Supergroup: Den Terminus kennen wir eher vom Rock. Er klingt nach geballter eitler Männlichkeit, nach einem Haufen von Egomanen mit herausragenden Fähigkeiten, die ein findiger Manager in einen Raum sperrt, um eine Platte aufzunehmen. Frauen würden so etwas nie machen! Wirklich?
Reine Frauengruppen gab es bereits in der Vergangenheit. Jedoch verstanden sich nicht wenige davon eher als musikalische Pin-ups, die auf ihr Erscheinungsbild mindestens genauso viel Wert legten wie auf die Kunst. Dass sich in Zeiten der Gender Equality aber auch dieses Klischee allmählich verflüchtigt, rührt vor allem vom gewachsenen Selbstverständnis der Musikerinnen her.
Der Jazz schreitet einmal mehr auch in dieser Hinsicht voran. Vor gut drei Jahren hat sich die erste rein weibliche Supergroup des Genres anlässlich einer Europatournee der amerikanischen Pianistin Renée Rosnes zusammengeschlossen. Sie gab sich den Namen der griechischen Göttin Artemis, die als Schutzpatronin der Jagd, als Entdeckerin, Fackelträgerin und Beschützerin der Kinder gilt. Die antik-mythische Gestalt der Antike fungiert nun als Galionsfigur für Rosnes, die amerikanische Sängerin Cécile McLorin Salvant, die kanadische Trompeterin Ingrid Jensen, die chilenische Tenorsaxofonistin Melissa Aldana, die US-Drummerin Allison Miller, die japanische Bassistin Noriko Ueda und die israelische Klarinettistin Anat Cohen.
Prominenter könnte eine Band – ungeachtet der Geschlechterfrage – kaum besetzt sein, umfasst sie doch hochkarätige Virtuosinnen, die sich als multikulturelles und generationsübergreifendes Projekt begreifen und sich kurioserweise auch deshalb zusammengeschlossen haben, um der individuellen Ausdruckskraft zu huldigen. Jedes der Artemis-Mitglieder ist in seinem Bereich ein arrivierter Star. Noriko Ueda gilt in ihrem Heimatland als eine der Top-Adressen für gepflegten Groove, Ingrid Jensen führte den Modern Jazz bereits in den 1990er Jahren auf unentdeckte Seitenstraßen. Melissa Aldana wurde 2019 mit ihrem Album „Visions“ für einen Grammy nominiert, Renée Rosnes agiert als tragende Säule in der Band von Bass-Ikone Ron Carter, während Jazz-Insider Anat Cohen und Cécile McLorin Salvant längst für die Besten ihres Faches weltweit halten. Eigentlich würde in dieser Runde nur noch die unvergleichliche und von jeher aktiv für Frauenrechte streitende Schlagzeugerin Terri Lyne Carrington fehlen, der Allison Miller jedoch eine individuelle Drumming-Note entgegensetzt.
Sie alle behaupten sich teilweise seit vielen Jahren erfolgreich in der Männerwelt des Jazz. Deswegen nervt es nicht nur Renée Rosnes, wenn sie in Kritiken liest, Artemis besäße einen dezidiert weiblichen Touch. „So ein Blödsinn!“, ereifert sich die Pianistin. „Wie soll das überhaupt klingen? Weich? Verletzlich? Unsere Musik geht über das Geschlecht hinaus. Es spielt für uns, bei dem, was wir machen, überhaupt keine Rolle.“ Bassistin Noriko Ueda interpretiert den Bandnamen immerhin so: „Wir sind widerstandsfähig, zäh, entschlossen, Leben spendend, vielseitig, nährend, elegant, mysteriös, gerissen, ausdauernd und geduldig.“
Alles Attribute, die frau benötigt, um im Jazz gehört zu werden. Dies soll nun auch mit dem Debütalbum „Artemis“ (Blue Note/Universal) gelingen, das neun facettenreiche Themen – bestehend aus Eigenkompositionen und bekannten Titeln von Lee Morgan, Stevie Wonder und den Beatles – enthält. Die Göttinnen erweisen sich dabei sowohl auf swingendem, als auch wild groovendem oder balladeskem Territorium stets sprungbereit und angriffslustig. Ins Ohr stechen besonders ein Porträt der Namensgeberin Artemis („Goddess Of The Hunt“) von Allison Miller, eine Hommage an die Malerin Frida Kahlo aus der Feder von Melissa Aldana („Frida“) sowie ein „Nocturno“ der Klarinettistin Anat Cohen, das sie normalerweise mit ihren beiden Brüdern Yuval (Saxofon) und Avishai (Trompete) im Unisono spielt. „Jetzt eben mit meinen neuen Schwestern!“