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Interview: München-Neuperlach: Ist diese Satellitenstadt wirklich schön, Herr Hild?

Interview

München-Neuperlach: Ist diese Satellitenstadt wirklich schön, Herr Hild?

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    Typisch Neuperlach - die Wohnsilos wachsen in den Himmel.                                               
    Typisch Neuperlach - die Wohnsilos wachsen in den Himmel.                                                Foto: Kurt Otto, WSB Bayern

    Herr Hild, wenn vom „schönen München“ die Rede ist, tauchen inzwischen auch der Norden oder das Bahnhofsviertel auf. Nur Neuperlach nicht.

    Andreas Hild: Gerade deshalb wollten wir mit unserem Buchtitel „Neuperlach ist schön“ auch provozieren. Stadtneugründungen, die viele Menschen an einen Ort bringen, haben immer ein Akzeptanzproblem. Das war früher, etwa bei der Entstehung der Münchner Maxvorstadt, sicher nicht anders. Es braucht eine Weile, bis Menschen Positives mit einem Ort verbinden.

    Neuperlach gibt es immerhin schon seit 50 Jahren.

    Hild: Neuperlach ist aber auch riesig, wir reden von 55.000 Menschen, die dort leben. Und eigentlich sollten es ursprünglich sogar 80.000 sein. Es gab ja außerdem die Überlegung, Haidhausen abzureißen, um von der Innenstadt freie Bahn nach Neuperlach zu haben. Und natürlich waren dort eine Zeit lang die sozialen Zustände nicht wirklich stabil.

    Die besingt Georg Ringsgwandl mit den „Mopedrockern von Neuperlach“.

    Hild: Zum Beispiel. So entsteht eine Außenwahrnehmung, die länger Bestand hat als die tatsächliche Wahrnehmung der Menschen vor Ort. Für viele und selbst für Politiker ist dieses Neuperlach eine Trabantenstadt ganz weit draußen in einer öden Gegend, in der niemand leben will. Seit ein paar Jahren beginnt sich dieses Bild allerdings zu wandeln. Auch unsere Studie will hier einen Beitrag leisten.

    In Abbildungen Neuperlachs sieht man meistens endlose Häuserblocks, die überall stehen könnten.

    Hild: Neuperlach ist aber vor allem eine immense stadtplanerische Vision und Leistung der Nachkriegsgesellschaft. Machen Sie sich die Dimensionen klar: Freiham mit seinen 250 Hektar ist aktuell eine der größten Maßnahmen in Europa, Neuperlach hat fast 1000 Hektar. Deshalb kann die moderne Stadtgesellschaft gerade von Neuperlach in seiner Entstehungszeit etwas lernen.

    Aber es wurde viel korrigiert – und nicht unbedingt zum Besten.

    Hild: Natürlich sind auch Fehler gemacht worden, aber nicht etwa, weil die Beteiligten unfähig waren. Im Gegenteil. In München ist einiges dazwischengekommen und hat viel Geld vom Projekt Neuperlach abgezogen. Ganz massiv waren das die Olympischen Spiele. Aus der Distanz ist dieser Stadtteil aber sehr viel erfolgreicher, als man vor 30, 40 Jahren geglaubt hat. Und so wird es übrigens auch mit Riem sein.

    Viele Häuser in Neuperlach wirken, als seien riesige Raumschiffe eher zufällig auf der grünen Wiese gelandet.

    Hild: Dahinter steckt die moderne Idee der Stadt im Park. Nur sind die öffentlichen Räume eben nicht sonderlich gut nutzbar und schlecht mit den Häusern verknüpft. Das hat mit einer aus der Moderne kommenden Städtebaudoktrin zu tun, die bestimmte Aspekte der Blockrandstadt und der Raumbildung bewusst ablehnte. Neuperlach ist ja nur eine von vielen Siedlungen, die die Neue Heimat gebaut hat – wenn auch die größte. Sie haben in Köln Chorweiler oder in der Neuen Vahr in Bremen vergleichbare Problemstellungen. Insofern ist „Neuperlach ist schön“ nicht nur ein Plädoyer für den Münchner Stadtteil, sondern auch der Versuch, sich diesen Siedlungen deutschlandweit zu nähern.

