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Interview: Sänger Bruce Dickinson: "Iron Maiden sind eine seltsame Band"

Interview

Sänger Bruce Dickinson: "Iron Maiden sind eine seltsame Band"

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    Auch wieder mit langer Mähne: Bruce Dickinson (Dritter von links) im Kreise seiner zum neuen Album nun japanisch hinterfangenen Kollegen von Iron Maiden.
    Auch wieder mit langer Mähne: Bruce Dickinson (Dritter von links) im Kreise seiner zum neuen Album nun japanisch hinterfangenen Kollegen von Iron Maiden. Foto: John McMurtrie

    Bruce, ein neues Iron-Maiden-Album, „Senjutsu“: Sind Sie zufrieden?

    Bruce Dickinson: Zu hundert Prozent! Ich finde, uns ist eine fantastische Platte gelungen. Die verrückte und wirklich krasse Sache ist ja, dass wir mittlerweile seit fast drei Jahren auf diesem Album sitzen. Wir haben es Anfang 2019 eingespielt, es sollte längst rauskommen, dann kam stattdessen die Pandemie und hat uns zwei Mal die geplante Veröffentlichung versaut. Jetzt wird aber nichts mehr verschoben. Das Teil muss endlich unter die Leute.

    „Senjutsu“ ist 82 Minuten lang. Die Songs sind komplex, die Platte nimmt immer wieder unerwartete Wendungen. Was haben Sie sich dabei gedacht?

    Dickinson: Och, wir hatten überhaupt nichts Spezielles im Sinn. Wir wollten einfach nur ein interessantes Album machen. (...) Alle wissen, was Maiden für ein Biest ist, und wir wissen es auch, und trotzdem hat man innerhalb seines Rahmens sehr viel Platz, um Neues auszuprobieren. Die harte Arbeit ist es, sich erst mal aufzuraffen und loszulegen.

    Bruce Dickinson: "Ich singe einfach los"

    Machen Sie eigentlich irgendwas für Ihre Stimme?

    Dickinson: Nö. Ich singe einfach los. Die Stimme ist von Natur aus gut geölt. Während meine Stimme älter geworden ist, ist sie ein bisschen dunkler geworden. Und dazu hinten raus irgendwie fetter. Was ich übrigens sehr mag. Denn das bedeutet, dass ich flexibler mit meiner Stimme bin, atmosphärischer. Im Großen und Ganzen finde ich, dass sich meine Stimme sehr solide gehalten hat.

    So wie der ganze Bruce?

    Dickinson: Das will ich doch hoffen. Ich hoffe sehr, dass nicht einzelne Teile von mir schneller altern als der Rest.

    Viele Ihrer neuen Songs wirken wie Endzeiterzählungen, düstere Stimmung – oder täuscht der Eindruck?

    Dickinson: Teil, teils. „The Writing On The Wall“ zum Beispiel ist ein Blick zurück und einer in die Zukunft. Ich spreche über die Generation, die im Zweiten Weltkrieg gekämpft hat und die heute weitgehend gestorben ist, die unsere Freiheiten gesichert und jenes ökonomische Nachkriegswunder ermöglicht hat, das jenes Westeuropa geschaffen hat, wie wir es bis heute kennen. Die Frage ist: Was machen wir jetzt? Mit der ganzen Technologie, mit unserem Lebensstil, wie soll das alles weitergehen und wer gibt uns Ratschläge, wie wir uns verhalten sollen? Letztlich auch: Stoßen wir Entwicklungen innerhalb des bestehenden Systems an oder stoßen wir das System besser um?

    Und, Bruce? Besser ändern oder gleich umstoßen?

    Dickinson: Oh, ich liefere auch keine Antworten. Ich stelle nur Fragen. Sie zu beantworten, ist nicht mein Job. Ansonsten würde ich bei den Wahlen antreten. Und das werde ich verdammt noch mal niemals tun. Allein schon die Vorstellung! Nein, nein, das lasse ich. Alles, was Musik tun kann, ist Entscheidungsmöglichkeiten anzubieten und dir Sachen zu geben, über die du nachdenken kannst, wenn du das willst.

    In „Darkest Hour“ erzählen Sie von Winston Churchill. Warum?

    Dickinson: Der Song beschäftigt sich damit, wie ein Mann, seiner zahlreichen Unzulänglichkeiten zum Trotz, eine Entscheidung getroffen hat, die im Prinzip die ganze Welt gerettet hat. Nämlich sich nicht Nazi-Deutschland zu ergeben, sondern zu kämpfen. Churchill war ein starker Melancholiker, und nach dem Krieg hat man ihn ziemlich fallen gelassen, aber trotz allem hat er eine ganze Nation inspiriert, sich dunklen Mächten in den Weg zu stellen. Und er hatte Erfolg.

    Steht er noch zu seinem Ja zum Brexit?

    Sie leben in London und haben seinerzeit offen den Brexit unterstützt. Würden Sie heute anders entscheiden?

    Dickinson: Eindeutig nein. Ich stehe zu meiner Entscheidung.

    Wie sind Sie im Studio? Wie eine Mannschaft oder eher wie ein Haufen hochtalentierter Individuen?

    Dickinson: Iron Maiden sind eine seltsame Band. Wir sind ein ungewöhnlicher Mix von Charakteren. Manchmal arbeiten wir eng zusammen, manchmal nicht so eng, wir schreiben auf ungewöhnliche Weise. Viele kleine Dinge machen uns, nehmen wir das Wort eigenwillig. Und alles zusammengenommen ergibt unsere Identität. Ohne unsere Macken wären wir nicht dieselbe Band.

    Wenn Sie Iron Maiden von heute vergleichen mit den Maiden aus den Achtzigern oder Neunzigern – was mögen Sie besonders an Maiden heute?

    Dickinson: Wir haben viel, viel mehr Zutrauen in unsere Qualitäten und das Selbstbewusstsein, exakt das zu tun, was wir tun wollen. Ohne über Moden nachzudenken oder darüber, ob es jetzt noch Metal oder nicht Metal ist. Wenn es Iron Maiden ist, dann ist es Iron Maiden.

    Haben Sie ganz persönlich mehr Spaß, in dieser Band zu spielen als früher? Sie haben immerhin Maiden auch mal für einige Jahre während der Neunziger im Zwist verlassen …

    Dickinson: Na ja, schwer zu sagen. Ich denke, ein bisschen mehr Vergnügen macht es mir heute tatsächlich. Vor allem, weil ich nie gedacht hätte, dass ich diesen Job überhaupt so lange mache, in meinem Alter. Jeder Tag, den ich mit Maiden zusammen auf Tour spielen darf, fühlt sich an wie eine Verlängerung meines Lebens. Das ist wunderbar.

    60 ist für Rockmusiker kein Alter mehr. Wie lange wollen Sie weitermachen?

    Dickinson: So lange wie wir einen guten Job machen. So lange bis wir keine Parodie unserer selbst werden.

    "Wir sind keine Poser, wir sind Geschichtenerzähler"

    Unter Schüchternheit haben Sie nie gelitten, oder?

    Dickinson: Nee. Ich bin schon ein ziemlich extrovertierter Knabe. Immer gewesen. Ich stehe darauf, wenn alles laut ist und knallt. Ich liebe zum Beispiel die guten alten Explosionen bei uns auf der Bühne. Aber du musst das alles natürlich in einen Rahmen einpassen, und diesen Rahmen geben bei uns immer die Songs vor. Wir sind keine Poser. Wir sind musikalische Geschichtenerzähler mit einem Faible für Dramatik.

    Welche Bedeutung haben aus Ihrer Sicht Humor und Selbstironie bei Iron Maiden?

    Dickinson: Eine große. Diese Qualitäten machen uns als Menschen aus. Selbst in schrecklichen Situationen blenden wir sie nicht vollständig aus. Eine Show, ein Album bildet bei uns immer das komplette Spektrum der menschlichen Gefühlswelt ab.

    Sie sind auch Pilot und fliegen die Boeing 747, in der Sie von Show zu Show reisen, traditionell selbst. Auch 2022?

    Dickinson: Nein, den Jet haben wir nach unserem Konzert in Göteborg 2016 ausrangiert. Weil er beschädigt war, wegen der Umwelt und auch, weil es unpraktisch ist, immer ein Flugzeug an der Backe zu haben. Du brauchst keinen Jumbo, um von Paris nach Zürich zu fliegen.

    Aber es war schon ein tolles Bild, das um die Welt gegangen ist, wie Ihr Flugzeug neben der kleinen Maschine von Angela Merkel auf dem Züricher Flughafen stand.

    Dickinson: Oh Mann, ja. Sah das nicht verdammt cool aus (lacht)? Damals ging es zeitlich zum Teil nicht anders als mit dem Flugzeug. Aber nun ist Ed Force One Geschichte.

    Info „Senjutsu“ erscheint am 3. September. 2022 kommt die Band auch auf Tour nach Deutschland, unter anderem am 9. Juli nach Stuttgart.

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