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Interview: Steffen Kopetzky und sein Bestseller "Monschau": Was Epidemien lehren

Interview

Steffen Kopetzky und sein Bestseller "Monschau": Was Epidemien lehren

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    Autor Steffen Kopetzky, 50, aus Pfaffenhofen an der Ilm: Nach Erfolgen mit „Risiko“ und „Propaganda“ steht ist sein aktueller Roman „Monschau“ ein Besteller.
    Autor Steffen Kopetzky, 50, aus Pfaffenhofen an der Ilm: Nach Erfolgen mit „Risiko“ und „Propaganda“ steht ist sein aktueller Roman „Monschau“ ein Besteller. Foto: Marc Reimann

    Herr Kopetzky, „Monschau“ ist eine hinreißende Liebesgeschichte. Aber es ist in Zeiten von Corona eben auch die Verarbeitung eines Pocken-Ausbruchs 1962 in der Eifel. Kann das Zufall sein? Was also war zuerst: die Epidemie als Roman Idee oder die wirkliche?

    Steffen Kopetzky: Sie kamen gleichzeitig und zwar auf der Lesereise mit meinem vorangegangenen Roman, „Propaganda“, in dem der Arzt Günter Stüttgen ja bereits als eine sehr wichtige Nebenfigur vorkommt. Ich war also bei einer Lesung direkt in der Eifel, es war der Tag, an dem der erste Corona-Tote in Europa vermeldet wurde, ein 82-jähriger Franzose. Als ich dann zur S-Bahn gefahren worden bin, sah ich mit einem Mal das Straßenschild „Monschau – 20 Kilometer“ und erinnerte mich: Die Witwe von Stüttgen hatte bei einem Vorgespräch für „Propaganda“ erzählt, sie könne mir über die Taten ihres Mannes im Krieg wenig sagen, darüber habe er selber nie gesprochen – sie wisse aber, dass er 20 Jahre später noch mal in der Eifel gewesen sei, um eine Pockenepidemie in Monschau zu bekämpfen.

    Unglaublich!

    Kopetzky: Ja, aber das war mir zu dem Zeitpunkt, als sie mir davon erzählt hatte, ja noch nicht bedeutend, weil ich die Pocken nur aus einer vagen Erinnerung an die Impfung in der Kindheit kannte – aber als etwas letztlich Überwundenes, eher Ungefährliches. Doch in Kombination mit der Nachricht, dass das neue Virus in Europa angekommen war, dem Ortsschild „Monschau“ und dann auch der Auskunft des Fahrers, der sich sofort an die Epidemie erinnern konnte und sogar Zeitzeugen kannte, war mein Interesse geweckt. Ich begann noch am selben Abend mit Recherchen.

    Steffen Kopetzky: "Pockenleugner" hat es damals nicht gegeben

    Aber lässt sich der Umgang mit den Pocken damals wirklich mit dem mit Corona heute vergleichen?

    Kopetzky: Was die Geschichten allgemein verbindet, ist natürlich der Umgang der Menschheit mit solchen Infektionskrankheiten. Es ist immer dasselbe Repertoire: Identifikation und Isolation von Erkrankten, Quarantäne von Kontaktpersonen und dann das systematische Impfen … Die Pocken waren das Corona der sechziger Jahre, in Europa zwar fast schon ausgestorben, aber weltweit eben noch sehr virulent. Allein im zwanzigsten Jahrhundert starben noch 300 Millionen Menschen daran. Und durch den neuen Schub der Globalisierung nach dem Zweiten Weltkrieg samt Flugverkehr kam diese Jahrtausende alte Krankheit dann wieder zurück. 1966 haben sich dann die USA und die UdSSR verständigt und die Ausrottung der Pocken als erstes gemeinsames Projekt der Menschheit auf den Weg gebracht. Man sieht daran, was die Menschheit schaffen kann, wenn sie zusammenarbeitet. Insofern ist der Roman dieser Epidemie im Monschauer Land wie ein Spiegel, in dem man unsere Gegenwart und den Umgang der Menschen mit Seuchen anschauen kann – und vor allem: Was macht es mit Menschen? Wie reagieren sie, wenn alles stillgelegt ist, welche Interessensfelder streiten sich da? Aber es gibt freilich auch Unterschiede zwischen Corona und Variola – wie die Pocken medizinisch heißen.

