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Erster Weltkrieg: Sturz des Kaisers: Können die Deutschen Revolution?

Erster Weltkrieg

Sturz des Kaisers: Können die Deutschen Revolution?

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    Am 6. Februar 1919 tritt die Verfassungsgebende Deutsche Nationalversammlung in Weimar erstmalig zusammen, die Eröffnungsrede hält der Volksbeauftragte Friedrich Ebert.
    Am 6. Februar 1919 tritt die Verfassungsgebende Deutsche Nationalversammlung in Weimar erstmalig zusammen, die Eröffnungsrede hält der Volksbeauftragte Friedrich Ebert. Foto: Dpa- Archiv

    „Die größte aller Revolutionen hat wie ein plötzlich losbrechender Sturmwind das kaiserliche Regime mit allem, was oben und unten dazu gehörte, gestürzt. ... Gestern früh war, in Berlin wenigstens, das alles noch da. Gestern Nachmittag existierte nichts mehr davon.“

    Geschichte wird oft vom Ende her betrachtet, während Revolutionen einer Geschichte ein Ende zu setzen trachten. Beides führt zu Missverständnissen. Und tragisch zu sehen ist das in der Revolutionsgeschichte von 1918.

    Denn jährten sich die Ereignisse des damaligen Novembers in diesen Tagen nicht zum hundertsten Mal – kein blauer Vogel würde höchstwahrscheinlich krähen nach dieser „vergessenen Revolution“, an die der Historiker Alexander Gallus inmitten jahrzehntelangen Schweigens 2010 erstmals wieder erinnerte. Rund um das Jubiläumsjahr gibt es nun aber natürlich Publikationen, Sondersendungen, Zeitungsartikel zuhauf, und allein diese plötzlich anschwellende Häufung offenbart, was für ein Problem die Deutschen mit diesem revolutionären Datum, vielleicht ja: Revolutionen im Allgemeinen haben.

    Das wird ihnen zumindest gerne mal nachgesagt, etwa in dem mittlerweile etwas ausgelutschten, Lenin zugesprochenen, vielleicht von Stalin oder Radek stammenden Zitat, wonach die Deutschen, ehe sie einen Bahnhof stürmen, noch eine Bahnsteigkarte lösen. Das zeigt sich alleine aber auch in der verklemmten Erinnerung an den Widerstand gegen Hitler, in der der 20.Juli (zumindest in der BRD) lange Zeit dominierte und etwa ein Georg Elser und die ganze Arbeiterbewegung keine große Rolle spielten, was durchaus den Verdacht einer gewissen deutschen Ordnungsvernarrtheit und dem Vertrauen in Autoritäten nahelegt – mögen diese Autoritäten auch noch so versagen oder viel zu spät reagieren.

    Sagen kann man also vielleicht durchaus, dass er halt keine Unordnung mag, der Deutsche, und das mag auch wiederum der Grund sein, warum die Ereignisse von 1918, die Weimarer Republik, historisch lange Zeit so in Ungnade gefallen sind, gar als Ursache allen Übels angesehen werden – dem man freilich „Sieg Heil!“ schreiend dann hinterherrannte.

    Dabei ist das eben nur der Blick vom Ende her, das auch hätte ganz anders kommen können, vor allem: Wir zehren und leben heute noch von ihr, der Revolution, ob sie nun eine „echte“ war oder nicht und ob wir es nun wollen oder nicht, jene Tage, die Menschen und Geschehnisse von 1918 wirken mächtig nach. Zurück also in jene Tage, zu jenen Menschen und Geschehnissen, zu dem, was der eingangs zitierte Theodor Wolff, damals Chefredakteur des liberalen Berliner Tagblatts, bereits am 10. November 1918 die „größte aller Revolutionen“ nannte.

    Allein in Berlin wurde ein halbes Dutzend Mal die Republik ausgerufen

    Tags zuvor konnte Wolff erleben, wie die revolutionären Ereignisse auch die Hauptstadt erreichten, nachdem erste Erhebungen erst einmal in der Peripherie, den Ländern stattfanden. Prominentes Beispiel ist München, wo Kurt Eisner bereits in der Nacht auf den 8. November den „Freistaat“ ausrief. Und man kann als erstes typisches Merkmal dieser Revolution also festhalten, dass sich selbst im Umsturz noch der föderale Charakter Deutschlands widerspiegelt – das es im Übrigen und was viele Deutschnationale bis heute übersehen, in dieser Form ja auch erst einige Jahrzehnte gab.