    Was hat Sie an Neuperlach verblüfft?

    Hild: Die Wohnungen haben zum größten Teil sehr gute Grundrisse. Ob man dem entsprechenden Haus einen Architekturpreis geben würde, steht wieder auf einem anderen Blatt. Diese Art Architektur hat zurzeit keine Lobby, auch nicht in Fachkreisen. Genauso würde man die dazugehörigen großen Außenflächen heute anders nutzen. Trotzdem hat Neuperlach eine große Qualität und enormes Potenzial.

    Bis 2030 rechnet man in München mit einem Zuwachs von 200.000 Einwohnern. Welche Rolle könnte Neuperlach spielen?

    Hild: Eine ganz wesentliche. Ich wundere mich immer, dass alle meinen, man könne das Wohnproblem durch den Dachgeschossausbau in der Maxvorstadt lösen. Wir müssen uns doch fragen, ob wir das Problem an solchen Stellen eher symbolisch und mit einem immensen planerischen und bürokratischen Aufwand oder tatsächlich lösen wollen. Da bietet Neuperlach die Möglichkeit, relativ viele Wohnungen zu generieren. Etwa durch zusätzliches Baurecht.

    Wie kann sich das konkret auswirken?

    Hild: Wenn Sie größere Freibereiche für alle Wohnungen bieten wollen und bei der Sanierung mehr als einen neuen Wärmeschutz, neue Fenster und vielleicht noch einen neuen Aufzug umsetzen wollen, ist das über die Miete nicht finanzierbar. Man könnte dem Investor aber anbieten, neben sein Haus ein weiteres zu bauen und mit dem Geld, das damit verdient wird, auch den älteren Bestand deutlich aufzuwerten. Die Finanzstruktur in Frankreich ist eine andere, aber die Projekte von Lacaton & Vasalle Architectes etwa in Bordeaux zeigen, dass man über die Ausweisung von zusätzlichem Baurecht ganz gezielt bestehende Gebäude verbessern kann. Es müssen doch alle etwas davon haben. Wenn nur ein paar tolle neue Häuser zwischen den Bestand gebaut werden und der Rest so bleibt, kann das auf Dauer nicht gut gehen.

    Könnten Sie sich vorstellen, in Neuperlach zu wohnen?

    Hild: Absolut! Da gibt es doch wahnsinnig gute Wohnlagen, und ich spreche jetzt noch gar nicht von den hohen Häusern mit Sicht auf die Berge.

    Wo sind die schönsten Ecken?

    Hild: Die gibt es gerade im Zentrum mit den hohen Häusern. Wir erleben momentan eine generelle Umwertung des Wohnhochhauses. In Neuperlach geschieht das schon seit 50 Jahren. Natürlich hat jedes Hochhaus ein Erdgeschoss, das kann man relativ leicht aufwerten. Von der ersten bis etwa zur fünften Etage wird es schon schwieriger, die Wohnbereiche so attraktiv zu gestalten, dass sie mit den oberen Stockwerken mithalten können.

    Was wird man in 50 Jahren über Neuperlach sagen?

    Hild: Schauen wir doch mal an Stellen in München, die vor hundert Jahre bebaut wurden. Das sind gut akzeptierte, eingewachsene Quartiere, in denen eine hohe Wohnzufriedenheit herrscht und die entsprechend gepflegt und instandgehalten werden können.

    Halten die Häuser in Neuperlach denn so lange durch?

    Hild: Als die Maxvorstadt entstand, hieß es, die Bausubstanz sei ganz schlecht, weil man billig und viel zu schnell gebaut hätte. Es gibt aber keine per se schlechte Bausubstanz, sondern nur mehr oder weniger geeignete Bausubstanz, die mehr oder weniger Ertüchtigung braucht. Die Möglichkeit, abzureißen und etwas vermeintlich Besseres hinzubauen, können Sie vergessen. Diese Option gibt es nicht. 

    Andreas Hild, Jahrgang 1961, ist Professor für Entwerfen und Denkmalpflege an der TU München. Mit seinem Büro Hild und K Architekten betreut er u. a. die Sanierung der Neuen Pinakothek. Mit Studenten hat er die Studie „Neuperlach ist schön“ (Schiermeier Verlag) vorgelegt.

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