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Interview: Jonathan Meese: "Ideologie macht mir am meisten Angst"

Interview

Jonathan Meese: "Ideologie macht mir am meisten Angst"

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    Jonathan Meese mit seiner Mutter Brigitte.
    Jonathan Meese mit seiner Mutter Brigitte. Foto: Lino Mirgeler, dpa

    Berlin Auf dem Tisch liegen zwei knallbunte Plüschpapageien, die darauf warten, in einer Installation verwurstet zu werden. Und auch sonst gibt es viel Farbe im Atelier des Jonathan Meese, das er am Prenzlauer Berg in einem ehemaligen Pumpwerk aufgeschlagen hat. Als Künstler ist er, dem gerade eine pointierte Retrospektive in Münchner Pinakothek der Moderne gewidmet ist, polarisierend – als Gesprächspartner aber offen und charmant. Und die Mama mischt sich auch immer wieder ein …

    Herr Meese, spreche ich jetzt mit der Kunstfigur oder mit dem echten Jonathan Meese?

    Jonathan Meese: Das kann ich noch nicht genau sagen, ich vermute, es ist der Kunst-Meese. Aber da schimmert immer auch der Echte durch.

    Ist es nicht anstrengend, dauernd den Kunst-Meese zu spielen?

    Jonathan Meese: Überhaupt nicht, spielen ist ja nicht anstrengend. Aber alles andere.

    Wer lernt den echten Meese kennen?

    Jonathan Meese: Keiner. Selbst meine Mutter nicht. Man muss sich ja auch vergessen, um weiterzukommen. Andernfalls steht man sich selbst im Weg. Das größte Hindernis bei den meisten Menschen ist das Ich.

    Ist der echte Meese schüchtern?

    Jonathan Meese: Ja, schüchtern wie Sau.

    Hatten Sie trotzdem eine schöne Kindheit?

    Jonathan Meese: Ich bin wirklich behütet aufgewachsen in Ahrensburg, konnte spielen, was ich wollte. Himmlisch! Und ich konnte auch immer sehr gut mit mir selber spielen.

    Keine Langeweile?

    Jonathan Meese: Nie! Und wenn, dann habe ich die Repeat-Taste gedrückt. „Dancing Queen“ von Abba oder die Beatles rauf und runter. Und ich habe viel gelesen.

    Frau Meese, wie haben Sie diese dauernden Wiederholungen ausgehalten?

    Brigitte Meese: Ich war ja viel weg, weil ich Geld verdienen musste. Und tagsüber haben die älteren Geschwister auf Jonathan aufgepasst.

    Jonathan Meese: Aber Mami, du konntest immer schon perfekt auf Durchzug schalten.

    Brigitte Meese: Das ist wohl wahr.

    Jonathan Meese: Wir haben irrsinnig viel ferngesehen: „Silas“, „Der Junge mit den Goldhosen“, „Schirm, Charme und Melone“ war so das Größte für mich, „Derrick“, „Der Alte“, alles! Ich war fernsehsüchtig.

    Kinder mögen Weihnachten. Haben Sie das ganz klassisch gefeiert?

    Jonathan Meese: Ich mag Weihnachten auch sehr, als Kind habe ich diese „Zu-Hause-Stimmung“ geliebt. Die Weihnachtszeit markiert das Ende des Jahres, wir kommen zur Ruhe, ziehen Bilanz und freuen uns aufs kommende Jahr!

    Spielt das Fest noch eine Rolle?

    Jonathan Meese: Das Fest ist für mich ein Stichtag zur Entschleunigung, man schaltet runter. Ideologisch spielt das Fest für mich keinerlei Rolle. Weihnachten ist für mich Evolutionsfest!

    Und wie feiern Sie die Evolution?

    Jonathan Meese: Die letzten 20 Jahre feiern wir im Erzhotel in den Schweizer Bergwelten, da wird für uns alle liebevollst gesorgt. Da kann ich abschalten und Kraft für Neues tanken!

    Haben Sie Kontakt zu Ihren Geschwistern Andy und Carolyn?

    Jonathan Meese: Ich habe liebevollsten Kontakt zu meinen Geschwistern, auch zu deren Kindern. Man sieht sich nicht alle Tage, aber Freundschaft und Familie bindet über Zeit und Raum, wie bei Winnetou und Old Shatterhand.

    Kürzlich ist Ihre Biografie erschienen. Steht das auch für eine Zäsur?

    Jonathan Meese: Es kommt vieles zusammen. Neben der Biografie die Ausstellung in der Pinakothek der Moderne und jetzt gleich noch die große Schau in Lübeck. Für mich ist das wie ein Neustart. Gleichzeitig sind damit auch bestimmte Sachen abgehakt.

    Was zum Beispiel?

    Jonathan Meese: Viele haben früher nicht verstanden, dass es den Unterschied zwischen Künstler und Kunst gibt. Die Kunst, das bin ich nicht!

