Wir leben in einer vernetzten und immer kleiner werdenden Welt. Mal kurz nach Australien fliegen, kein Problem. Mal kurz Kaffee aus Südamerika trinken, kein Problem. Mit dem Smartphone aus China ins Internet gehen, kein Problem. Wir sind globaler als früher. Doch trotzdem wollen sich viele wieder zurückbesinnen auf das Lokale, Regionale. Aber geht das noch? Kann ich mit regionalen Produkten überhaupt durch den Alltag kommen? Und ist auch alles aus der Region wirklich regional? Hier bei uns wachsen keine Kakaobäume, keine Kaffeepflanzen oder Palmen, aus denen man Öl gewinnen kann.
Trotzdem konsumieren wir Schokolade, Kaffee oder Lebensmittel, in denen Palmöl verarbeitet wurde. 2015 rief die damalige französische Umweltministerin Ségolène Royal dazu auf, Nutella zu boykottieren. Warum? Weil so viel Palmöl in dem Produkt ist und dafür so viele Regenwälder gerodet werden. Aber Palmöl ist längst fast allgegenwärtig: Als Zutat von Waschmitteln, Seifen, Suppen, … Ich weiß das, aber viele andere Verbraucher nicht. Vielleicht müssen wir alle unser Kaufverhalten überdenken. Daher beschloss ich für mich selbst, einen kleinen Versuch zu starten. Kann ich regional leben? Und damit meine ich nicht nur Lebensmittel, sondern auch alltägliche Gebrauchsgegenstände.
Schon beim Schreiben dieser Zeilen fällt auf, in manchen Lebensbereichen ist das unmöglich. Der Computer, in den ich tippe, ist voller Rohstoffe aus fernen Ländern. Das Gerät selbst ist nicht in Deutschland gefertigt. Ähnlich wie mein Smartphone, das aus China kommt. Sei’s drum. Denn diese Geräte wie Fernseher, Laptop oder Handy lege ich mir nur selten zu. Ich besitze viele von ihnen über mehrere Jahre hinweg. Genau wie mein Auto. Ich will es trotzdem versuchen, so gut es eben geht. Wir werden ja sehen.
Teile meines Kühlschranks haben schon mehr von der Welt gesehen als ich selbst
Es ist morgens kurz nach 8 Uhr. Mein Wecker klingelt. Nach dem Gang zur Toilette schmeiße ich den Wasserkocher an und greife nach der Kaffeedose im obersten Fach meines Küchenschranks. Stopp. In Bayerisch-Schwaben wachsen keine Kaffeepflanzen. Ergo kein Kaffee zum Frühstück. Schwarzer oder grüner Tee wären Alternativen, wachsen aber auch nicht in Bayern. Bleibt noch Malzkaffee. Kurzer Blick in den Kühlschrank, hab ich nicht da. Neben Wurst vom Discounter stehen da Kaffeesahne, Ketchup, Antipasti aus Italien, Nutella, Cheddarkäse und Butter aus Irland. Teile meines Kühlschranks haben schon mehr von der Welt gesehen als ich selbst. Mein Magen knurrt, aber es hilft nichts, ich muss einkaufen gehen.
Aber wohin? Ich probiere es einfach an allen Anlaufstellen, wo ich sonst eben auch einkaufen würde. Also ab zum Discounter und zum Supermarkt. Beim Durchstreifen der Discounter-Regale wird einem schnell klar: Regional einkaufen heißt auch, sich Zeit zu nehmen. Und damit ist nicht nur gemeint, jedes Produkt umzudrehen und zu schauen, wo es herkommt, sondern sich die Zeit zu nehmen, seine Kaufgewohnheiten zu hinterfragen. Statt einfach Begriffe wie Butter, Wurst und Milch aufzuschreiben und dann schnell zusammenzusuchen, stell ich mir die Frage: Brauch ich heute Joghurt? Brauch ich heute Garnelen aus Norwegen? Brauch ich Bio-Riesentomaten aus den Niederlanden? Regional kaufen heißt manchmal verzichten. Das Problem dabei sind aber nicht die Lebensmittel. Das werde ich noch lernen beim Einkaufen…
Beim Discounter bin ich zunächst positiv überrascht. Auf einer Milchverpackung steht „Einfach Regional“, darunter ist ein Bild eines lächelnden Bauers mit einem Kalb und noch etwas weiter unten heißt es, dass die Milch aus Bissingen kommt – keine 50 Kilometer Luftlinie von Augsburg entfernt. Na geht doch, das war einfach! Sicherlich könnte ich auch hinausfahren nach Bergheim und dort bei einem Milchautomaten mir selbst etwas zapfen. Ich gebe mich mit der Discounter-Milch zufrieden.
Mit dem Wissen über das Label „Einfach Regional“ suche ich jetzt gezielt im Discounter nach anderen Produkten und werde im Kühlregal fündig. 350 Gramm Hähnchen-Ministeaks. Doch diesmal steht da als Herkunftsort Bogen. Das ist in Niederbayern. Einfache Strecke mit dem Auto knapp 200 Kilometer. Da stehe ich vor der Frage: Was ist eigentlich regional für mich selbst? Wo ziehe ich die Grenze? Ist Bogen zu weit weg?
Ich kann mich also nicht blind auf solche Label verlassen. Klar, ich kann auch sagen, näher geht’s nicht. Aber bei Fleisch, Gemüse oder Backwaren fällt es einem deutlich leichter, regionale Alternativen zu finden. Deswegen bleiben die Steaks im Kühlregal.
