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Mode: Mehr als nur ein Turnschuh: Wie Sneakers zum Volksschuh wurden

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Mehr als nur ein Turnschuh: Wie Sneakers zum Volksschuh wurden

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    Von wegen Sportschuh - Sneakers sind längst zum Alltagsschuh für Schule, Büro und Biergarten geworden.
    Von wegen Sportschuh - Sneakers sind längst zum Alltagsschuh für Schule, Büro und Biergarten geworden. Foto: Stock.adobe.com

    Machen Sie doch mal die Probe aufs Exempel: Setzen Sie sich an einem Nachmittag ins Café auf dem Markt- oder Rathausplatz ihrer Stadt und schauen Sie sich die Menschen an. Genauer ihre Füße. Mit Sicherheit wird mehr als die Hälfte der Vorbeilaufenden mit Sneakers unterwegs sein. Ganz egal, ob man den Versuch nun in Frankfurt, New York, Illertissen, Kempten oder Paris startet, man wird feststellen: Jener Turnschuh, dessen Vorläufer um 1860 in England als Cricketschuh erfunden wurde, ist – nun ja, man kann es nicht anders ausdrücken – auf dem Vormarsch und längst nicht mehr nur zum Sport die erste Wahl.

    Versneakerung der Welt lässt Pumps, Halbschuhe und Sandalen alt aussehen

    Mit einer Zahl lässt sich das auch untermauern: Eine Verbraucherkonsumstudie der Textilwirtschaft stellte im Jahr 2017 fest, dass für einen Großteil der Männer und Frauen (56 bzw. 60 Prozent) der Sneaker der beliebteste Straßenschuh geworden ist. Wer den Menschen vier Jahre später auf die Füße blickt, hat nicht den Eindruck, dass sich dieser Anteil seitdem verringert hat: Die „Versneakerung“ der Welt schreitet weiter voran und lässt Pumps, Halbschuhe und Sandalen alt aussehen. Oder man könnte es auch so ausdrücken wie Claudia Schulz vom Deutschen Schuhinstitut in Offenbach: „Der Sneaker ist zum Volksschuh geworden.“

    Denn tatsächlich ist die „Versneakerung“ ein Phänomen, das generationen- und geschlechterübergreifend ist und alle Schichten erfasst hat. In Vorstandsetagen finden sich die Sportschuhe ebenso wie auf den Schulhöfen. Sie werden zum Businessanzug getragen, zum leichten Sommerkleid, zu Jeans sowieso. „Damit lässt sich jedes Outfit flotter drehen“, nennt Claudia Schulz einen der Gründe, warum die ehemaligen Sportschuhe nun bei ganz anderen Anlässen als Tennis und Basketball zu finden sind.

    Auch bei Regengüssen und auf der U-Bahn-Treppe geeignet

    Auch Komfort und Vielseitigkeit macht sie als Pluspunkte dieses Schuhwerks aus. „Wir sind viel unterwegs, da müssen unsere Schuhe einen Regenguss überstehen und auch geeignet sein, um die U-Bahn-Treppe herunterzuhasten“, beschreibt Claudia Schulz die Alltagstauglichkeit der Sneakers, die sie für so viele attraktiv macht. Dass sie so bequem sind, dürfte ein Grund dafür sein, warum auch viele ältere Menschen zu diesen Schuhen greifen. „Mit seiner breiten Passform und der dicken Sohle ist der Sneaker als Seniorenschuh natürlich sehr geeignet“, weiß die Fachfrau.

    Bequemlichkeit, Zweckmäßigkeit, Vielseitigkeit und Lässigkeit – alles schön und gut, aber die Aura, die dieses Schuhwerk seit jeher, besonders aber in dieser Zeit, umgibt, erfasst man damit nicht.

    "Sneakerhead" Sergie Maurer hat bis zu 800 Paar

    Die "Nike Air Jordan 1S"-Sneakers der Basketball-Legende Michael Jordan wurden für 560.000 Dollar versteigert.
    Die "Nike Air Jordan 1S"-Sneakers der Basketball-Legende Michael Jordan wurden für 560.000 Dollar versteigert. Foto: Sotheby's, dpa

    Wer sich mit Sergio Maurer unterhält, stößt in andere Dimensionen vor. Da fallen in den ersten Sätzen des Telefongesprächs bereits Worte wie „Statement“ und „Kult“. Maurer, 40 Jahre alt, ist ausnahmsweise barfuß, weil er zu Hause in seiner Züricher Wohnung gern mit nackten Füßen umherläuft. Wenn er die Wohnung verlässt, trägt er aber meist Sneakers. Im Moment bevorzugt er die „Nike Air Max 90 Infrared“. Es könnten auch andere sein, Maurer hat die Wahl, denn neben diesen besitzt er noch weitere 700 bis 800 Paar, die er in seiner Wohnung, im Keller, bei seinen Eltern und mittlerweile auch auf einer Abdeckung der Badewanne stapelt. „Bei mir wird nur noch geduscht“, sagt er mit seinem Schweizer Akzent und man kann sich gut vorstellen, dass er dabei grinst.

