Einer Ihrer Titel heißt „Ich muss dir was sagen“. Damit fangen oft schwierige Gespräche an.
Kerstin Ott: Bei mir ist das Gegenteil der Fall. Es ist ein Liebeslied. Zwei Zeilen gehen so: „Ich würd’ dich gern für immer um mich haben.“ Und: „Ich würd’ dich gern für immer auf Händen tragen.“
Das Lied ist für Ihre Frau. Wieso haben Sie es ihr gewidmet?
Ott: Es erzählt, wie alles zwischen uns begonnen hat. Wir sind seit neun Jahren zusammen und seit fast drei Jahren verheiratet.
Haben Sie den Satz „Ich muss dir was sagen“ auch benutzt, als Sie sich damals geoutet haben?
Ott: Nein. Mein Coming-out hatte ich mit 17 Jahren. Ich war mit meiner Freundin einen Monat zusammen. Wir haben beschlossen, es einfach zu sagen.
Inwiefern ist Homosexualität in Deutschland heute anerkannt?
Ott: In den vergangenen zehn Jahren ist die Akzeptanz gewachsen. Ich sehe aber immer noch Nachholbedarf – besonders was die Einstellung älterer Menschen angeht. Ich kann sie aber verstehen. Es ist schwer für sie, umzudenken. Trotzdem diskriminieren auch viele junge Leute Homosexuelle. Ich werde immer mal wieder über Facebook und Instagram beleidigt. Das finde ich traurig. Jeder sollte so leben, wie sie oder er es möchte.
Was raten Sie jungen Menschen, die sich outen möchten?
Ott: Am besten sagt man es einer Person, der man vertraut. Das muss nicht gerade Mama oder Papa sein. Meistens merken es andere auch schon vor einem selbst. Ich zum Beispiel habe es meiner Erzieherin erzählt. Sie hatte sich das gedacht. Ich war damals schon burschikos unterwegs.
Kerstin Otts Karriere
Kerstin Ott, 38 Jahre alt und gebürtige West-Berlinerin, wohnt mit ihrer Ehefrau und deren zwei Kindern in Heide in Holstein. Sie ist gelernte Lackiererin und Malerin.
Ihr Debütalbum „Herzbewohner“ von 2016 mit dem Hit „Die immer lacht“ verkaufte sich über 200 000 Mal.
Ihr aktuelles, bereits drittes Album „Ich muss dir was sagen“ stieg bis auf Platz zwei der Charts.
Die für Herbst geplante Tour dazu mit Terminen in München, Nürnberg und Stuttgart ist auf nächstes Jahr verschoben.
Sie haben vor drei Jahren geheiratet, Ihre Frau hat zwei Kinder. Wie läuft Ihr Familienleben?
Ott: Wir leben zu viert in einem Haus in Heide in Schleswig-Holstein. Lilli ist elf und Laura 16. Die Kids haben regelmäßig Kontakt zu ihrem Vater. Ich müsste sie adoptieren, damit sie auch meine Kinder sind. Das Abstammungsrecht, das für heterosexuelle Paare gilt, ist noch nicht an die gleichgeschlechtliche Ehe angeglichen. Aber für uns ist egal, was auf dem Papier steht. Lilli und Laura nennen mich sowieso nicht Mama, sondern beim Vornamen.
Sie tragen auf der Bühne Boxerjacke, Boxerfrisur, weite Jeans. Wie sehr unterscheiden Sie sich von anderen Schlagerstars?
Ott: Kloppo (Jürgen Klopp, Fußball-Trainer des FC Liverpool, Anm. d. Red.) würde sagen: Ich bin „the normal one“, die Normale. Glamour brauche ich nicht. Andere aber denken, dass sie das brauchen. Sie fliegen mit dem Hubschrauber zu Auftritten. Bei mir funktioniert Schlager, gerade weil ich privat normal lebe. Ich bin gelernte Maler- und Lackiererin und erst vor vier Jahren zum Schlager gekommen. Wenn ich mich nicht um Musik kümmere, male ich gerne und erledige Tischlerarbeiten. Das ist mein Ausgleich.
Was nehmen Sie aus Ihrem früheren Job mit?