Die Supermarktkette macht auf Dorfladen
Überhaupt hinterfrage ich mich selbst immer wieder: Wie sicher kann ich mir bei Produkten sein, die in der Region hergestellt worden sind? Ein kleines Beispiel: Schwäbische Spätzle. Hergestellt in der Nähe von Stuttgart. Authentisch, daher für mich vertretbar. Aber als gelernter Lebensmitteltechniker schaue ich auf die Rückseite und lese mir die Zutaten durch. Klar, Hartweizengrieß ist enthalten und Hühnervollei aus Bodenhaltung. Aber: Woher stammen die Eier? Auch aus der Nähe von Stuttgart oder überhaupt nicht aus Deutschland? Das kann ich nicht nachvollziehen. Die Transparenz der Hersteller fehlt.
Anderes Beispiel: In Augsburg gibt es in der Innenstadt ein Geschäft, das regionale Kleidung anbietet. Schurwolle aus der Region, lokale Fertigung und Verkauf direkt am Standort. Ein tolles Konzept an sich. Doch kleinere Teile wie der Reißverschluss kommen eben nicht von hier. Trotzdem sind bis zu 300 Kilometer Umkreis noch sehr regional. Auch die zum Teil verwendete Baumwolle kommt nicht aus Deutschland. Aber auf Kleidung kann nun mal keiner verzichten. Sehr transparent ist ein Laden im Augsburger Bismarckviertel. Auf einer großen Landkarte von Bayerisch-Schwaben an der Wand wird über Nummern und kleinen Porträtbildern den Käufern erklärt, wo welche Produkte herkommen. Simpler geht’s nicht.
Die nächste Anlaufstelle ist der Supermarkt, bei mir an der Ecke. Hier ist es kein Problem, regionales frisches Gemüse zu bekommen. Glück gehabt, dass mein Selbstversuch im Spätsommer stattfindet. Bei der Fleischtheke bekomme ich auch Wurst aus der Region. Was mir schon bei früheren Besuchen aufgefallen ist –, und das sehe ich auch in immer mehr Discountern – an den Wänden hängen Bilder von Augsburger Sehenswürdigkeiten wie das Rathaus oder der Herkulesbrunnen. Die Supermarktkette macht auf Dorfladen. An den Regalen hängen kleine Schilder mit der Aufschrift „Aus deiner Region“. Trotzdem ist das Angebot überschaubar. Ich bin ein wenig enttäuscht. Bei den Backwaren ist nicht ersichtlich, woher sie kommen. Ich beende meinen Einkauf und gehe.
Nach Supermarkt und Discounter führt mich mein Weg in ein Reformhaus – irgendwann will ich mich ja auch mal waschen oder meine Zähne putzen. Nach einem kurzen Gespräch mit einer Verkäuferin macht sie mich auf zwei Hersteller aus Bayern aufmerksam. Ich finde ein Haarshampoo, Cremes, Aftershave, Seife und Zahnpasta. Aber Bayern ist groß und beide Produkte kommen nicht aus seinem schwäbischen Teil. Regionaler geht’s wohl nicht. Ich muss kleine Kompromisse eingehen. Für Deo, Parfum, Spülmittel oder Waschmittel muss ich aber noch weitersuchen.
Irgendwann muss das Konsumierte auch mal wieder raus
Der Einkauf ist abgeschlossen, der Kühlschrank voll. Bei einem Feierabendbierchen – zumindest da ist die Auswahl ja groß – bereite ich mir meine erste Mahlzeit zu: Schinkennudeln mit Kochschinken vom Metzger. Dabei denke ich darüber nach, was ich mir in den kommenden Tagen kochen kann. Selbstgemachte Tomatensuppe, belegte Semmel, Kartoffelchips aus dem Backofen – alles kein Problem. Auch beim Frühstück muss ich auf nichts verzichten: Wurst, Käse, Milch, Butter, ein gekochtes Ei – alles aus der Region. Selbst wenn meine Freundin Konfitüre möchte, wäre das zu kriegen. Aber: Man muss ein wenig mehr Zeit aufwenden, beim Einkaufen und später beim Kochen. Fertigprodukte gibt’s eben nicht.
Irgendwann muss das Konsumierte auch mal wieder raus. Und plötzlich frage ich mich, wo kommt eigentlich mein Klopapier her? Auf der Packung steht Düsseldorf. Dabei steht doch mitten in Augsburg eine große Papierfabrik. Aber die stellt Druckpapier her. Im Internet finde ich eine Toilettenpapier-Fabrik aus Unterfranken, da könnte ich in großen Mengen einkaufen. Also selbst so etwas Unverzichtbares kann nahezu regional bezogen werden. Ich bin begeistert.
Übrigens sind die regionalen Produkte nicht viel teuerer. Im Gegenteil: An der Wursttheke habe ich sogar weniger bezahlt als sonst. Bei Hygieneartikeln ist es dagegen etwas mehr. In unserem Zwei-Personen-Haushalt würden wir wohl grob 15 bis 20 Prozent mehr ausgeben.
Ein wirklich regionales Produkt noch zum Schluss: unsere Zeitung. Sie wird aus mehr als 85 Prozent Altpapier hergestellt, das wiederum aus der Region stammt. Während ich also noch so weiter mein Feierabendbierchen trinke, frage ich mich, wo kommt eigentlich der Strom aus der Steckdose her? Die Zahnpasta ist regional, aber die Zahnbürste? Wurde der Stuhl, auf dem ich sitze, in Deutschland gefertigt? Was ist, wenn sich morgen die Sohle von meinem Schuh löst? Ich kann also noch viel größer denken.
Mein Fazit: Wer regional einkaufen will, muss sich anfangs erst einmal klar werden, was für ihn vertretbar ist. Dann hilft es, sich vor dem Einkauf zu informieren, sonst muss man zum teil ewig suchen. Gelernt habe ich aber auch: Ich muss manchmal verzichten können.