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Interview: Neues Herz, neues Album: So geht es dem ESC-Gewinner von 2017 heute

Interview

Neues Herz, neues Album: So geht es dem ESC-Gewinner von 2017 heute

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    Wenn Salvador Sobral zurückblickt, kommt die Rede unwillkürlich auf den ESC-Wettbewerb 2017, den er für Portugal mit großem Abstand gewann.
    Wenn Salvador Sobral zurückblickt, kommt die Rede unwillkürlich auf den ESC-Wettbewerb 2017, den er für Portugal mit großem Abstand gewann. Foto: Warner Music

    Fast genau vier Jahre sind seit Ihrem Sieg beim Eurovision Song Contest vergangen, ein paar Monate später mussten Sie sich einer Herztransplantation unterziehen. Ihr Leben hing dabei am seidenen Faden. Nun scheint es, als seien Sie über den Berg.

    Salvador Sobral: Na ja, wie man’s nimmt. Im vergangenen Oktober gab es das nächste Kapitel in meiner gesundheitlichen Fortsetzungsgeschichte: Ich bekam Corona. Leichter Verlauf, zum Glück. Und das, obwohl mein Körper durch die Einnahme von Immunsuppressiva, die eine Abstoßungsreaktion des neuen Herzens verhindern sollen, keine Gegenwehr aufbauen konnte. Ein komisches Gefühl: Das Virus war in mir und mein Körper ließ es in Ruhe, eine extrem fragile Situation. Aber die schweren Verläufe entstehen vor allem durch Abwehrreaktionen. Das Ganze ist schon sehr spannend, wenn man nicht gerade unmittelbar davon betroffen wäre. Aber alles ging gut. Und morgen bekomme ich meine Impfung.

    Sie lieben das Understatement wie 2017 in Kiew, als Sie als der klassische Anti-ESC-Held Ihre schlichte Ballade „Amar pelos dois“ (Liebe für uns beide) sangen. Keine Show, kein Glitzer. Stattdessen nur Ihre Stimme und ein übergroßes Jackett.

    Sobral: Es war das einzige, das mir zu diesem Zeitpunkt überhaupt passte! Eigentlich bin ich schmächtig, hatte aber wegen meiner Herzinsuffizienz 20 Kilo Wasser eingelagert. Damit sah ich aus wie eine hochschwangere Frau. Ohne Arzt wäre die Reise in die Ukraine nicht möglich gewesen. Ich war ständig unter Beobachtung und stand schon länger auf der Warteliste für eine Transplantation. Wäre ein Spenderherz verfügbar gewesen, hätte ich sofort nach Portugal zurückgemusst. Ich habe so wenig wie möglich gemacht. Bei den Proben stand meine Schwester auf der Bühne, während ich in der Garderobe blieb.

    Keiner wusste damals, wie schlecht es Ihnen ging. Warum haben Sie das alles auf sich genommen, noch dazu, weil Sie ja aus einer ganz anderen musikalischen Welt stammen?

    Sobral: Ursprünglich hatte ich mit dem ESC nichts am Hut. Zunächst sollte ich meiner Schwester Luísa zuliebe singen. Luísa wurde von den portugiesischen Organisatoren gebeten, einen Song zu schreiben, der anders sein sollte als die klassischen ESC-Lieder. Als „Amar pelos dois“ fertig war, fragte sie mich, ob ich es singen wollte. Natürlich, klar! Für mich ging es nur um den Vorentscheid, den viele Leute im Fernsehen sehen würden, sodass ich danach vielleicht wieder für mehr Konzerte gebucht würde. Dann gewann ich und sollte nach Kiew. Dort stand ich nur da und hielt mich am Mikro fest. Am liebsten hätte ich im Liegen gesungen, aber das ging nicht. Dann, nach dem Sieg, musste ich die vielen Stufen der Treppe hinuntergehen. Ich dachte mir nur: Jetzt darfst du keinen Herzinfarkt bekommen, das wäre demütigend. Schon verrückt: Ich dachte nicht ans Sterben, sondern daran, dass es eine Demütigung wäre, zu sterben, wenn ich gerade etwas gewonnen habe. Ich wollte nur durchhalten, habe vor und nach meiner Performance in einen Abwehrmechanismus geschaltet, mich nur auf das Atmen konzentriert. Ich war emotional völlig teilnahmslos, fast apathisch. Mein Gedanke: Es ist nur ein Sonntagabend. Das schaffe ich.

    Dann wurden es mehrere Sonntagabende. Und eine atemberaubende Karriere.