Ott: Ausdauer und Geduld. Ich packe nicht das erstbeste Lied auf ein Album. Man muss es selber mögen, das ist das Wichtigste. Aus knapp zwanzig Liedern wähle ich 13 bis 14 für ein Album aus.
Nachdem Sie Ihre Ausbildung mit 18 Jahren abgeschlossen haben, sind Sie in eine Krise geraten: Sie sind spielsüchtig geworden.
Ott: Ich habe früher Billard gespielt und in den Bars gab es Spielautomaten. Irgendwann habe ich fünf Mark da reingesteckt und 300 erhalten. Ich wusste zwar, dass ich nicht immer so viel Glück habe, trotzdem habe ich weitergespielt. Bis zu meinem 25. Lebensjahr bin ich spielsüchtig gewesen.
Sie haben sich dann selbst überlistet, um da rauszukommen.
Ott: Ich musste hartnäckig sein, wie jemand, der mit dem Rauchen aufhört. Es hat viele Anläufe gebraucht. Ich habe Zettel mit meinem Namen und Foto in Spielhallen im Umkreis von 50 Kilometer verteilt, den Betreibern von meiner Sucht erzählt und mir dadurch selbst Hausverbot erteilt. Mein Stolz hat mir verboten, noch mal in die Hallen zu gehen.
Heute sind Sie ein Schlagerstar, der besonders durch ruhige Lieder auffällt. Was ist Ihr Erfolgsrezept?
Ott: Ich habe mir klargemacht, dass ich Erfolg nicht hinterherrennen muss. Dadurch habe ich weniger Druck und kann kreativer sein. Ich schreibe meine Lieder selbst. Man muss ein Lied schreiben wollen, nicht einen Hit. Ich möchte das Leben so darstellen, wie es ist. Bei meinen Auftritten verzichte ich auf Tänzer.
Ihr Hit „Die immer lacht“ hat Ihnen zum Durchbruch verholfen. Inwiefern sind Sie ein Mensch, der immer lacht?
Ott: Ich lache nicht immer. Das Lied habe ich 2005 für eine kranke Freundin geschrieben. Zwei DJs haben daraus irgendwann einen Remix mit viel Beat gemacht, der eingeschlagen ist. Meine Freundin ist eine Frau, die nach außen strahlt. Probleme macht sie aber eher mit sich aus. Das ist bei mir anders.
Trotzdem möchten Sie mit Ihren Texten das Optimistische beschreiben.
Ott: Auch wenn man eine schwierige Phase durchmacht, sollte man optimistisch bleiben. Es gibt immer einen Weg aus der Misere. Ich möchte Texte schreiben, die Sinn und Verstand haben. In eine Parallelwelt zu flüchten, wie ich es damals mit den Spielhallen getan habe, ist keine Option.
Vielen Menschen sind Texte von Schlagern zu oberflächlich.
Ott: Das sehe ich nicht so. Es ist zwar schön, über hohe Berge und den blauen Himmel zu singen, aber viele trauen sich mehr zu. Schlagersänger sind in dem Zwiespalt, dass die Leute den Text sofort verstehen und mitsingen sollten. Das zündet – oder eben nicht. Die Branche wandelt sich seit einiger Zeit. Es wird mehr auf Texte geschaut als früher. Sie sind tiefsinniger. Außerdem vermischen sich die Genres mehr. Schlager hat hin und wieder Elemente von Pop und House.
Bei Ihren ersten Auftritten haben Sie Probleme gehabt.
Ott: Als ich in Diskotheken vor betrunkenen Jugendlichen aufgetreten bin, bin ich beschimpft worden. Die ersten zwei Jahre waren schwierig. Auch wegen des Lampenfiebers vor Auftritten. Ich habe gezittert und mein Körper hat mir gesagt, dass ich auf die Toilette muss. Ich habe manchmal nicht gewusst, wie ich Gitarre spielen sollte. Irgendwann habe ich es aber geschafft, meine Aufregung so in den Griff zu bekommen, dass sie meine Stimme nicht beeinflusst.
Und Sie verdienen viel Geld mit Musik. Wie viel genau?
Ott: So viel, dass am Ende jeden Monats Taschengeld übrig bleibt.