    Vielleicht hat das auch mit Ihren performativen Arbeiten zu tun, in denen Sie selbst auftreten?

    Jonathan Meese: Ja, das hat aber auch mit meinem Äußeren zu tun und der Uniform. In der Realität bin ich deshalb sehr unauffällig.

    Sie gehen dann mit Mütze auf die Straße?

    Jonathan Meese: Natürlich. Immer die Mütze tief ins Gesicht gezogen und mit schwarzer Jacke – ohne Adidas-Streifen.

    Haben Sie den Verkauf der schwarzen Adidas-Jacken angekurbelt?

    Jonathan Meese: Weiß ich nicht, aber ich habe jetzt eigene Adidas-Jacken gestaltet. Das sind allerdings eher Kunstwerke, deshalb wurden sie Anfang Dezember in Miami auf der Messe präsentiert. Und im April dann auf der Art Cologne.

    Wie sehen die aus?

    Jonathan Meese: Das sind vier verschiedene Jacken, die vorne und auf der Rückseite bemalt und bestickt sind.

    Kommt mit dem Sticken die Poesie? Die Münchner Kuratoren versuchen ja, den sanfteren Meese zu betonen.

    Jonathan Meese: Das sind Außenbetrachtungen, die ich super und legitim finde. Aber ich war immer schon reine Poesie! Oder totalste Poesie.

    Erz-Poesie, bitte.

    Jonathan Meese: Ja, Erz-Poesie. Ich habe immer schon Gedichte geschrieben. Ich liebe Lyrik, die Romantik, Ludwig Tieck ist der Größte für mich: „Der Runenberg“, „Der blonde Eckbert“, das habe ich hunderttausend Mal gelesen. Aber auch Edgar Alan Poe und damit die dunkle, gruselige Romantik.

    Apropos gruselig: Sie sind vor allem durch den Meese-Gruß bekannt geworden. Ist der passé?

    Jonathan Meese: Der Meese-Gruß ist ja schon Lehrstoff an Schulen. Damit wurde er ins kollektive Bewusstsein eingeordnet. Das Problem ist geklärt, fertig. Ich bediene keine Realität, und ich würde das auch immer wieder machen, wenn es für die Kunst notwendig wäre.

    Ist halt blöd, dass jetzt die echten Hitler-Anhänger wieder sichtbar sind.

    Brigitte Meese: Da gibt es momentan eine große Empfindlichkeit und Angst. Zur Zeit ist ja alles Angst. Man hat Angst vor den Arabern, Angst vor Migranten, Angst vor den Rechten, vor den Amerikanern…

    Jonathan Meese: Und vor sich selber. Der Meese-Gruß ist Kunst. Das ist gerichtlich festgestellt worden.

    Brigitte Meese: Aber er muss nicht sein.

    Jonathan Meese: Muss nicht, kann aber. Die Kunst erlaubt eben alles, wenn es nicht Realität ist. Ich fühle mich gerade jetzt bestätigt, weiterzumachen und auch keine Angst zu haben.

    Wie sieht die Zukunft aus?

    Jonathan Meese: Ich bin davon überzeugt, dass wir in eine ganz tolle Welt kommen. Wir haben nämlich die Möglichkeit, zapfen aber unser Potenzial gar nicht wirklich an. Wir unterfordern uns alle in einem Maße, wie es das in der Geschichte der Menschheit noch nie gegeben hat. Wir müssen uns überfordern.

    Und wie wird das Jahr 2019?

    Jonathan Meese: Wunderbarst, denn nur Kunst ist am Start. Ich werde in Lübeck an fünf verschiedenen Orten Kunst zeigen dürfen. Lübeck wird zum Gesamtkunstwerk, das ist eine tolle neue Herausforderung. Immer Kunst, Kunst, Kunst: Machen, Machen, Machen, das ist die notwendigste Parole für das Evolutionsjahr 2019.

    Was halten Sie davon, wenn Künstler politisch Stellung beziehen.

    Jonathan Meese: Künstler machen sich klein, wenn sie sich illustrativ ins politische Geschäft einmischen. Damit sind sie auch immer zu spät. Echte Künstler sind mindestens eine Sekunde vor der Zeit. Am besten hunderte von Jahren wie Richard Wagner. Oder der ägyptischen Baumeister Imhotep. Sich der Realität anzubiedern und zu sagen, ich mache jetzt noch Werbung für diese oder jene Politik, das ist echt mickrig. Fragen Sie mal einen van Gogh, ob der sich für die damaligen Aktivitäten interessiert hat. Nein, der wollte malen.

    Und was ist dann mit Goyas „Desastres“ oder Picassos „Guernica“?

    Brigitte Meese: „Guernica“ ist höchste Kunst, das Politische ist gar nicht so wichtig.