    Das Gleiche in Schwarz-Weiß? Der Pocken-Ausbruch 1962 in Nordrhein-Westfalen, über den Steffen Kopetzky schreibt?
    Das Gleiche in Schwarz-Weiß? Der Pocken-Ausbruch 1962 in Nordrhein-Westfalen, über den Steffen Kopetzky schreibt? Foto: Marc Reimann

    Zum Beispiel?

    Kopetzky: Bei den Schwarzen Pocken hat jeder gewusst: das ist eine hochansteckende, gefährliche Krankheit, ohne Impfschutz mit einer Sterberate von mindestens 30 Prozent! Jeder dritte ist gestorben! Die Pocken haben wirklich gewütet, insofern gab es auch keine „Pockenleugner“. Im heutigen Fall ist das individuelle Gesundheitsrisiko vielleicht geringer, im Zentrum steht die Aufrechterhaltung des Funktionierens unseres Gesundheitssystems und damit der Gesellschaft selbst. Der Staat darf keinen Kontrollverlust erleiden. Das ist natürlich, wenn es gelingt, weitaus abstrakter – denn wenn alles einigermaßen weiterläuft, scheint es so, als wäre die Bedrohung gar nicht da. Das ist das kommunikative Paradox gelungenen Krisenmanagements. Und so sehen wir heute, dass manche den kollektiven Nutzen nicht erkennen und dass andere Kreise diese teilweise ja verwirrte und abstruse Uneinsichtigkeit instrumentalisieren, um die bereits zuvor vorhandene Spaltung unserer Gesellschaft voranzutreiben. Im Roman steht ja auch das berühmte Zitat von Helmut Schmidt: „In der Krise zeigt sich der Charakter.“

    "Monschau"-Autor Kopetzky: "Corona ist ein absoluter Weckruf"

    Was offenbart uns Corona da und die Art unseres Umgang damit?

    Kopetzky: Unsere Gesellschaft ist mittelmäßig resilient, wir haben’s schon ganz gut hinbekommen – aber es ist nicht gelungen, alle mitzunehmen. Die Bereiche, in denen es vorher auch schon gehapert hat, werden deutlich erkennbar. Zum Beispiel im Bildungssystem: dass wir unsere Schulen eher als leidige Pflicht begreifen und nicht als die große, zentrale gesellschaftliche Aufgabe. Denn Bildung ist die Essenz dessen, was wir als Gesellschaft brauchen, das haben wir in den letzten Jahrzehnten vernachlässigt, da sind wir inzwischen nur noch Mittelmaß und das können wir uns nicht leisten. Insofern ist die Corona-Krise ein absoluter Weckruf. Wenn das pandemische Geschehen abklingt, sind wir aufgefordert, unsere Gesellschaft frohen Sinns und entschlossen umzubauen.

    Und für die Kultur hat sich gezeigt, dass sie statt „systemrelevant“ zu sein eben nur zum Bereich Freizeit zählt, wüten nicht wenige aus Ihrer Branche. Oder wie empfinden Sie das als selbst Kulturschaffender, aber ja auch erstem Vorsitzenden des Kunstvereins in Ihrer Heimat Pfaffenhofen?

    Kopetzky: Ich habe mir, ehrlich gesagt, nie so große Illusionen gemacht darüber, was bei uns wichtig ist. Dass bei uns die Wirtschaft an Nummer eins steht und eine ganz andere Lobby hat als Kultur und die Schulen, das war eigentlich eh offensichtlich – und ist durch die Krise nur noch deutlicher geworden. Und damit auch, dass wir uns gerade da ganz neu orientieren sollten. Kultur, Kunst und kulturelle Bildung müssten zu Pflichtaufgaben werden. Wer im eigentlichen Sinne gebildet ist, nicht nur ein Konsument, findet sich auch viel besser in einer Krise zurecht, ist widerstandsfähiger. Wir müssten alles daran setzen, das Humboldt’sche Bildungsideal des 19. Jahrhunderts ins 21. Jahrhundert zu transformieren. Selbst tiefer gehende Zusammenhänge herstellen zu können, beschützt vor Frustration und Irrglauben.