    Sergio Maurer ist einer der Gründer der „Sneakerness“, einer Messe für alle, die wie er ihre Füße in nichts anderes mehr stecken wollen. 2008 initiierte der Schweizer, damals noch in Bern zu Hause, ein geselliges Treffen unter Gleichgesinnten. 13 Jahre später ist daraus ein Riesen-Event in Städten wie Amsterdam, Zürich oder Köln geworden. Bis zu zehntausend Menschen strömten vor den pandemiebedingten Absagen des letzten Jahres herbei, erzählt Maurer, sichteten und kauften die neuesten Modelle und tauschten sich aus über Colorway (Farbgebung), Heel Cap (Fersenkappe) und Samples (die Prototypen eines Schuhs, die Sammler zu Jägern werden lassen).

    1,8 Millionen Dollar für ein paar getragene Turnschuhe

    Das Paar Turnschuhe von US-Rapper Kanye West erzielte mit 1,8 Millionen US-Dollar einen Rekordpreis.
    Das Paar Turnschuhe von US-Rapper Kanye West erzielte mit 1,8 Millionen US-Dollar einen Rekordpreis. Foto: Sotheby's, dpa

    Als Sandalenträger kann man da nicht mitreden. Denn Sneakerheads, also jene Menschen, die leidenschaftlich Sneakers tragen und sammeln, sind – und auch das befördert den Hype – eine Community mit einer eigenen Sprache und speziellen Ritualen. Unboxing etwa. Das ist der Moment, in dem man den neuen Sneaker aus der Schachtel holt. „Etwas vom Geilsten, was es gibt“, schwärmt Sergio Maurer enthusiastisch und erzählt, wie er die Schuhe aus der Box nimmt, Schuhbänder aus- und neu einfädelt, wie er sie vorsichtig anzieht und erst einmal in der Wohnung ein wenig trägt. Sie „riecht und schmeckt“, wie er es ausdrückt. Da rückt man dem Mythos vom Sneaker schon näher.

    Und gerät weiter ins Staunen, wenn man hört, wie der ursprünglich preiswert hergestellte Gebrauchsartikel zum exklusiven Sammlerstück und gar zum teuren Kunstwerk geworden ist. So jüngst geschehen, als ein schwarzer Turnschuh, den der amerikanische Rapper Kanye West bei einer Oscar-Verleihung getragen hatte, für 1,8 Millionen Dollar durch das Auktionshaus Sotheby’s versteigert wurde. Sneakers sind längst auch eine Geldanlage und werden an der Onlinebörse StockX wie Wertpapiere gehandelt.

    Kaufen, lagern, abfotografieren, angeben: Das passiert mit Deadstock-Schuhen

    Wer trotzdem immer noch glaubt, dass man Schuhe in erster Linie kauft, um damit herumzulaufen, weiß nicht um den Zauber eines Deadstock. Das ist ein ungetragenes Paar Sneakers in Originalverpackung mit allem Zubehör wie Hängeetiketten, Schuhbändern und Stickern. Wohlverwahrt bleibt es im Regal des Sammlers, der seine Freude daran hat, der Welt in den sozialen Medien unter dem Hashtag #LPU (Latest Pick-up) kundzutun, was er gerade ergattert hat. „Diese Angeberei hat in den letzten Jahren durch die sozialen Medien skurrile Formen angenommen“, findet selbst Sergio Maurer. Er selbst muss mittlerweile nicht mehr jeden neuen Schuh haben. „Ich bin vom Sammler zum Genießer geworden“, sagt er.

    Schon in ihren Anfängen, als sie nur Sportschuhe waren, umgab die Sneakers etwas Besonderes, angefangen beim Namen. „Sneakers“ (engl. to sneak – anschleichen) hießen sie, weil ihre biegsame Gummisohle im Gegensatz zur bisher verwendeten Ledersohle leisere Schritte versprach. Zwei amerikanische Firmen, Keds und Convers, nahmen sich die englischen Cricketschuhe zum Vorbild und entwickelten 1917 spezielle Schuhe für den Sport. Convers tat sich dafür zusammen mit dem Basketballer Chuck Taylor für den legendären Baseballschuh „All Star“, der unter dem Namen „Chucks“ immer noch einer der meistverkauften Schuhe ist. Convers setzte damit einen Trend, der bis heute einiges dazu beiträgt, dass Sneakers vor allem bei jungen Leuten so beliebt sind: die Kollaboration mit Stars und Designern. Ja, richtig gelesen. Den Begriff Kollaboration kennt man sonst nur aus dem militärischen Bereich, in der Welt der Sneakerheads bekommt er fast schon einen weihevollen Klang, wenn dazu die Namen von Michael Jordan oder Kanye West fallen, die Paten von Sneakers-Modellen wurden.

