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Horror-Roman: Frankenstein und sein Monster aus Ingolstadt

Horror-Roman

Frankenstein und sein Monster aus Ingolstadt

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    Frankensteins Monster ist weltbekannt.
    Frankensteins Monster ist weltbekannt. Foto: Manuela Imre, dpa

    Für den wohligen Schauder an sich vielleicht erst mal einen schönen Schluck Schanzer Monsterblut vorneweg. Brav das Reagenzglas ansetzen, Kopf in den Nacken. Und runter damit. Die vier Zentiliterchen des zwanzigprozentigen Heidelbeerlikörs lassen nicht gerade von der Unsterblichkeit träumen, wappnen aber für die Schrecknisse, befeuern die Fantasie und machen eine schöne Drehzahl. Was keinesfalls schaden kann, wenn man um Viktor Frankenstein, die von ihm erschaffene Kreatur und Ingolstadt kreist.

    Eine ganz und gar grauenvolle Geschichte. Dort, in „einer trüben Novembernacht“, wurde die berühmteste Horrorfigur der Literaturgeschichte zum Leben erweckt. Mary Shelley (1797–1851) hatte Ingolstadt als zentralen Handlungsort für ihren vor 200 Jahren erschienenen Roman „Frankenstein – oder: Der moderne Prometheus“ gewählt. Dort bastelt der junge Schweizer Gelehrte auf einem Dachboden aus Leichenteilen und sonstigen Zutaten ein Wesen zusammen und haucht der aus „Anatomie und Schlachthof“ gewonnenen „reglosen Masse“ den Lebensfunken ein. Von dort nimmt Frankensteins Unglück seinen Lauf.

    Denn der Anblick der von ihm erweckten Kreatur (gelbliche Haut, wässrige Augen, schwarze Lippen, Körper insgesamt nicht so top proportioniert) ist auch nach mehreren Ampullen Monsterblut (für das übrigens die Ingolstadt Tourismus und Kongress GmbH verantwortlich zeichnet) schwer zu ertragen. Und dann sehnt sich das global doch recht singuläre Wesen auch noch nach Liebe und Nähe. Was schwierig ist, wenn einen der eigene Schöpfer angewidert verstößt und die allermeisten bei Erscheinen schreiend das Weite suchen. In Ingolstadt beginnt, was als mörderischer Rachefeldzug der von allen zurückgewiesenen Kreatur endet.

    In Ingolstadt beginnt der Rachefeldzug der Kreatur

    Zwar ist die altbayerische Stadt zentral für den Roman, zugleich aber nur schematische Kulisse. Was dem Mythos nicht abträglich sein muss, vergrößert es doch die Möglichkeit am spekulativen Spektakel. Die Londonerin Shelley war jedenfalls nie in Ingolstadt. Ihren Frankenstein erdachte sie sich 1816 am Genfer See. In jenem „Jahr ohne Sommer“, nach dem Ausbruch des Tambora. Die enormen Eruptionen des indonesischen Vulkans hatten das Klima in Nordamerika und Europa verändert. Mit Folgen. Es kam zu Missernten, Hungersnöten. Die Sterblichkeitsrate stieg. Ein gutes Jahr für düstere Gedanken, wenn man so will.

    Ingolstadt heute: Herzlich willkommen auf der „Dr. Frankensteins Mystery Tour“.
    Ingolstadt heute: Herzlich willkommen auf der „Dr. Frankensteins Mystery Tour“. Foto: Silke Federsel

    Shelley war die Tochter der bekannten englischen Frauenrechtlerin Mary Wollstonecraft und des Philosophen William Godwin. Ihr Liebhaber und späterer Mann, Percy B. Shelley, war ein Poet mit Schlag bei den Damen, Atheist und Vater ihres unehelichen Sohnes. Die beiden begriffen die in ihrer Zeit gültigen Konventionen eher als Angebot. Sie und ein paar Gleichgesinnte verbrachten damals viel Zeit in der Villa Diodati am See. Die hatte der damalige englische Literaturstar, Lord Byron, für seine Sommerfrische gewählt. Weil es allerdings mehr frisch als sommerlich war, kam man am Kaminfeuer darauf, sich Gespenstergeschichten auszudenken. Und so bannte Shelley schließlich – als frühreifer Teenager – das ihr zur Nacht, nach der Geisterstunde, erschienene „grässliche Fantasietrugbild“ allmählich auf Papier. Es wurde ihr größter literarischer Erfolg, der ein die Jahrhunderte überdauerndes (kulturelles) Eigenleben entfaltet.

