tragödie, mit größter Wucht: Erst hat sie durch die Pandemie ihre Mutter verloren, dann berauben die Maßnahmen gegen die Pandemie sie fast aller Trostmöglichkeiten, fast aller sozialen Kontakte. Es scheint mir menschlich deshalb verständlich, dass sie in ihrer Hilflosigkeit zunächst einmal in alle Richtungen wütet.

    Dorn: Die Corona-Pandemie "erschüttert den Glauben an die Funktionsfähigkeit unseres Staates"

    Und dabei einen intensiven Prozess durchlebt, der manches verändert. Eines bleibt: Die Wut auf die Politik und ihr Handeln. Hat Johanna recht?

    Dorn: Ich war bislang in keiner Weise so zornig, wie Johanna im Roman es ist, vor allem nicht im Zeitraum März bis Spätsommer vergangenen Jahres, in dem das Buch spielt. Dass auch die Politik in einer solchen Schocksituation zunächst einmal ratlos gewesen ist und deshalb zum Lockdown als Rettungsmittel gegriffen hat – das findet, wenn ich als Staatsbürgerin und nicht als tragisch Betroffene wie Johanna spreche, mein vollstes Verständnis. Erst jetzt wächst bei mir ein gewisser Unmut, wo sich abzeichnet, dass es dank Impfungen und Schnelltests Wege gäbe, die Pandemie schneller, klüger, humaner und freiheitsfreundlicher einzuhegen. Stattdessen hält man am grobschlächtigsten aller Bekämpfungsmittel, dem Lockdown, fest. „Politikversagen“ ist ein Wort, das ich bislang nicht verwendet habe. Aber spätestens seit den jüngsten Beschlüssen des „Corona-Kabinetts“ habe ich den Eindruck, es entwickelt sich immer mehr in diese Richtung. Was allerdings fürchterliche Konsequenzen hätte.

    Inwiefern?

    Dorn: Es erschüttert den Glauben an die Funktionsfähigkeit unseres Staates. Der Lockdown darf für die Politik wirklich nur Ultima Ratio sein, kein Mittel, an das man sich als Staatsbürger irgendwie zu gewöhnen hätte. Die verantwortlichen Politiker müssten alles daransetzen, diesen Zustand schnellstmöglich zu beenden. Und das sehe ich leider nicht. Das Wort „Öffnungsperspektive“ im Zusammenhang mit dem zu verwenden, was vor gut zwei Wochen beschlossen wurde, erscheint mir jedenfalls nachgerade zynisch.

    "Auf welche Experten ich bei einem Wissenschaftsstreit höre, ist eine genuin politische Entscheidung."

    Politiker, die in der Verantwortung stehen, und Angst haben, die falsche Entscheidung zu treffen?

    Dorn: Da kann ich nur sagen: Augen auf bei der Berufswahl! Wenn ich Politiker werde, beziehungsweise ein spitzenpolitisches Amt anstrebe, muss ich bereit sein, eine immense Verantwortung zu übernehmen. Dies tue ich aber nicht, indem ich stets den Weg wähle, der die größte Aussicht darauf bietet, dass am Schluss möglichst keine Verantwortung, keine Schuld an mir hängen bleibt. In gewisser Weise versteckt sich die Politik hinter einer Gruppe wissenschaftlicher Experten, indem sie sagt: Die Wissenschaft erklärt uns doch, diese und jene Maßnahmen seien alternativlos. Ein solches Manöver ist umso fragwürdiger, als es die Wissenschaft nicht gibt, sondern nur verschiedene wissenschaftliche Fachrichtungen und innerhalb dieser Fachrichtungen wiederum unterschiedliche Strömungen. Auf welche Experten ich bei einem längst noch nicht abgeschlossenen Wissenschaftsstreit höre, ist eine genuin politische Entscheidung. Außerdem erleben wir, wie Politik Verantwortung nach unten delegiert, nach dem Motto: Wenn die Infektionszahlen immer noch nicht runtergehen wollen oder gar neuerlich steigen, ist das Volk, der große Lümmel, schuld, weil es sich nicht streng genug an die Corona-Verordnungen gehalten hat.

    Im Buch kommen zu politischen aber vor allem die existenziellen Fragen.