    An jenem 9. November gab es jedenfalls mit einem Mal zig Deutschlands, jedenfalls wurde alleine in Berlin ein halbes Dutzend Mal die Republik ausgerufen. Die zwei prominentesten Auftritte aber waren die von Philipp Scheidemann und Karl Liebknecht. Beide ursprünglich in der SPD, hatten sich während des Weltkriegs unter anderem über die Frage der Kriegskredite die diesen ablehnend gegenüber stehende USPD und schließlich die Spartakisten (später: Kommunisten) um Liebknecht abgespalten. Deren Kurs war nun klar: eine sozialistische Republik. Die Mehrheitssozialdemokraten mit Friedrich Ebert und Scheidemann an der Spitze schwankten hingegen, waren im Oktober sogar widerwillig noch in die neue Regierung, quasi das letzte An- und Aufgebot Kaiser Wilhelms II., eingetreten. Ein weiteres Merkmal wenn schon nicht der Revolution, so doch der linken Bewegungen im Land: stets im Dilemma, ihre Staatsräson unter Beweis stellen zu müssen, hadern sie mit der reinen Lehre – und spalten sich auf. Ganz anders als die mit diesbezüglichen Vorschusslorbeeren (und seien sie noch so welk oder unberechtigt) ausgestatteten Konservativen.

    An jenem 9. November stand also auch auf dem Spiel, wer sich an die Spitze der Bewegung zu stellen vermochte. Die SPD rief den Generalstreik aus, in seiner Abwesenheit wurde vom Reichskanzler Max von Baden die Abdankung des Kaisers verkündet – und Philipp Scheidemann stellte sich gegen 14 Uhr auf den Balkon des Reichstags und proklamierte (ohne das Wissen des zaudernden Ebert): „Das Alte und Morsche, die Monarchie ist zusammengebrochen! Es lebe das Neue; es lebe die deutsche Republik!“ Zwei Stunden später rief dann Karl Liebknecht die sozialistische Republik aus. Einmal eine soziale, einmal eine sozialistische Republik also, bleibt unterm Strich: die Republik.

    Der zum Reichskanzler ernannte Ebert wollte zwar die endgültige Staatsform erst von einer künftigen Nationalversammlung bestimmen lassen, doch zumindest dahinter kam man nun nicht mehr zurück. Im Gegenteil, man machte einen unglaublichen Satz nach vorn: Der aus je drei Vertretern von SPD und USPD (Liebknecht lehnte eine Mitarbeit ab) gebildete „Rat der Volksbeauftragten“ verkündete bereits am 12.November – einen Tag nach Unterzeichnung des Waffenstillstands – mit „Gesetzeskraft“:

    1. Der Belagerungszustand wird aufgehoben.

    2. Das Vereins- und Versammlungsrecht unterliegt keiner Beschränkung, auch nicht für Beamte und Staatsarbeiter.

    3. Eine Zensur findet nicht statt. Die Theaterzensur wird aufgehoben.

    4. Meinungsäußerung in Wort und Schrift ist frei.

    5. Die Freiheit der Religionsausübung wird gewährleistet. Niemand darf zu einer religiösen Handlung gezwungen werden.

    6. Für alle politischen Straftaten wird Amnestie gewährt. Die wegen solcher Straftaten anhängigen Verfahren werden niedergeschlagen.

    7. Das Gesetz über den vaterländischen Hilfsdienst wird aufgehoben, mit Ausnahme der sich auf die Schlichtung von Streitigkeiten beziehenden Bestimmungen.

    8. Die Gesindeordnungen werden außer Kraft gesetzt, ebenso die Ausnahmegesetze gegen die Landarbeiter.

    9. Die bei Beginn des Krieges aufgehobenen Arbeiterschutzbestimmungen werden hiermit wieder in Kraft gesetzt. Weitere sozialpolitische Verordnungen werden binnen kurzem veröffentlicht werden. Spätestens zum 1.Januar 1919 wird der achtstündige Maximalarbeitstag in Kraft treten.

    Die Regierung wird alles tun, um für ausreichende Arbeitsgelegenheiten zu sorgen. Eine Verordnung über die Unterstützung von Erwerbslosen ist fertiggestellt. Sie verteilt die Lasten auf Reich, Staat und Gemeinde. Auf dem Gebiete der Krankenversicherung wird die Versicherungspflicht über die bisherige Grenze von 2500 Mark ausgedehnt werden. Die Wohnungsnot wird durch Bereitstellung von Wohnungen bekämpft werden. Auf die Sicherung einer geregelten Volksernährung wird hingearbeitet werden. Die Regierung wird die geordnete Produktion aufrechterhalten, das Eigentum gegen Eingriffe Privater sowie die Freiheit und Sicherheit der Person schützen. Alle Wahlen zu öffentlichen Körperschaften sind fortan nach dem gleichen, geheimen, direkten, allgemeinen Wahlrecht auf Grund des proportionalen Wahlsystem für alle mindestens 20 Jahre alten männlichen und weiblichen Personen zu vollziehen. Auch für die Konstituierende Versammlung, über die nähere Bestimmung noch erfolgen wird, gilt dieses Wahlrecht.

    In den ersten Tagen des Umsturzes gab es fast kein Blutvergießen

    Man muss das so ausführlich zitieren, weil es so bahnbrechend ist, die Gründungsurkunde der neuen Republik, Kern der Weimarer Verfassung – immerhin die damals dann fortschrittlichste der Welt –, und bis heute in vielen Punkten noch allgemein gültig. Und ganz am Ende, fast beiläufig, wird dann noch das Frauenwahlrecht eingeführt – zeitgleich mit Österreich und als nach Finnland erstes Land in Europa.