    Wovon man in Ingolstadt selbst zunächst nichts merkt. Ein Spaziergang entlang der Frankensteinkulisse bleibt eine mit Heidelbeerlikör angereicherte Imagination im Konjunktiv: Die Hohe Schule zum Beispiel, wo früher (1816 allerdings schon 16 Jahre nicht mehr) die erste Bayerische Landesuniversität ihren Sitz hatte, wäre der wissbegierige von Cornelius Agrippa und Paracelsus beeindruckte Naturwissenschaftsstudent in den Vorlesungen gesessen. Heute ist in dem historischen Gebäude mit dem berühmten Dachstuhl im zweiten Stock ein Didaktikzentrum untergebracht. Auf einer pädagogisch ambitionierten Collage kann man dort zwischen diversem Motivationsgedöns unter anderem lesen: „Fehlvorstellungen bei Studierenden – Wie kann ich diesen entgegenwirken?“ Offensichtlich gar nicht, wenn jemand erst mal beschlossen hat, Gott spielen zu wollen.

    Und später, als der Dämon mit den Würgerhänden bereits die Zahl von Frankensteins Angehörigen unerbittlich minimiert, hätten auch keine der Herzklopfendrops geholfen, die heute im Deutschen Medizinhistorischen Museum Ingolstadt zu haben sind. Dort, in der Alten Anatomie, hätte Frankenstein gelernt, was er später für sein Horrorwerk brauchte. In der Auslage des Museumsshops gibt es heute übrigens auch die „Gummiente Frankenstein“. Und natürlich schaut sie aus wie Boris Karloff mit seiner berühmten Filmmaske. Frankenstein wäre zweifelsohne entsetzt. Was er in die Welt warf, ist heutzutage wirklich bis in die allerletzte Nische der Merchandising-Palette vorgedrungen.

    Frankensteins Monster verkauft sich gut

    Warum also Ingolstadt? Eine der geläufigsten Antworten fußt auf einer sehr seriösen Verschwörungstheorie. Der zufolge soll der 1776 in Ingolstadt gegründete Illuminatenorden, der auf einen radikal aufgeklärten Menschen und eine klassenlose Gesellschaft aus war, die Französische Revolution angestiftet haben. Shelley hatte auch davon gelesen. Und so könnte man das von dem Geheimbund also in Ingolstadt erschaffene Monster der Französischen Revolution parallel zu Frankensteins Kreatur denken. Ob da was dran ist, kann man so und so sehen. Es gibt jedenfalls auch Leute, die glauben, dass der Ingolstädter Illuminaten-Gründer Adam Weishaupt nach dem Verbot seines Weltverbesserungsvereins Richtung Amerika auswanderte und dort als George Washington die USA gründete.

    Das Schanzer Monsterblut wird in Ampullen verkauft.
    Das Schanzer Monsterblut wird in Ampullen verkauft. Foto: Silke Federsel

    In Sachen Frankenstein darf man auch nicht vergessen, dass sich Schauergeschichten damals auf dem englischen Büchermarkt gut machten, wenn sie in deutschen Landen spielten. Ingolstadt selbst hat seinen Frankenstein-Mythos vor 25 Jahren mit einem internationalen wissenschaftlichen Symposium belebt und längst auch touristisch professionalisiert. Seit über 20 Jahren zum Beispiel werden Besucher zum mit viel Applaus bedachten Gruselspaziergang „Dr. Frankensteins Mystery Tour“ geladen. Und zum 200-Jährigen ist auch einiges im Angebot: Die kommende Woche beginnenden Literaturtage haben sich der Kreatur verschrieben. Ab Mai öffnet das Ingolstädter Künstlerehepaar Gabriele und Thomas Neumaier ihr „Kleines Frankenstein Depot“. Zu sehen sein werden dort „Objekte und Fotos zur künstlichen Intelligenz und natürlichen Dummheit“. Und im Juni bitten das Stadtheater und die Technische Hochschule zum „Futurologischen Kongress“. Wenn Frankenstein heute in seinem Studentenbuden-Laboratorium am Werk wäre, würde er vielleicht eher über künstliche Intelligenz forschen und hätte im Nebenfach Quantenkryptographie oder so. Wie man der Kreatur ein zeitgemäßes Gesicht geben könnte, will der Wettbewerb „Frankenstein 4.0 – Schöpfung und Größenwahn“ abbilden.

    Womit man endlich beim Thema wäre. Dem, was Frankenstein in den Wahn treibt, der menschlichen Hybris. Ein literarischer Dauerbrenner. Und auch sonst immer wieder an austauschbaren Orten und in unterschiedlichsten Gestalten zu bewundern. Profanes Beispiel im dem dynamischen Fortschritt durchaus zugewandten Ingolstadt in diesen Tagen: ein Diesel-Motor von Audi. Frankensteins Kreatur hat sich wohl auf einem arktischen Scheiterhaufen selbst gerichtet. Es weiß allerdings niemand, in welcher Gestalt der Dämon von wem als Nächstes erweckt wird. Diese so gewöhnliche wie perspektivisch betrübliche Einsicht ertränkt man womöglich am besten mit einer XXL-Ampulle Schanzer Monsterblut.

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