    Jonathan Meese: Auch die Friedenstaube ist einfach eine geile Zeichnung.

    Hängt bei Ihnen zu Hause Kunst?

    Jonathan Meese: Na klar. Bei uns zu Hause und im Erzatelier hängt Kunst von Kunstfreunden und vor allem Bilder von Fidus, ein Künstler, den ich sehr schätze. Auch Kunst von Meese, also mir, hängt bei meiner Mutter und auch bei meiner Freundin. Außerdem habe ich überall im Haus Bücher, denn diese Buchwerke sind für mich totalste Kunst und bedeuten für mich Schutz.

    Das Spielen ist bei Ihnen ganz entscheidend. In Bayern gibt es das schöne Wort Spuiratz. Passt das zu Ihnen?

    Jonathan Meese: Ich bin eine absolute Spielratte! Ich bin ein Spielkind und lasse mir das auch nicht austreiben. Alle großen Künstler sind Kinder geblieben. Und das können wir übrigens alle. Meine Mutter ist auch völliges Kind geblieben.

    Stimmt das, Frau Meese?

    Brigitte Meese: Zum Teil. Mir fehlt die Würde des Alters.

    Jonathan Meese: Aber das ist gut! Für mich bist Du eine Übermutter, Du bist für mich auch ein Übermensch.

    Brigitte Meese: Aha. Wenn ich aber etwas anders mache, als er es will, schimpft er: Stell Dich nicht so an, das kannst Du, das tut Dir gut.

    Jonathan Meese: Ich liebe eben Nietzsche und all die Begriffe, vor denen so viele Menschen Angst haben. Ein Übermensch ist doch nur ein Mensch, der ein Überpotenzial anzapft, das wir alle haben. Das ist nichts Schlimmes. Wir aber ideologisieren das. Dabei kommt es doch immer darauf an, wie man die Dinge füllt und entleert.

    Wie jetzt?

    Jonathan Meese: Für mich ist Deutschland eine Roulade. Und entweder ist sie gut oder schlecht gefüllt.

    Und zur Zeit?

    Jonathan Meese: Momentan ist die Roulade durchwachsen. Deshalb sage ich, man müsste Kunst reinfüllen, und zwar richtig viel. Dann möchte da auch jeder reinbeißen. Wenn in dieser Roulade aber Ideologie oder Politik steckt, schmeckt sie nicht besonders oder nur einer bestimmten Klientel. Ich will aber, dass die Roulade Deutschland allen schmeckt.

    Sie sollten sich mit Angela Merkel unterhalten, die isst angeblich gerne Rouladen.

    Jonathan Meese: Absolut, ich wünsche ihr, dass sie irgendwann mal Kunst liebt.

    Also bitte, Angela Merkel ist jedes Jahr in Bayreuth … Oh, die Wunde!

    Jonathan Meese: Ja, die Wunde Bayreuth!

    Tut’s immer noch weh, dass man dort Ihren „Parsifal“ nicht haben wollte?

    Jonathan Meese: Bayreuth ist einfach ein geiler Ort, und da muss Kunst hin. Wagner hat doch gesagt: Hier gilt’s der Kunst, Kinder schafft Neues. Das habe ich liebevollst ernst genommen, aber nicht bierernst. Nur in Bayreuth wird diese Forderung überhaupt nicht ernst genommen. Die haben eine unglaubliche Angst. Und sie machen Angst.

    Was bereitet Ihnen am meisten Angst, wenn Sie morgens die Zeitung aufschlagen?

    Jonathan Meese: Ideologie macht mir am meisten Angst. Ideologie ist absolut überflüssig und muss weg. Ich bezeichne mich immer gerne als „Ideologienjäger“. Politik und Religion machen Angst, das ist nicht gut und muss aufhören. Wir müssen endlich alle ideologischen Systeme überwinden.

    Und wie soll das gehen?

    Jonathan Meese: Kunst, also Liebe, also Respekt ist die geeignetste Waffe gegen alle ideologischen Missstände. Die Kunst ist Zukunft. Kunst ist die Überlebensgarantie. Ich vertraue nur der Kunst und übernehme totalste Verantwortung für die Zukunft.

    Sie reden sich schon wieder in Rage. Haben Sie sich eigentlich nie geniert?

    Jonathan Meese: Nur in der Realität ganz oft und viel zu viel. Aber in der Kunst überhaupt nicht. Denn das ist ja der Raum der Freiheit.

    Zur Person: Jonathan Meese (*1970 in Tokio) ist eine Spektakel- und Spaltfigur der deutschen Kunst, schaffend durch die Gattungen Malerei, Skulptur, Installationen, Performance, Theater… Er propagiert die „Diktatur der Kunst“ und sorgte samt Hitlergruß auch schon für Skandale. Die Ausstellung in der Pinakothek der Moderne in München läuft noch bis 3. März. Ab Februar stellt Meese in Lübeck aus.

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