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Interview: Theatermann Christian Stückl: „Die Kirche wird völlig bedeutungslos“

Interview

Theatermann Christian Stückl: „Die Kirche wird völlig bedeutungslos“

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    Über den Zustand des Katholizismus in Deutschland kann Theatermacher Christian Stückl ziemlich zornig werden.
    Über den Zustand des Katholizismus in Deutschland kann Theatermacher Christian Stückl ziemlich zornig werden. Foto: Awa Bwe

    Wie lange geht das mit der katholischen Kirche noch gut, wenn immer neue Missbrauchsfälle bekannt werden, wenn sich Bischöfe um die Verantwortung drücken und die Leute zu tausenden austreten?

    Christian Stückl: Wie lange es noch dauert, das weiß ich nicht. Selbst auf den Dörfern heraußen verliert die Kirche völlig an Substanz. Die Leute gehen nicht mehr in die Messe, sie treten aus der Kirche aus. Man hat die Kirche eigentlich innerlich schon abgeschrieben. Wenn ich in der Zeitung lese, dass der Kardinal Woelki sein Missbrauchsgutachten nicht veröffentlicht und dass der

    Hat Kardinal Marx mit seinem Amtsverzicht richtig gehandelt? Er wollte ja ein Zeichen des Neubeginns setzen?

    Stückl: Ich habe mich schon ein bisschen darüber gewundert. Vor einem Jahr tritt er als Vorsitzender der Bischofskonferenz zurück – ein Rücktritt folgt auf den nächsten, aber am Ende verändert das nicht viel. Ich habe den Eindruck, dass der erste Schritt nicht richtig gegriffen hat und jetzt muss Marx noch einmal zurücktreten. Ich denke mir: Wenn er sich stark macht für den Synodalen Weg, wenn er sich stark macht für eine saubere Aufklärung des Kindesmissbrauchs, dann muss er es tatsächlich machen und nicht alleweil so furchtsam sein.

    Theaterleiter Christian Stückl: Es findet nur noch wenig wirkliche Seelsorge statt

    Hätten Sie einen besseren Weg, die katholische Kirche zu retten?

    Stückl: Sie haben ein Riesenproblem in der Kirche. Da langt ein Weg gar nicht mehr. Sie haben so wenige Priester noch, es findet nur noch an wenigen Orten wirklich eine Seelsorge statt. Es gibt durchaus Priester, die völlig in Ordnung sind, man muss nicht alle über einen Kamm scheren. Ich kenne aber auch welche, die völlig überfordert sind: Sie haben Pfarrverbände, die so groß sind, dass sie gar keine richtige Seelsorge mehr betreiben können. Der Kirche droht ein Generationenloch.

    Was meinen Sie damit?

    Stückl: Bei uns im Dorf haben wir, was Schauspieler anbelangt, nur eine Generation. In den siebziger Jahren hat man bei uns sehr viel gestritten und es gab niemand, der sich um die Jungen gekümmert hat. Deswegen haben wir heute ein Generationenloch bei der Passion. In der Kirche fehlen die ganzen jungen Leute. Aber wenn in den Pfarreien keine Jugendarbeit, keine Jugendseelsorge mehr stattfindet, dann verschwindet sie einfach von der Bildfläche. Wenn ich heute in einen Gottesdienst gehe, sind die Jüngsten über sechzig!

    Kann man sich Bayern ohne katholische Kirche überhaupt vorstellen? Gehört sie nicht zum Erbgut unseres Wesens?

    Stückl: Ich war früher ein extrem eifriger Kirchgänger, habe mich immer mit dem Thema auseinandergesetzt, ich war in einem katholischen Jugendverband engagiert. Aber wir hatten in Oberammergau einen Pfarrer, der jede Diskussion abgewürgt hat, weil er sagte: Ich bin der Theologe, ich habe es studiert und du bist ein Laie. Er hat mich aus der Kirche vertrieben und andere junge Leute, die eigentlich großes Interesse an der Kirche hatten. Da geht viel kaputt. Ich kann dem nachweinen, aber trotzdem werden wir uns an ein Bayern ohne große Kirche gewöhnen. Wir haben uns schon daran gewöhnt, dass man zum Standesamt geht und sich einfach abmeldet, weil man die Kirche nicht mehr braucht. In ein paar Jahren wird Kirche völlig bedeutungslos sein.

