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Waffen der Pflanzen: Gar nicht harmlos: Tomaten machen Raupen zu Kannibalen

Waffen der Pflanzen

Gar nicht harmlos: Tomaten machen Raupen zu Kannibalen

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    Eine Raupe auf einer Tomate.
    Eine Raupe auf einer Tomate. Foto: denissimonov/Fotolia.com

    Wenn Sie immer noch denken, Bäume seien stumme Riesen, Gärtnern ein friedlicher Zeitvertreib und die selbst gezogenen Tomatenpflanzen ein harmloses Hobby: Vergessen Sie’s! Pflanzen sind vieles, aber sicher nicht harmlos. Pflanzen wachsen fast überall. Ohne Pflanzen gäbe es weder Tiere noch Menschen auf der Erde. Pflanzen stehen aber auch am Anfang der Nahrungskette und auf dem Speiseplan ungezählter Arten von Insekten, Tieren und uns Menschen. All dies hätten die Pflanzen sicher nicht überstanden, wenn sie sich nicht zu wehren wüssten. Und das können sie.

    Gerade eben haben amerikanische Biologen der Universität Wisconsin einen neuen, faszinierenden Beleg dafür gefunden: Ganz normale Tomatenpflanzen können Raupen dazu bringen, ihre Artgenossen aufzufressen, statt sich über die Pflanzenblätter herzumachen. Das schreiben die Forscher im Fachmagazin Nature Ecology & Evolution. Wenn die

    Weil die Raupen, die von Natur aus die Anlage zum Kannibalismus in sich tragen, aber schließlich irgendwas fressen müssen, machen sie sich, falls kein anderes Futter zur Verfügung steht, über ihre Artgenossen her. Die Angreifer lassen nicht nur von der Pflanze ab, sie vernichten sich gleich selbst. Effizienter könnte auch kein von menschlichen Chemikern zusammengerührtes Schädlingsbekämpfungsmittel sein. Doch im großen Abwehrarsenal der Pflanzen gibt es noch viele weitere Waffen. Einige davon stellt Andreas Schaller in der Vierteljahresschrift der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich vor.

    Manchmal allerdings reichen selbst Chemiewaffen nicht mehr aus

    Besonders einfach, aber nicht weniger wirkungsvoll sind mechanische Abwehrmechanismen. Das können besonders harte, also verholzte Zellwände sein, Dornen oder Haare. Brennnesseln zum Beispiel kombinieren so einen mechanischen Schutz mit einer fiesen chemischen Keule: Berührt man die Pflanze nur leicht, brechen die spröden Haare und sprühen einen ganzen Giftcocktail auf den Angreifer. Was die wenigsten wissen: Wird eine Brennnesselpflanze verwundet, produziert sie auf allen neuen Blättern mehr Gifthaare als zuvor.

    Raffiniert sind auch die chemischen Waffen von zum Beispiel Steinklee oder Waldmeister. Beide schützen sich mit dem Gift Cumarin gegen Fressfeinde. Um sich aber nicht selbst zu schaden, halten die Pflanzen nur eine Vorstufe des Gifts, Cumasäure-Glucosid, vorrätig. Erst wenn ein Blatt aufgerissen wird, etwa weil ein Insekt daran frisst, mischt sich das Glucosid mit einem Enzym und reagiert zum giftigen Cumarin. Jenes Cumarin, das regelmäßig vor Weihnachten für Aufregung sorgt, wenn die Frage diskutiert wird, wie viele Zimtsterne man essen kann, ohne gesundheitliche Schäden davonzutragen. Die Antwort ist natürlich: Viel mehr, als ein normaler Magen verträgt. Aber Cumarin kann durchaus Schaden anrichten: Wenn Grasschnitt falsch gelagert und dabei von Pilzen befallen wird, können Cumarin-Derivate entstehen und das Futter vergiften. Tiere, die davon fressen, sterben qualvoll an inneren Blutungen.

    Manchmal allerdings reichen selbst Chemiewaffen nicht mehr aus. Schließlich haben sich Pflanzen und Insekten über Jahrmillionen nebeneinander entwickelt und aneinander angepasst. Kohl zum Beispiel produziert auch chemische Abwehrstoffe. Die Larve des Kohlweißlings aber, jener bei uns so häufige weiße Schmetterling, hat sich so stark auf den Kohl als Nahrungsquelle spezialisiert, dass ihm diese Stoffe nichts mehr ausmachen. Was tut der Kohl also? Er engagiert einen Auftragskiller.

    Die Abwehr von Feinden ist für die Pflanzen mit hohen Kosten verbunden

    Nagt die Schmetterlingsraupe an den Kohlblättern, stößt die Pflanze Duftstoffe aus, die eine bestimmte Wespenart anlocken. Diese legen ihre Eier in die Raupen des Schmetterlings. Die Wespenlarven fressen dann die Raupen von innen auf. Schädlingsproblem gelöst.

    Von Bäumen weiß man inzwischen, dass sie sich mit Duftstoffen gegenseitig vor Schädlingen warnen können. Unterirdisch verbinden sie sich mit ihren Wurzeln zu einem regelrechten Netzwerk. Kranke Bäume werden von gesunden Artgenossen über dieses Netzwerk sogar mit Nährstoffen versorgt. Es gibt sogar einige Forscher, die Bäumen und anderen Pflanzen eine Art von Intelligenz zuschreiben.

    Aber die Abwehr von Feinden ist für die Pflanzen auch immer mit hohen Kosten verbunden. Molekularbiologen des Max-Planck-Instituts für Entwicklungsbiologie in Tübingen haben das am Beispiel der Ackerschmalwand nachgewiesen. Die Pflanzen gibt es mit zwei Genvarianten. Die eine Variante produziert besonders viele Abwehrstoffe – hat aber deutlich weniger und kleinere Blätter. Die andere wird größer – aber auch schneller gefressen. Welche Variante sich vermehrt hängt vom Standort und dem Auftreten von Schädlingen ab. Fressen und gefressen werden eben.

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