„Mrs. Eliza Gilbert“ ist seit 1861 auf ihrem Grabstein zu lesen. Als Hochstaplerin wollte Lola Montez, geadelte Gräfin Landsfeld, denn doch nicht in die Ewigkeit eingehen. Aber wer war diese unkonventionelle Frau wirklich? Als „spanische Tänzerin“ hat die 1821 geborene Tochter eines britischen Offiziers nicht nur dem bayerischen König den Kopf verdreht. Ludwig I. musste abdanken – und seine Lolitta das Weite suchen. Doch sie ließ sich nicht einschüchtern. „Ich habe dem starken Geschlecht überall den Fehdehandschuh hingeworfen“ schreibt die Montez am Ende ihrer Memoiren. So lautet auch der Titel der unterhaltsamen neuen Biografie von Marita Krauss, die das Bild Lolas nun korrigiert. Hier ein Gespräch mit der Historikerin und Professorin an der Universität Augsburg.
Frau Krauss, Lola Montez „ist ordinär und arrogant, niederträchtig und verlogen… exzentrisch bis zur Verrücktheit und … ein Fall für den Psychiater“. Das jedenfalls schrieb der Münchner Historiker Heinz Gollwitzer noch in den Neunzigerjahren. Wollen Sie Lola rehabilitieren?
Marita Krauss: Ich habe sie eher aus der Schmuddelecke geholt. Dass sie ein Luder war und Ludwig I. ausgenommen hat, will ich gar nicht beschönigen. Aber wenn Sie sich überlegen, in welchen Kontexten und Sammelwerken sie vorkommt – zum Beispiel neben der Pompadour unter den weltgrößten Mätressen –, dann passt das nicht zu dieser Figur.
Sondern?
Krauss: In ihrer Vielfalt ist Lola einfach ein Phänomen. Sie hatte ein großes Spektrum an Fähigkeiten zur Verfügung und muss eine beeindruckende Erscheinung gewesen sein. Blitzgescheit übrigens, sie konnte mehrere Sprachen, war belesen. Und obwohl sie keine klassische Ballettausbildung hatte, muss ihr Tanz oder besser ihre Performance phänomenal gewesen sein. Das schreiben selbst ihre erbitterten Gegner. Aber sie wurde in gewisser Weise zur falschen Zeit am falschen Ort geboren. Das merkt man etwa während ihrer zwei Jahre in Paris. Da ging ihr das Geld aus, aber die Gesellschaft war gemischter, lange nicht so starr ständisch wie in der Residenzstadt München. Dort konnte sie in den Salons wirken.
„Einschränkungenakzeptierte sie nicht“
Lola hat aber einiges unternommen, um ihr schlechtes Image auszubauen.
Krauss: Eine Frau, die Zigarre raucht, mit Reitgerte, Pistole und großem Hund unterwegs ist und selbstbewusst auftritt, musste die Zeitgenossen vor den Kopf stoßen. Einschränkungen akzeptierte sie nicht, und mit der Zeit wurde sie immer provokanter und anmaßender. Das kam schlecht an. Wenn sie sich als Freundin von Ludwig zurückhaltend benommen hätte, wäre das deutlich problemloser verlaufen.
Dann hätte Lola ein komfortables Leben führen können?
Krauss: Das wäre ihr aber zu langweilig geworden. Sie war immer voller Unruhe, hat schnell die Lust an einer Sache verloren und musste dann weiterziehen. Ludwig war ein interessanter Mann und dazu König. Doch nur darauf hinzuleben, dass er abends drei Stunden vorbeikommt, um dann wieder nach Hause zu Tee und Lottospiel mit Ehefrau Therese zu gehen, war ihr zu wenig. Lola und Ludwig haben gemeinsam Gedichte und Cervantes gelesen, das mag für ein halbes Jahr sehr anregend gewesen sein, aber dann brauchte sie wieder Abwechslung. Der goldene Käfig war nichts für sie.
Es gab wohl auch keine gemeinsame Zukunft?
Krauss: Ludwig dachte nicht daran, seine Frau zu verlassen. Die beiden hatten neun Kinder zusammen, das ist schon etwas Besonderes, und Ludwig war Therese offenbar wirklich zugetan.
Dabei hat er Therese mit seinen Frauengeschichten gequält.
Krauss: Und wie! Trotzdem war Therese die Stütze in seinem Leben, die Kontinuität. Das beobachtet man oft bei so schwärmerischen Männern.
Sie hatten als erste Montez-Biografin Zugang zu den Tagebüchern des Königs. Wollten die Ludwig-Forscher Lolas gute Seiten nicht sehen?
Krauss: Der Blick war vor ein paar Jahrzehnten noch ein anderer und Lola für Ludwig I.-Biografen die Katastrophe schlechthin. Der Lola-Biograf Bruce Seymour ist ihr schon Mitte der Neunziger relativ vorurteilslos begegnet, das war eher eine Ausnahme. Aber durch Ludwigs Aufzeichnungen zu sehen, wie ein so bedeutender, gebildeter Mann dieser Frau dermaßen verfallen konnte, war schon sehr spannend. Ludwig hat allerdings auch erkannt, was alles in dieser Frau steckt.