    Sobral: Wohl wahr. Dafür bin ich sehr dankbar. Auch wenn ich so manchen Blödsinn nach dem Sieg über den ESC gesagt habe.

    Zum Beispiel?

    Sobral: Noch nach der Preisverleihung in Kiew musste ich unbedingt loswerden, dass wir in einer Welt voller Fast-Food-Musik ohne Inhalt leben. Das haben viele Leute in den falschen Hals bekommen und mich für einen arroganten Schnösel gehalten. Später habe ich in einer Talkshow den Spruch rausgehauen, dass der ESC meine persönliche Prostitution war. Hätte ich nicht tun sollen. Ich wollte witzig sein und ein bisschen rebellisch rüberkommen. Heute weiß ich, wie wichtig das war, für mein Land, aber auch für Europa. Wenn man zum Beispiel nach Island kommt und die Leute auf Portugiesisch „Amar pelos dois“ singen hört, das bewegt einen schon sehr.

    Dennoch war der ESC nie Ihre Welt. Sie kommen vom Jazz, galten als talentierter Sänger und Pianist.

    Sobral: Ich habe immer Musik geliebt, die einen berührt, die tief aus dem Herzen kommt. Nicht diesen synthetisch zusammengeleimten Kommerz. Dennoch gefällt mir die Völker verbindende Idee des ESC.

    Sie haben wieder zum Jazz zurückgefunden. Ist Ihr neues Herz ein Jazz-Herz?

    Sobral: Natürlich, es passt sich an meine Jazz-Seele an! Die Philosophie des Jazz entsprach schon immer meiner eigenen: Freiheit, Unabhängigkeit, Kommunikation und Zusammenarbeit. Das sind die wichtigen Dinge des Lebens. Ich liebe es, in verschiedenen Sprachen zu singen und mich zu unterhalten, aber auch musikalisch offen zu bleiben. Mein derzeitiges Lieblingslied ist übrigens (auf Deutsch) „Kein Schwein ruft mich an“ von Max Raabe. Grandios!

    Ihr aktuelles Album „BPM“ ist Ihr bislang persönlichstes. BPM bedeutet „Beats per Minute“, also Herzschläge pro Minute. Sie benutzen gerne medizinische Metaphern?

    Sobral: Ist es verwunderlich? Ich bin umzingelt von solchen Begriffen, im Krankenhaus, bei den Ärzten, zu Hause. Also versuche ich sie in mein Leben einzubauen. Beats per Minute verbinden das Leben mit der Musik, geben ihr Rhythmus. Sie helfen beim Atmen. Bei mir ging es immer um eine kleine BPM-Anzeige, im Training, beim EKG. Wenn ich sie sah, wusste ich, dass ich noch lebe.

    Nun hören wir Ihre Beats per Minute: 13 Songs aus Ihrer Feder, die einen Einblick in Ihr Leben gewähren, mit Jazz und Indie-Rock. Dabei war das Komponieren früher nie Ihr Ding.

    Sobral: Ist es auch heute noch nicht. Komponieren fällt mir sehr schwer, ist eine enorme Herausforderung für mich. Seit Beginn meiner Karriere habe ich mich stets wohler mit den Songs anderer gefühlt. Meine Songwriting-Ader blieb lange ein Äderchen. Dieses Album fühlt sich dagegen – um im Bild zu bleiben – wie das Offenlegen meiner Aorta an.

    Sind Sie heute ein anderer als zuvor?

    Sobral: Natürlich hat 2017 mein Leben als Künstler und Mensch vollständig verändert. Dennoch glaube ich, derselbe zu sein. Aber meine Lebensqualität ist um ein Vielfaches höher, mein Körper lässt mich Dinge tun, die vorher unmöglich waren. Mein Terminkalender ist randvoll, ein paar mehr Pausen wären gut. Fantastisch ist: Ich darf wieder Fußball spielen! Früher war ich Verteidiger und träumte davon, für Benfica Lissabon aufzulaufen. Von meinem 18. Lebensjahr an konnte ich nicht mehr. Jetzt geht es wieder. Ich treibe regelmäßig Sport und tanze sogar wieder. Es ist wie ein Traum. Ich fühle mich wirklich großartig!

    Zur Person:

    Salvador Sobral wurde 1989 in Lissabon geboren. Der Sänger und Pianist war bis zu seinem Sieg beim Eurovision Song Contest 2017 in Kiew nur in Jazzkreisen bekannt. Mit 758 Punkten erreichte er den bisher höchsten Punktestand, den ein Land nach dem aktuellen Abstimmungssystem erreichen konnte. Sobral hat jetzt sein neues Album „BPM“ auf Warner veröffentlicht.

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