Startseite
Icon Pfeil nach unten
Kultur
Icon Pfeil nach unten

Interview: Sie ohrfeigte Kurt Georg Kiesinger: Beate Klarsfeld im Interview

Interview

Sie ohrfeigte Kurt Georg Kiesinger: Beate Klarsfeld im Interview

    • |
    Über die deutsch-französische Journalistin Beate Klarsfeld gibt es nun auch eine Graphic Novel.
    Über die deutsch-französische Journalistin Beate Klarsfeld gibt es nun auch eine Graphic Novel. Foto: Markus Scholz, dpa

    Die Ohrfeige saß. Beate Klarsfeld hat sie berühmt und die Nazi-Vergangenheit von Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger bekannt gemacht. 1968 war das, seither haben Beate und ihr Mann Serge Klarsfeld NS-Verbrecher um die ganze Welt gejagt, um sie vor Gericht zu bringen. Jetzt erscheint eine famose Graphic Novel über das aufregende Leben des Ehepaars.

    Frau Klarsfeld, lesen Sie Comics?

    Beate Klarsfeld: Ich nicht, aber mein Mann hat von klein auf Comics gelesen, auch meine Kinder. Jetzt sind schon die Enkel dran, die natürlich unser Buch auf Französisch bekommen haben.

    Und?

    Klarsfeld: Sie finden es toll, dass ihre Großeltern Comic-Helden sind.

    Mussten Sie nicht erst von den Autoren überredet werden?

    Klarsfeld: Wir hatten Bedenken, dass unsere Geschichte plakativ verkürzt wird. Aber Pascal Bresson und Sylvain Dorange waren immer sehr an den Details interessiert. Und es gibt ja schon einige Bücher über Serge und mich, einen Spielfilm mit Franka Potente und Hanns Zischler, Dokumentationen, ein Theaterstück und sogar eine Oper. Warum also nicht auch einen Comic? Damit erreicht man noch mal ein anderes, jüngeres Publikum.

    Sie sind mit der Ohrfeige in die Geschichte eingegangen. Woher haben Sie den Mut genommen, jemandem quasi auf den Leib zu rücken? Und als Frau.

    Klarsfeld: Die Ohrfeige kam ja nicht aus heiterem Himmel, sie hatte eine lange Vorgeschichte, die letztlich mit meiner Ankunft 1960 in Paris begann: als ahnungsloses Au-pair-Mädchen, das weder von den Eltern noch von den Geschichtslehrern etwas über den Zweiten Weltkrieg erfahren hatte. Dann lernte ich meinen Mann kennen, dessen Vater in Auschwitz ums Leben gekommen war, und begriff, welche historische Schuld auf meiner Nation lastet. Als mit Kurt Georg Kiesinger im Dezember 1966 ein ehemaliger Nazi-Propagandist aus dem Reichsaußenministerium Bundeskanzler wurde, waren wir entsetzt und haben sämtliche Akten über ihn zusammengetragen.

    Die Vergangenheit schien damals niemanden zu interessieren.

    Klarsfeld: Nicht einmal die Historiker haben sich darum gekümmert! Wir informierten die Abgeordneten, aber niemand hat reagiert. Also musste ich für Öffentlichkeit sorgen. Ich habe Kiesinger bei seiner Rede am 2. April 1968 im Bundestag in Bonn mit „Nazi, tritt zurück!“ unterbrochen. Doch erst die Ohrfeige am 7. November 1968 auf dem Parteitag der CDU in Berlin hat Wirkung gezeigt. Dabei ging es um viel mehr: Stellvertretend für die jungen Deutschen habe ich ihre Nazi-Väter geohrfeigt.

    Hatten Sie keine Angst, dass es schief geht?

    Die Graphic Novel über Beate Klarsfeld handelt auch von der berühmten Ohrfeige.
    Die Graphic Novel über Beate Klarsfeld handelt auch von der berühmten Ohrfeige. Foto: Pascal Bresson, Sylvain Dorange, Carlsen

    Klarsfeld: Es war schwer, in die Kongresshalle zu kommen, ich konnte dann auf dem Podium auch nur hinter ihm durchgehen. Das führte dazu, dass ich ihn am rechten Auge getroffen habe. Das wurde braun wie seine Vergangenheit. Natürlich war das gefährlich! In der ersten Reihe saßen Sicherheitsleute, die mich hätten erschießen können, ja. Aber an das denkt man nicht.