    Die Kirche ist viel zu wenig am Evangelium dran, sagt Christian Stückl

    Das ist hart und schonungslos gesagt!

    Stückl: Die Grundhaltung stimmt nicht. Die in der Kirche sind viel zu wenig am Evangelium dran. Bevor das Ganze losging mit der Aufdeckung des Kindesmissbrauchs, hat man über Jahre nur noch gehört, dass Wiederverheiratete nicht mehr zu Kommunion dürfen. Ja Kruzifix! Wir wissen doch alle, dass eine Ehe in die Brüche gehen kann, das passiert einfach in dieser Welt. Aber beim zweiten Mal will man es besser machen. Solche Menschen dann auszuschließen, das ist völlig unjesuanisch. Jesus wiederholt an keiner Stelle eine Todesforderung aus dem Alten Testament. Aber den Kindesmissbrauch, den hat er explizit im Evangelium genannt: Wer Kindern etwas antut, dem sollte man einen Mühlstein um den Hals hängen und ihn ins tiefste Meer versenken. Dass der Straftatbestand erst jetzt ins Kirchenrecht hineinkommt und dann die dafür Verantwortlichen noch über sich selber richten können! Da ist so viel verdorben mittlerweile und so wenig jesuanisch. Sie halten an alten Dogmen fest, sie halten an Gesetzen fest. Aber jemand, der Kinder missbraucht hat, der gehört aus der Kirche ausgeschlossen. Auch die Priester, die diese in großem Maße gedeckt haben, sollten gehen. Ich habe da einen richtigen Zorn. Die Kirche hätte eine große Chance, wenn sie es schaffen würde, sich wirklich auf Jesus zu beziehen.

    Die Passion stellt ja auch die ganz großen Fragen nach Schuld, Sünde, Leiden, Erlösung. Wie vermitteln man das einem säkularen Zeitgenossen?

    Stückl: Ich habe mich immer mehr entfernt von theologischen Begriffen wie Schuld, Sünde, Sühne. Ich orientiere mich an dem Jesuswort: Wenn ihr Glauben habt, dann könnt ihr Berge versetzen und die Welt verändern. Wenn die Zuschauer merken, dass dieser Jesus wirklich für etwas kämpft, dann ist dieser Glaubenssatz „Durch seinen Tod sind unsere Sünden vergeben“ nebensächlich. Die Religion muss zu uns ins Boot steigen, sie muss zeigen, was möglich ist auf dieser Welt. Ich mag auf der Bühne keine dogmatischen Fragen diskutieren.

    Was passiert mit einem Schauspieler in der Rolle von Jesus? Wie stark muss er sich auch persönlich identifizieren?

    Stückl: Wenn ich die Rollen für das Passionsspiel verteile und Leute dafür auswähle, ist mir wichtig, dass sie mit der Figur umgehen können. Sie spielen eine Rolle. Sie wollen die Geschichte erzählen, sie wollen sie ernsthaft erzählen. Manchmal sagen sie: Es ist doch gar nicht möglich, diese Art von Feindesliebe, die Jesus gepredigt wird. Sie haben trotz ihrer Rolle ihre Fragen und sie dürfen ihre Fragen haben und sie dürfen sich auseinandersetzen. Sie müssen nur eins: Ganz machen, was sie machen.

    Keine Inszenierung ist wie die andere. Arbeitet der Stoff mit dem Theatermann?

    Stückl: Das ist total spannend. Es gibt ja nicht das eine Jesusbild. Als ich mit 25 das erste Mal Spielleiter in Oberammergau war, war es für mich wichtig, dass dieser Jesus ein Revoluzzer ist, dass er etwas durchsetzen will. Beim dritten Mal habe ich dann an Jesus bemerkt: Man wird seine Stimme nicht hören. Jesus ist konsequent bis zum Letzten, er geht diesen Weg, ohne die ganze Welt davon zu überzeugen, um zu sagen: Es ist wirklich möglich, so zu leben auf Gott hin. Auch wenn ihr das nicht versteht. Ihr werdet mich verspotten, für manche bin ich ein Ärgernis, für andere ein Vollidiot. Diese Konsequenz wurde mir viel wichtiger, als dass ich einen lauten Jesus zeige. Man wird jedes Mal zehn Jahre älter. Jesus verändert einen selbst, in jedem Alter schaust du mit ganz anderen Augen auf ihn.

    Jesus zu den Wurzeln zurückzuführen ist Christian Stückls Anliegen bei der Passion in Oberammergau

    Darf man Passion auch theatralisch verfremden? Dürften Sie Jesus mit einer Frau besetzen?

    Stückl: Man darf am Theater fast alles. Bei uns in Oberammergau ist das Schöne, dass die gesamte Bevölkerung, die Aufgeschlossenen wie die Konservativen, alles miteinander machen. Man muss ein Bild finden, das noch verständlich bleibt. Eine meiner wichtigsten Anliegen war es, Jesus wieder in seine Wurzeln zurückzuführen. Er ist Jude. Auf der Bühne haben wir plötzlich Sachen gemacht: Jetzt sagt einmal alle das Schema Israel, das Hochgebet der Juden, auf Hebräisch her, um zu begreifen, dass Jesus vom ersten bis zum letzten Tag Jude war, dass er an keiner Stelle davon abwich. Ich lege sehr viel Wert darauf, ein anderes Jesusbild zu zeigen. Wenn ich in Oberammergau eine Frau nehmen würde, was grundsätzlich möglich wäre, dann würde ich die Leute vor andere Fragen stellen. Auf der Bühne in München tät ich mich trauen, denn es geht doch um den Geist und der ist in einer Frau genauso vorhanden wie in einem Mann. Mich hat einmal ein Journalist gefragt: Wie könnten Sie den Kelch des Heiles in die Hand einer Frau geben? Ja warum eigentlich nicht! Im jüdischen Ritus reicht die Frau des Hauses den Kelch am Sederabend.

    Sie haben inzwischen auch Muslime in prominenten Positionen in der Passion. Sie besetzen Judas mit Cengiz Görür und Abdullah Karaka ist ihr zweiter Spielleiter. Gab es da Widerstände?

    Stückl: Wir sind ein relativ kleines Dorf, man kennt sich. Natürlich gibt es welche, die das kritisieren. Seit langem kämpfe ich dafür, auf unserem Friedhof einen kleinen muslimischen Teil zu haben, weil wir Bürger haben, die Muslime sind. Auf der Passionsbühne musste man früher Mitglied der katholischen Kirche sein, sonst durfte man nicht mitspielen. Aber wir haben seit Jahrzehnten Religionsfreiheit und der junge Cengiz ist nicht ein Gramm weniger Oberammergauer wie ich. Ich mache die Erfahrung, dass der, der einen anderen Glauben hat, viel mehr Fragen hat, wie das in der Passion gemeint ist. Da gibt es viele, die ohne Taufe aufgewachsen sind, sie muss man genauso hinführen an diese Geschichte.

    Sie wollten 2020 zu Internationalen Jugendtagen einladen. Ist das christliche Thema inzwischen erklärungsbedürftig geworden und welche Frage stellen junge Menschen an die Passion?

    Stückl: Ganz, ganz vieles an der Kirche ist heute erklärungsbedürftig. Schon Fünfzigjährige sehen überhaupt keinen Sinn mehr in einem Rosenkranz, in dem Auf und Nieder im Gottesdienst. Ganz viel stößt auf Unverständnis. Beichte könnte sogar etwas Positives sein, die Leute laufen ja auch zum Psychologen. Die jungen Leute haben aber keine Lust mehr auf ein reines Regelwerk. Es gibt überhaupt kein Verständnis mehr dafür, dass die Kommunion in der evangelischen Kirche etwas anderes sein soll als in der katholischen Kirche. Das sind Geschichten, die nicht von Anfang an da waren. Die Regelwerke sind irgendwann erfunden worden. Sie müssen verändert werden. Junge Leute fragen: Was wollte Jesus von uns? Wir sollten uns mehr dem Evangelium zuwenden.

    Sie gäben einen hervorragenden Bußprediger ab. Haben Sie sich das schon einmal überlegt?

    Stückl: Nein, ich bleibe beim Theater. Ich wollte auch nicht Pfarrer werden.

    Christian Stückl, geboren 1961 in Oberammergau, ist Leiter des Münchner Volkstheaters. Seit 1990 inszeniert er die alle zehn Jahre stattfindende Passion in Oberammergau.

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