    Und: in diesen ersten Tagen des Umsturzes gab es fast kein Blutvergießen, keine Massenerschießungen, keine Guillotine. Und da sage einer, die Deutschen könnten keine Revolution?

    Doch es blieb bekanntlich nicht dabei. Ebert begriff seine Regierung als Übergang und wollte rasch Wahlen, vor allem keine Zustände wie im revolutionären, von Bürgerkrieg gebeutelten Russland, die USPD diese aber noch aufschieben. Es kam zu den „Weihnachtskämpfen“, bei denen reguläre Truppen auf meuternde Marinesoldaten schossen, zum Jahreswechsel gründete sich die KPD mit dem Ziel einer Räterepublik, der „Spartakusaufstand“ Anfang Januar wurde von dem SPD-Politiker Gustav Noske mithilfe von Freikorps zusammengeschossen, Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht ermordet, was in der Folge immer wieder zu Unruhen und teilweise blutig niedergeschlagenen Aufständen im ganzen Reich führte... – und mittendrin und trotz all dem wurde am 19. Januar 1919 dann zum ersten Mal in Deutschland allgemein und frei und gleich gewählt.

    Die SPD wurde mit 37,9 Prozent stärkste Partei, Ebert Reichspräsident und durfte sich, auch wenn er auf Koalitionspartner wie das katholische Zentrum angewiesen war, in seinem reformerischen statt revolutionärem Kurs bestätigt sehen, die Nationalversammlung tagte am 6. Februar zum ersten Mal in Weimar – und die gleichnamige Republik war geboren. Was heute mit ihr verbunden wird? Das Scheitern natürlich. Instabile Verhältnisse. Politische Gewalt auf den Straßen. „Babylon Berlin“, Zille in Cinemascope, aber auch der Aufbruch, die Möglichkeiten, die Goldenen Zwanziger.

    Es ist sehr schwer, sich als Heutiger in die damalige Zeit hineinzuversetzen. Vielleicht bekommt man am ehesten ein Gefühl dafür, wenn man sich an die unmittelbare Nachwendezeit – noch so eine friedliche Revolution – in den neuen Bundesländern erinnert, wo überall ausprobiert und diskutiert und auch getanzt wurde, autonome Kulturzentren, unabhängige Galerien entstanden, ehe dann der bundesrepublikanische Alltag, die Treuhand, der Markt, die Krise vieles wieder plattmachten. Und sich nun laut einer diese Woche veröffentlichten Studie der Universität Leipzig rechtsextreme und autoritäre Einstellungen weiter ausbreiten. Eine Parallele zu damals also? Weimar als das derzeit wieder ebenso viel beschworene wie abschreckende Beispiel?

    Diese Revolution darf nicht schamvoll verdrängt werden

    Der an Marx geschulte Friedrich Ebert hätte gewusst, dass Geschichte sich nicht wiederholt. Und seine Republik war besser als ihr Ruf. Und doch zahlte sich sein Paktieren auch und gerade mit dem Militär nicht aus. General Ludendorff, der am 3. Oktober 1918 geradezu um Waffenstillstand gewinselt hatte („48 Stunden kann die Armee nicht mehr warten“), wurde zu einem Vater der sogenannten „Dolchstoßlegende“, nach der die „im Felde unbesiegte“ Armee von den Revolutionären in Berlin verraten worden sei – und agitierte und putschte gegen die Republik. Mit der Journalistin Bettina Gaus ist insofern durchaus die Frage zu stellen, inwieweit eine Revolution immer auch eines Elitenaustausches bedarf, und dieser, typisches Merkmal auch das, unterblieb in Deutschland fast vollständig. Es blieben stattdessen führende Köpfe in Behörden, Militär und Wirtschaft, auf die sich später auch die Nationalsozialisten stützen konnten. Ob diese allerdings ohne die Weltwirtschaftskrise von 1929 (und die falschen Reaktionen darauf) an die Macht gekommen wären, bleibt ebenso fraglich, historische Spekulation – wie so vieles.

    Kann man also überhaupt etwas lernen von damals? Natürlich, und zuallererst: Dass diese Revolution erzählt werden muss, stolzer Teil der republikanischen DNA dieses Landes – und nicht etwa schamvoll verdrängt.

    Auch weil zuletzt über lange Zeit ein Politikstil in Medien und Wahlen als äußerst erfolgreich galt, der seine kleinteilige Ideenlosigkeit mit der Behauptung zu kaschieren suchte, die Dinge vom Ende her zu denken. Doch das ist, zumal unter den heutigen komplexen Bedingungen, unmöglich, führt nicht nur zu Missverständnissen, sondern zunehmenden Verwerfungen. Und tragisch zu sehen ist das dieser Tage. Wie gesagt: Einen Vergleich zu ziehen zwischen 2018 und damals ist mindestens ebenso unseriös. Aber aufpassen und arbeiten daran, dass das schon damals mal Erreichte nicht scheitert, muss man gleichwohl. Weil die größten aller Revolutionen sind wohl die, die niemals nötig werden.

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