    Dorn: Unbedingt! Es ist eben kein politisches Pamphlet, sondern umkreist erzählend die Grenze zwischen dem, was der spätmoderne Mensch „in den Griff“ bekommen kann, und der Sphäre des Unverfügbaren, die ihm allerdings immer weniger behagt. An vorderster Front steht die Tatsache, dass wir alle sterben müssen. Johanna stellt sich im Laufe des Romans mehr und mehr die Frage, ob es wirklich klug ist, dass wir den Tod so konsequent aus unserem Bewusstsein verdrängt haben, ihn als eine Art peinlichen Unfall tabuisieren. Vor einigen Generationen gehörte der Tod noch unweigerlich zum Leben, ein 20-Jähriger hatte ihn in aller Regel schon miterlebt: Großeltern starben im Haus, Geschwister starben bereits in der Kindheit, Mütter im Kindbett. Der medizinisch-technologische Fortschritt hat dafür gesorgt, dass wir den Tod erstaunlich erfolgreich zurückdrängen können – aber eben auch dafür, dass wir ihn letztlich gar nicht mehr wahrhaben wollen. Seit der religiöse Glaube an Bedeutung verloren hat, gibt es immer weniger Rituale, immer weniger Erzählungen, die dem Tod so etwas wie Sinn verleihen könnten. Deshalb fällt es uns immer schwerer, Frieden mit unserer Sterblichkeit zu machen. Und dann stehen wir eben ratlos und panisch da, wenn uns der Tod wieder stärker ins Bewusstsein rückt, so wie nun in dieser Pandemie.

    Wie aus der unbewussten Angst vor dem Tod seine Herrschaft über den Menschen wird

    Johanna spricht von einer unbewussten Thanatophobie, die zur Thanatokratie führt: Panische Angst vor dem Tod führt letztlich dazu, dass uns der Todesgedanke unbewusst regiert.

    Dorn: Es ist ein Paradox: In dem Maße, in dem wir unser Leben mehr und mehr nach dem Ziel ausrichten, möglichst lange, möglichst gesund zu leben, verliert das Leben selbst an Lebendigkeit, an Spontaneität, an Genussmöglichkeiten, an Erfahrungs- und Entfaltungsreichtum.

    Johanna erträgt das alles nicht. Aber da ist Max, an den sie schreibt, der immer nur einen Satz auf einer Postkarte antwortet. Darauf abgebildet aber ist stets ein Gemälde. Und Max ist Philosoph … Zum Trost Kultur also?

    Dorn: Die Philosophie selbst, fürchte ich, kann nicht wirklich trösten. Im Grunde bemüht sie sich nur, den Skandal des Todes wegzurationalisieren. Meine Johanna hält es eher mit Elias Canetti und seinem „Ich habe es so schwer, ich lebe gerne.“ Für mich ist Philosophie ein Instrument, die existenzielle Leerstelle, die durch den Verlust des Glaubens entstanden ist, zu umkreisen. Sie kann einen lediglich dazu bringen, zu erkennen, dass tröstbar zu sein etwas Gutes und Richtiges ist, dass man angesichts von Sterblichkeit und Tod für Trost bereit sein, ihn suchen muss.

    Also bleibt die Kunst?

    Dorn: Ja – erst recht, wenn der wichtigste Trostspender, menschliche Nähe, mehr oder minder verboten ist. Johanna wird unter anderem von ihrer Liebe zur Musik und ihren Lektüren gerettet, aber auch, weil Max sie mit seinen Postkarten zum Schreiben animiert. Außerdem hilft es ihr, in der Natur zu sein. Eine große Rolle spielt zudem ihr Wunsch, die Schauspieleragentur ihrer Mutter weiterzuführen, dafür zu kämpfen, dass bald wieder Theater gespielt, Filme frei gedreht werden können.

    "Das gemeinsame Erlebnis in Theater, Oper, Konzertsaal oder Kino ist nicht zu ersetzen"

    Umso bitterer, wenn Kunst und Kultur dann im Lockdown auch stillstehen.

    Dorn: Das gemeinsame Erlebnis in Theater, Oper, Konzertsaal oder Kino ist nicht zu ersetzen, indem man sich die Kunst per Stream nach Hause holt. Ich finde es schockierend, dass Politiker seit mittlerweile einem Jahr so tun, als sei ein lebendiges Kulturleben ein verzichtbarer Luxus. Die Künste sind keine Petersilie, mit der wir den Lebensbraten garnieren, sie gehören zum Menschsein existenziell dazu! Nicht zuletzt, weil sie ein Ventil für zahlreiche, auch dunkle Emotionen wie Verzweiflung, Wut und Zorn sind, die wir im politischen Raum nicht haben wollen, die aber dennoch Ausdrucksformen brauchen. Außerdem haben die Salzburger Festspiele im vergangenen Sommer doch gezeigt, dass man mit gutem Hygienekonzept viele und sogar große Veranstaltungen durchführen kann, ohne Infektionen bei Künstlern und Zuschauern.

    Johanna ist Journalistin, und sie ist ziemlich erschüttert von dem, was daraus in Zeiten von Internet und Social Media wird. Thea Dorn auch?

    Dorn: Mein Unbehagen setzt dort ein, wo Empörung in den Social-Media-Kanälen mehr oder minder unreflektiert zur Nachricht geadelt wird. Am Stammtisch zieht man auch darüber her, wie unmöglich die oder der gestern wieder im Fernsehen war – aber daraus wird keine Pressemeldung im Stil von „XY löst Shitstorm aus“. Selbstverständlich soll der Journalismus nicht ignorieren, was sich im Netz tut, aber das Haschen nach Click-Zahlen gehört nicht zu seinen Aufgaben.

    "Wenn öffentliches Reden als Hauptziel die Shitstorm-Vermeidung hat, ist der Diskurs in Gefahr"

    Eigentlich ist er Plattform für Diskurs, essenziell in der liberalen Gesellschaft.

    Dorn: Absolut, wir stecken allerdings in einer Klemme: Einerseits verbirgt sich hinter dem Satz „man darf ja nichts mehr sagen“ häufig der Wunsch, endlich mal wieder ungehemmt und unwidersprochen vom Leder ziehen zu dürfen. Andererseits werden Positionen, die den jeweiligen Mainstream mit Argumenten kritisieren, skandalisiert. Deshalb erfordert es immer mehr Courage, sich kritisch zu äußern. Wenn aber öffentliches Reden als Hauptziel die Shitstorm-Vermeidung hat, ist der Diskurs in Gefahr.

    Wie gehen Sie selbst mit Anfeindungen auf Internet-Plattformen um?

    Dorn: Ich bekomme diese nicht unmittelbar mit, weil ich selbst keine Social-Media-Kanäle bespiele. Mein Verlag behält für mich im Blick, was sich dort tut. Am meisten hat mich die Mitteilung erstaunt, dass ein signifikanter Teil der Empörung, die ich auslöse, meinem Pseudonym gilt.

    Weil Sie eigentlich Christiane Scherer heißen, sich aber, angelehnt an den Philosophen Theodor W. Adorno, seit langer Zeit öffentlich anders nennen?

    Dorn: Seit 1994, um genau zu sein, also seit meinem ersten Roman, einem philosophischen Campus-Krimi, den ich als Studentin geschrieben habe. Ich habe dieses Pseudonym nicht nur gewählt, weil ich Adorno verehre, sondern durchaus auch mit einem Augenzwinkern. Ist es nicht bizarr: In einem Milieu, das größten Wert darauf legt, dass jeder das Recht hat, seine geschlechtliche Identität und damit die Art und Weise, wie er angeredet werden möchte, selbst zu bestimmen, flippen manche aus, weil sich eine Schriftstellerin in jugendlichem Überschwang ein Pseudonym zugelegt hat? Aber vielleicht ist es gerade das Spielerische an meinem Pseudonym, was Vertretern des identitätspolitischen Dogmatismus verdächtig erscheint.

    Wo sind Sie noch Christiane Scherer?

    Dorn: Bei bürokratischen Vorgängen bin ich „Frau Scherer“, für meine Familie bin ich „Christiane“. Aber im öffentlichen Kontext bin ich „Thea Dorn“, und für die Menschen, die ich in den vergangenen 27 Jahren kennengelernt habe, bin ich „Thea“. Denn auch wenn dieser Name nicht im Schmerz, sondern halb im Scherz geboren wurde: Mittlerweile ist er ein Teil von mir.

    Zur Person

    Thea Dorn, 50, heißt bürgerlich Christiane Scherer und ist ein Star der deutschen Gegenwartsliteratur. Die Karriere der studierten Philosophin und ausgebildeten klassischen Sängerin begann mit Krimis, umspannt aber vom Roman über das Drama und die kulturhistorische Abhandlung bis zum Debatten-Sachbuch ein weites Spektrum. Dorn ist zudem Kritikerin, moderiert seit langem im Fernsehen Sendungen und ist seit einem Jahr nun auch Gastgeberin des „Literarischen Quartetts“. Sie lebt in Berlin.

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