    "Könnte mich bitterlich aufregen über laufen gelassene Querdenker-Demos"

    Hätten Sie sich mit Ihrer Recherche-Erfahrung auch andere Maßnahmen gegen die Epidemie gewünscht?

    Kopetzky: Ich hätte mir gewünscht, die Politik hätte die Bürger von Anfang an mit den harten wissenschaftlichen Prognosen konfrontiert – die besagten ja klipp und klar, dass es mindestens eineinhalb Jahre dauern würde, dass es mindestens drei Wellen geben würde usw. Stattdessen wurde immer wieder verharmlost, laviert und relativiert. So hat man die Menschen verunsichert. Denn wirklich schlimm waren doch vor allem die Dauer und das Hin und Her. Den Kindern etwa über lange Zeit alles Mögliche verbieten zu müssen, ständig hinterher zu sein, dass sie sich an die Regeln halten – das hat mir auch für unsere Kinder leidgetan, unser Sohn ist 16 und unsere Tochter ist gerade 13 geworden … Uns als Familie hat es eher gestärkt, aber es war halt so unglaublich anstrengend, sich an die Regeln zu halten. Da wirkten die Querdenker-Demos, auf denen sich, wie man jetzt weiß, Zigtausende angesteckt haben, schon wirklich wie ein Hohn. Auch gegenüber dem medizinischen Personal, auf dem die ganze Last der Krise ruhte. Da könnte ich mich echt bitterlich aufregen, dass man das einfach hat laufen lassen.

    Aber auch im Buch feiern die Menschen ja trotz der hochgefährlichen Pocken heimlich Karneval …

    Kopetzky: Ja, klar, der Mensch ist halt so. Er möchte Sicherheit, er möchte Gesundheit, und gleichzeitig möchte er Rausch und Spaß. Der Mensch ist ein widersprüchliches Wesen.

    Ihre eigene Passion war ja lange das Reisen, sie waren weltweit unterwegs etwa als Schlafwagenschaffner. Auch nichts für Corona-Zeiten , aber ja ohnehin Vergangenheit für Sie?

    Kopetzky: Wenn man Romane schreiben möchte, die große Recherche erfordern und wohl überlegt sein wollen, ist man am besten am Schreibtisch aufgehoben. Und ich habe – ich bin heuer 50 geworden – mir überlegt, was ich noch so alles schaffen will und wie viele Jahre ich dafür brauchen werde. Ich war zwischen meinem 20. und 40. Lebensjahr sehr viel unterwegs, habe viele Erfahrungen gemacht und viele Menschen kennengelernt, und die Welt gesehen. Jetzt aber ist die Zeit gekommen, in der ich vor allem eines möchte: mich konzentrieren und arbeiten. Ich vermisse das Reisen folglich nicht so sehr.

    Kopetzky: Sein Gesamtwerk soll durchs ganze 20. Jahrhundert führen

    Sie haben gesagt, die Krisen zeigen, wer wir sind. Genauso entwickeln Sie über die Viren-Geschichte ja ein ganzes Panorama jener Zeit. Ist es das, was Sie schaffen wollen?

    Kopetzky: Ich versuche mir bei jedem Roman vorzustellen: Ein Leser kriegt das Buch in die Hände und hat etwa in diesem Fall noch nie zuvor von Deutschland und noch nie vom Jahr 1962 gehört. Ich versuche, möglichst großen Aspekt gesellschaftlicher, kultureller und politischer Realität abzubilden und miteinander zu verweben und so einen möglichst tief gehenden Einblick zu schaffen. Also ja, „Monschau“, das ist für mich eigentlich das Erzählen von Nachkriegszeit und Wirtschaftswunder, vom Selbstfindungsprozess eines Landes mit dunkler Vergangenheit, die ans Licht drängt. Die Pocken sind da nur das Medium. Es geht um die Menschen, die diese Zeit und dann auch die Entwicklung geprägt haben – die sechziger Jahre waren wirklich eine Umbruchs- und Aufbruchszeit.