„Eine große idealisierte Liebevoll anrührender Emotionalität“
Lola wirkt auf Ludwig wie eine Droge und lässt ihn sogar seinen Geiz vergessen.
Krauss: Das fanden alle vollkommen unverständlich. Einerseits gab es die großen Teuerungen in Bayern, die Hungersnot, andererseits überschüttet er Lola mit Wohltaten. Das war zwar sein eigenes Geld, aber man wollte es ihm nicht zugestehen. Ihm gefiel das Ausbrechen aus der Konvention; dieser Wunsch trieb ihn wie viele Deutsche auch immer wieder nach Italien. Denn er lebte in strengster Disziplin und saß jeden Morgen um vier am Schreibtisch. Dieser König hat sich wirklich um alles gekümmert, und Lola war der Ausgleich. Die beiden hatten ja keine furchtbar aufregende Liebesbeziehung, sondern eine große idealisierte Liebe voll anrührender Emotionalität.
Kuscheln die zwei nicht auf dem Sofa?
Krauss: Das war lange Zeit eine unglaublich keusche Liebe, und das Besondere wiederum ist, dass Lola das bedienen konnte. Sie war eben nicht die „niedrige“ Hure, die viele in ihr sahen. In diesem monatelang flirrenden Spiel gab sie sich vorpubertär, kindlich. Und er begreift jeden Kuss als Sünde, das quält ihn auch. Man liest in seinen Tagebüchern, wie er sich dauernd abmüht, den Ansprüchen der katholischen Lehre standzuhalten und trotzdem sein poetisches Gemüt, wie er es nennt, zu befriedigen.
Lola gab sich als adlige Spanierin aus, beide unterhielten sich nur auf Spanisch – das Ludwig besser beherrschte als sie. Wurde er nie misstrauisch?
Krauss: Er wollte partout an dieses Bild der tapferen, edlen Spanierin glauben, die aus politischen Gründen fliehen und sich durchschlagen musste. Sie reagiert auf der anderen Seite sofort ungehalten, wenn er an ihren Erzählungen zweifelt. Und er war ihr großer Beschützer. Das hat viel bei ihr ausgelöst und auch zum Altersunterschied gepasst. Zweimal hat Ludwig ihr laut Tagebuch „beygewohnt“, zum ersten Mal im Juni 1847 – dadurch ist er von seinem Sockel gefallen. Jetzt war er nicht mehr allmächtiger König und Vaterfigur, und sie begann, sich an ihm zu rächen.
Ihre Szenen waren berüchtigt.
Krauss: Lola war immer schon widerspenstig und eigenwillig, sie hatte viel Temperament, aber in einer Zeit, in der das für Frauen unmöglich war. Das wurde von einer sehr restriktiven Erziehung mit Arrest und Schlägen befördert. Voller Trotz hat sie auf alles reagiert, was Konvention war. Man muss dabei auch ihre Geschichte sehen. Sie kam aus gutem Hause, genoss eine für damalige Verhältnisse sehr gute Erziehung. Doch sie war überhaupt nicht aufgeklärt, als sie mit 16 aus dem Internat im englischen Bath kam. Um einer arrangierten Ehe mit einem 60-Jährigen zu entgehen, brannte sie mit dem 30-jährigen Leutnant Thomas James durch, der sie verführt hatte. Also musste sie ihn heiraten, und das ging gewaltig schief.
„Es blieb nur die Möglichkeiten der Dienstbotin, Prostituierten und Künstlerin“
Sie ließ sich immerhin scheiden.
Krauss: Dadurch blieb ihr aber nur die Möglichkeit, ihren Lebensunterhalt als Dienstbotin zu verdienen, als Prostituierte oder eben als Künstlerin. Mit dieser Vergangenheit stand Lola mit dem Rücken zur Wand.
War Ihr Leben nicht eine ständige Flucht nach vorn?
Krauss: Das kann man sagen, und sie schafft es damit sogar, zu einer Art Muster für alle diese Lolas, Lulus und Carmens zu werden. Da ist das wilde Weib, die spanische Schönheit, die Ungezähmte, die Verführerin, aber auch die Kindfrau.
Und was ist mit dem männerverschlingenden Wesen?
Krauss: Sie wurde einmal nach der Zahl ihrer Liebhaber gefragt und hat geantwortet: „Nicht so viele, wie man denkt, aber doch ein paar mehr als ein gewöhnlicher Mensch“.
Wo würde eine Frau wie Lola heute landen?
Krauss: Die Voraussetzungen sind völlig andere, aber natürlich würde sie hervorragend in die Tanz- und Musikszene passen. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts wäre sie auch in der Filmindustrie absolut richtig gewesen. Ihre Stimme mag nicht getragen haben; bei der heutigen Technik wäre das aber kein Problem mehr. Und in den USA konnte Lola ab 1851 große Säle mit ihren Vorträgen füllen. Da imponiert sie mir als eine sehr selbstständige Frau.
Buchtipp: Marita Krauss: Ich habe dem starken Geschlecht überall den Fehdehandschuh hingeworfen. Das Leben der Lola Montez. C.H.Beck, 343 Seiten 24 Euro