    Kiesinger ließ sich nicht einschüchtern und ist 1969 noch einmal zu Wahl angetreten. Sie haben im selben Wahlkreis im badischen Waldshut für die Aktion Demokratischer Fortschritt kandidiert.

    Klarsfeld: Damit hatte ich die Gelegenheit, den Wahlkampf ganz offen gegen ihn zu führen. Ich wurde von vielen jungen Leuten unterstützt, und überall, wo Kiesinger sprach, hörte er „Nazi abtreten!“. Jetzt konnte er seine Vergangenheit nicht mehr leugnen. Er wurde ja auch nicht mehr gewählt, sondern Willy Brandt, für den ich mich sehr eingesetzt hatte.

    Haben Sie jemals versucht, mit Kiesinger zu diskutieren?

    Klarsfeld: Wir standen uns in den Demonstrationen gegenüber, aber man kann nicht mit einem Mann diskutieren, der sich ständig rausgeredet hat. Auch als wir Kurt Lischka, der für die Deportation von 75.000 Juden aus Frankreich verantwortlich war, die beweisenden Dokumente vorgelegt haben, kam es zu keinerlei Bedauern. Was wollen Sie mit solchen Leuten besprechen?

    Wie sehr hat diese Politisierung mit Ihrem Mann Serge zu tun?

    Klarsfeld: Jeder von uns hatte seinen Kampf zu führen. Mein Vater war in der Wehrmacht gewesen, meine Eltern haben sicherlich Hitler gewählt. Serge war ein jüdischer Junge, der wie ein Wunder der Deportation entging. Meine Eltern hatten es sehr schwer nach dem Krieg, aber es war kein Schuldbewusstsein da, es hieß nur „wir haben den Krieg verloren“. Dass ihn die Deutschen angezettelt haben, kam nie zur Sprache. Man wollte vergessen und das Land aufbauen. So konnten die alten Nazis wieder in Amt und Würden kommen oder einfach da bleiben, wo sie vor 1945 waren. Aber hätte ich Serge nicht kennengelernt, würden Sie mich heute nicht anrufen.

    Die Geschwister Scholl spielen eine wichtige Rolle in Ihrem Engagement. Kann man von Vorbildern sprechen?

    Klarsfeld: Sie sind das sogar für meinen Mann. Wenn er mich kritischen Freunden vorstellte, hat er immer auf Hans und Sophie Scholl und die anderen Deutschen verwiesen, die sich aufgelehnt haben und ihr Leben lassen mussten. Die Geschwister Scholl haben auch gezeigt, dass wir Jungen uns nicht schuldig fühlen müssen.

    Wie hält man es aus, ständig mit den grausigen NS-Verbrechen konfrontiert zu sein?

    Klarsfeld: Das Grausame haben wir vor allem in den Dokumenten gesehen. Uns ging es einfach um Gerechtigkeit. Kurt Lischka, Klaus Barbie oder der SS-Obersturmführer Kurt Asche, der in Belgien die Deportation von 25.000 Juden und Sinti nach Auschwitz veranlasst hatte, mussten sich für ihre Verbrechen vor Gericht verantworten – damit hatte unsere Arbeit einen Sinn. Das hilft, diese fürchterlichen Geschichten zu verkraften. Aber wir haben immer ein normales und gutes Familienleben geführt, diese Aktionen waren ein Teil, doch nicht das ganze Leben.

    Kann man aus der Geschichte überhaupt lernen?

    Klarsfeld: Sie sehen die Entwicklungen, die rechten Parteien werden stärker. Als wir in den 1960er Jahren gegen die NPD demonstrierten, hatten die sechs oder sieben Prozent, dann ging es unter die fünf Prozent-Marke. Aber die AFD kommt inzwischen spielend in die Parlamente. Auch in Frankreich waren die Rechtsextremen mal klein und haben stark zugenommen. Ich bin jetzt 82 und weiß, wohin das führen kann. Aber die Jungen wissen nicht, was Krieg und Entbehrungen bedeuten, was es heißt, für eine Einstellung getötet zu werden. Darin liegt eine große Gefahr. Und es genügt nicht, Gedenkstätten zu besuchen, es braucht jemanden, der erzählt und erklärt, was passiert ist, also eine echte Auseinandersetzung.

    Pascal Bresson, Sylvain Dorange: Beate & Serge Klarsfeld. Die Nazijäger, Carlsen, 208 Seiten, 28 Euro

    Das könnte Sie auch interessieren:

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden