Langsam scheint es in der Film- und Fernsehbranche wieder loszugehen. Wie ist es denn bei Ihnen?
Nina Hoss: Ich hatte Pech. Meine Projekte sind alle abgesagt oder verschoben worden. Das mag auch daran liegen, dass die alle international waren, und da ist es schwieriger, die neu anzustoßen. Es werden jetzt nur die Sachen fertiggestellt, die schon angedreht waren. Im Fernsehen geht es auch wieder. Aber in Sachen Kino läuft momentan gar nichts.
Sie geraten nicht in Panik?
Hoss: Nein, wieso auch? Das bringt mir nichts. Aber es fällt mir nicht leicht, das muss ich schon sagen. Ich vermisse den Austausch und die Arbeit, da ich das liebe. Da darbe ich etwas.
Was können Sie dagegen tun?
Hoss: Am Anfang dachte ich, ich kann jetzt alle Bücher lesen, die ich nicht gelesen hatte. Das habe ich auch gemacht. Jetzt versuche ich Drehbücher voranzutreiben. Ich bereite Projekte vor, die früher oder später stattfinden werden. Ich muss das Gefühl haben, dass es weitergeht und ich Teil von einem Prozess bin. Sonst würde ich durchdrehen.
"Ich bekam sofort Lust auf die Rolle"
Sie könnten ja auch in Erinnerungen an fertige Projekte wie „Pelikanblut“ schwelgen. Ist ein Film, der wegen der Pandemie erst jetzt startet, noch bei Ihnen präsent?
Hoss: Durchaus. Denn das war eine sehr intensive Zeit. Das fing schon beim ersten Drehbuchlesen an. Ich fand die Mischung von Genres unglaublich spannend, und hatte sofort Lust, mich mit dieser Rolle zu beschäftigen. Hinzu kamen dann noch andere Faktoren: Wir haben in Bulgarien gedreht, da konnte ich das Land und die Menschen kennenlernen. Ich war den ganzen Tag auf einer Farm, wo ich mit Pferden arbeitete und mit den beiden Mädchendarstellerinnen spielte.
Sie spielen eine Pferdetrainerin. Wie haben Sie gelernt, Pferde zu verstehen?
Hoss: Das hat bei „Gold“ angefangen, weil ich für den Film Reiten gelernt habe. Da hat uns ein kanadischer 75-jähriger Cowboy begleitet, der mir einen anderen Zugang zu den Tieren geschenkt hat. Vorher dachte ich: ‚Ich sitze da oben, aber ich begreife diese Tiere nicht.‘ Dieser Mann hat mir geholfen, ihre Zeichen zu verstehen. Und durch die Vorbereitung auf „Pelikanblut“ konnte ich das noch vertiefen. Dafür habe ich einen Horsemanship-Kurs gemacht, den ich jedem nur ans Herz legen kann. Man begreift dabei, wie dich Pferde widerspiegeln. Wenn du ihnen gegenüber Selbstsicherheit ausstrahlst, dann kommen sie mit dir mit, weil sie wissen: Sie brauchen keine Angst zu haben.
"Auf diese Weise geht es ohne Druckmittel"
Verstehen Sie durch die Erfahrung mit Pferden auch besser, was Sie wollen?
Hoss: Das würde ich so nicht ausdrücken. Ich kann nur sagen, dass ich bei dieser Erfahrung so erleuchtende Momente hatte, wo man spürte: ‚Jetzt ist alles klar. Ich hinterfrage mich nicht. Ich frage mich auch nicht, warum soll das Pferd mit mir laufen.‘ Das heißt, ich höre auf, mir permanent zu erklären, warum etwas nicht klappen kann. Und auf diese Weise bringst du das Pferd dazu, ohne Druckmittel, mit dir mitzugehen. Diese Erfahrung lässt sich natürlich auch übertragen, wenn du andere mitnehmen, zum Beispiel für deine Idee begeistern willst. Da braucht es nicht so viel. Du musst dir nur sicher sein: Das ist das, was du möchtest.
Wissen Sie, was Sie möchten?
Hoss: Grundsätzlich nicht. Aber in den Momenten, wo ich Entscheidungen treffen muss, weiß ich das. Das war immer so. Ich kann mich da auf mein Gefühl verlassen.
Woher kommt diese Sicherheit?
Hoss: Das wird wahrscheinlich ein Zusammenspiel von Prägung und Erfahrung sein. Abgesehen davon setzen wir Schauspieler uns permanent mit Lebensfragen auseinander. Zum Beispiel, wenn ich eben ein sogenanntes ‚Horsemanship‘-Training wie für „Pelikanblut“ absolviere. Ich lese viel und lerne dadurch. Mein Job ist ein permanentes Fortbilden in Sachen Leben. Man hinterfragt sich auch selbst, lernt, wie Emotionen entstehen und wo Triggerpunkte liegen. Einerseits kann ich das dann meinen Figuren zur Verfügung stellen, und anderseits weiß ich dadurch besser, was für mich richtig ist.
"Die Arbeit mit Pferden ist lehrreich"
Das heißt, solche Prinzipien gelten auch für die Kindererziehung?
Hoss: Mädchen sind natürlich keine Pferde. Wir können reden und machen viel Unsinn. Wenn ein kleines Mädchen einen haut, ist das nicht so gefährlich. Aber in der Herangehensweise, auch für einen selbst im Leben, ist die Arbeit mit Pferden lehrreich. Gerade, wenn sie gestört sind – so wie im Film das kleine Mädchen –, dann geht es darum, Vertrauen aufzubauen.
Gibt es denn die Chance, Verwundungen, die in einem jungen Alter zugefügt werden, zuheilen?
Hoss: Wenn Kinder relativ klein sind, hat man gute Chancen. Je älter sie werden, desto schwieriger wird es, den Hebel umzulegen, soweit ich die Psychologen richtig interpretiere. Aber es besteht immer die Chance. Meine Figur in „Pelikanblut“ gibt jedenfalls nicht auf. Sie geht da bis zur Selbstaufgabe. Da stellen sich wiederum viele Fragen: Ist es richtig, nicht locker zu lassen? Kommt man aus dieser Erfahrung gemeinsam wieder stark heraus? Was ist eigentlich wahre Mutterliebe?
Ist denn Liebe die Lösung für alle Probleme? Gibt es Grenzen der Liebe?
Hoss: Ich glaube, ohne Liebe geht gar nichts. Ohne Liebe ist der Mensch verloren. Man denke an die Experimente im Mittelalter, wo man Kinder weggesperrt hat und geguckt hat, ob sie verkümmern. Und ja, sie verkümmern, sie gehen kaputt. Ohne die Lebenskraft Liebe geht der Mensch ein. Es sei denn, du entscheidest dich,das Leben eines Einsiedlers zu führen. Aber das ist deine Entscheidung. Aber allgemein ist Liebe die stärkste Kraft, weil sie dir Antrieb gibt. Sie sagt, du bedeutest jemand etwas. Denn wir sind nicht dafür geschaffen, alleine zu sein.
Zur Person: Nina Hoss, geboren 1975 in Stuttgart, zählt zu den herausragenden Schauspielerinnen des deutschsprachigen Theaters und Films. Fürs Kino hat sie wiederholt mit dem Regisseur Christian Petzold zusammengearbeitet ("Yella", "Barbara").
Der neue Film von Nina Hoss in der Kritik: "Pelikanblut" neu im Kino: Der Widerspenstigen Zähmung
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