    Nach den 60ern kämen ja die 70er, in denen zum ersten Mal „Die Grenzen des Wachstums“ als Umwelt- und Klima-Alarm ins Bewusstsein drängten. Wäre das die nächste aktuelle Krise für Sie als Romanstoff?

    Kopetzky: Ein faszinierender Gedanke, und in der Tat gibt es da ein paar Figuren, die schon mal in meinem Werk aufgetaucht, und auch noch nicht auserzählt sind und die ich wiederkommen lassen möchte. Ich stelle mir im Ganzen meiner Romane einen Zyklus vor, der einen nicht ganz so kleinen Zeitraum der deutschen und der Weltgeschichte abbildet. Wo man von einem Roman zum anderen geht und immer eine andere Epoche dargestellt findet und sich so durch das 20. Jahrhundert bewegen kann.

    Mit dem Ziel, irgendwann die Gegenwart zu erreichen?

    Kopetzky: Das wäre gut, ja. Aber als Nächstes stehen jetzt erst die 20er und 30er Jahre für mich an. Russische Revolution und Weimarer Republik. Da bin ich gerade dabei, mich hineinzuarbeiten.

    Sie haben mit Romanen wie „Risiko“ und „Propaganda“ fulminante Vorgänger geschrieben – warum ist nun ausgerechnet „Monschau“ ein solcher Erfolg? Der Roman liegt nach kurzer Zeit bereits in der sechsten Auflage vor, steht seit Wochen auf den Bestseller-Listen! Weil er weniger komplex ist, dünner, wegen Corona?

    Kopetzky: Die Geschichte folgt dem aristotelischen Prinzip der Einheit von Ort und Zeit, das ist der dramatische Rahmen, den ich mir vorgenommen habe. Fünf Akte, ein begrenztes Personal, die Handlungszeit sind genau zehn Wochen. Es ist eher eine klassische Erzählung als ein Epos wie noch „Risiko“ mit 750 Seiten, und das bereitet eben vielen Menschen Spaß. Dazu die langsame, altmodische Annäherung des Liebespaares, das auch mir selbst viel Freude gemacht hat. Über einen Verkaufserfolg allerdings entscheidet vor allem der Buchhandel.

    Kopetzky: "Sieht nicht schlecht aus für Verfilmung von Monschau"

    Und der war offenbar gut zu „Monschau“, oder?

    Kopetzky: Da gäbe es wirklich viele Beispiele. Hier etwa das Zitat einer rührigen Buchhändlerin aus Bergisch-Gladbach: „Gute Romane lassen einen den Alltag vergessen, und sehr gute Romane lassen einen den Alltag verstehen. Dieses wichtige Buch kann beides.“ Was will man mehr? Ich bin echt dankbar, dass der Buchhandel „Monschau“ so sehr unterstützt!

    Wenn Sie schon von einem klassischen Drama sprechen. Eine Verfilmung würde sich ja geradezu anbieten. Gibt es da Pläne? Oder würden Sie das gar nicht wollen?

    Kopetzky: Ich würde mich sehr darüber freuen, Vera, Nikos und den sinistren Direktor Seuss auf Leinwand oder Screen erstehen zu sehen. Und soll ich Ihnen etwas verraten? Es sieht diesbezüglich gar nicht mal schlecht aus.

    Der Autor und das Buch Steffen Kopetzky, 50, aus Pfaffenhofen an der Ilm: Nach bereits beachtlichen Erfolgen mit „Risiko“ und „Propaganda“ steht sein aktueller Roman „Monschau“ (Rowohlt, 352. Seiten, 22 Euro) nun seit Wochen auf den Besteller-Listen.

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