    Bei Joschka Fischer waren sie noch ein Protest, bei Kamala Harris nicht mehr

    Bekannte Stars waren es auch schon in den 1950er und 60er Jahren, die den Schuh aus den Sporthallen in den Alltag holten. James Dean, Elvis Presley, Mick Jagger, Idole einer Jugend, die in jeder Hinsicht anders sein wollte als ihre uncoolen Eltern, stellten ihre Turnschuhe offensiv zur Schau und inspirierten damit die junge Generation. In den 1980ern waren es dann die Rapper, die nicht nur musikalisch den Ton angaben, sondern auch modisch mit ihren Caps, Baggy-Hosen und Oversize-Shirts. Inclusive der passenden Sneakers natürlich.

    All das spielt eine Rolle für die universale Beliebtheit des Sportschuhs. Allerdings ist der Sneaker dadurch eben nicht mehr nur Symbol einer auf Abgrenzung bedachten Jugend. Die ursprüngliche Nonkonformität ist der Uniformität gewichen, wenn alle und zu jeder Gelegenheit das lässige Schuhwerk tragen. Kamala Harris, Vizepräsidentin der USA, wirkt mit ihren Chucks heute einfach nicht mehr so rebellisch wie Joschka Fischer, als er 1985 in seinen weißen Nikes zur Vereidigung als Umweltminister im Hessischen Landtag erschien und damit auf seiner Individualität im Heer der Halbschuhträger beharrte.

    Der Sneaker steht heute für jung und dynamisch

    Vielmehr ist der Sneaker zum Abbild unserer Gesellschaft geworden. Oder genauer: zum Sinnbild der Ideale unserer Gesellschaft. Jung und dynamisch wollen wir sein. Zwänge und Konventionen wollen wir ablegen wie die sperrigen Lederschuhe und bequem wollen wir es nicht mehr nur am Casual Friday haben. Auf weichen Sohlen zu schleichen, ist angesagter, als auf High Heels durchs Leben zu schreiten. Demonstrativ verzichten auch weibliche Stars im Zeichen von #MeeToo darauf, über den roten Teppich zu stöckeln. Und mit Sicherheit sind die Sneakers genau das richtige Schuhwerk, um in der auf Mobilität und Flexibilität ausgerichteten Berufswelt nicht nur die richtige Bodenhaftung zu finden, sondern karrieremäßig auch durchzustarten.

    Weiße Sneakers - "der heilige Gral" unter den Sportschuhen

    Sneaker sind beliebt und ein absoluter Dauerbrenner.
    Sneaker sind beliebt und ein absoluter Dauerbrenner. Foto: Monika Skolimowska, dpa

    Es wird also sicherlich kein schnelles Ende mit dem Massenphänomen Sneakers nehmen, auch wenn das immer wieder prognostiziert wird. „Die Trends werden sich ändern, aber verschwinden werden Sneakers auf keinen Fall“, ist sich Sergio Maurer sicher. Dad-Shoes in gewollt klobigem Design, futuristische Sock-Sneackers, die sich wie Strümpfe um die Knöchel schmiegen, kommen und gehen. Derzeit sind vor allem Retro-Sneaker, Variationen klassischer Modelle aus den 1970er Jahren, angesagt. Und der weiße Sneaker, für Sergio Maurer „der heilige Gral“ unter den Sportschuhen.

    Dazu bieten sich durch Hightech immer wieder neue Möglichkeiten: Mit Materialien wie Goretex und recyceltem Plastik oder Sohlen aus dem 3D-Drucker und Selbstschnürern mit eingebautem kleinen Motor, nachempfunden den Wunderschuhen von Michael J. Fox im Film „Zurück in die Zukunft“, wird der Sneaker immer wieder neu erfunden.

    Ist das jetzt die Chance für ein Halbschuh-Revival?

    Und damit zurück zu Claudia Schulz vom Deutschen Schuhinstitut in Offenbach. Auch sie ist der Ansicht, dass die Möglichkeiten, die die Sneakers bieten, längst noch nicht ausgereizt sind. Sie fragt sich allerdings auch, wie lange das noch so geht mit der Sneakers-Begeisterung der Jugend. „Wenn schon Omas und Opas in Sneakers herumlaufen, da muss doch irgendwann eine Gegenbewegung einsetzen, damit sich die Jungen wieder von den Alten absetzen können.“ Für den guten alten Halbschuh könnte das dann eine Chance für ein schleichendes Revival sein.

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