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Interview: Jazzbassist Eberhard Weber sagt: "Das war's"

Interview

Jazzbassist Eberhard Weber sagt: "Das war's"

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    Eberhard Weber gilt seit Anfang der 1970er Jahre als einer der wichtigsten deutschen Jazzbassisten. Jetzt gibt er bekannt, keine neuen Alben mehr zu veröffentlichen.
    Eberhard Weber gilt seit Anfang der 1970er Jahre als einer der wichtigsten deutschen Jazzbassisten. Jetzt gibt er bekannt, keine neuen Alben mehr zu veröffentlichen. Foto: Nadia F. Romanini, ECM Records

    Ihr neues Album trägt den Titel „Once Upon A Time“ – Es war einmal. Damit ist wahrscheinlich nicht nur das Aufnahmedatum August 1994 und Avignon als Ort Ihres Auftritts gemeint.

    Eberhard Weber: Ich wollte es ganz anders nennen …

    Wie denn?

    Weber: „Last Stroke“! Das hätte zwei Bedeutungen gehabt: Zum einen der „letzte Streich“. Und zum anderen eben „Schlaganfall“. ECM-Chef Manfred Eicher fand das nicht so passend. Deshalb heißt die CD nun eben „Once Upon A Time“.

    Irgendwie fühlt es sich nicht an wie „Es war einmal“, sondern eher wie „Es ist noch“. Nach außen hin hat es den Anschein, als würden Sie mehr Termine absolvieren als viele aktive Musikerkolleginnen und -kollegen.

    Weber: Das kann man so nicht behaupten. Ich lebe eher ein zurückgezogenes Leben. Die Bänder aus Avignon hat Eicher vor gut einem Jahr während einer Produktion in den Studios La Buissonne entdeckt. Sie sind wohl die einzige, tatsächlich existierende Bass-Soloaufnahme von mir, ohne jede Ansage, weil ich damals noch kein Französisch konnte. Darauf enthalten sind unter anderem „My Favorite Things“, das ich sonst nirgendwo mehr gespielt habe, und das „Trio For Bassoon And Bass“, auf dem ich mich selbst mithilfe der Loops begleite. Meine anderen, seit dem Schlaganfall veröffentlichten Alben „Encore“ von 2015 und „Résumé“ von 2009 bestehen aus isolierten Live-Solosequenzen während meiner Zeit in der Jan Garbarek Group. Somit ist das ein wirklich schöner Abschluss.

    Wie meinen Sie das?

    Weber: Es wird keine weiteren Veröffentlichungen von mir geben – in diesem Leben zumindest. Das war’s! Deshalb schmückt das Cover ein Bild, das meine verstorbene Frau gemalt hat. Es zeigt ihre Großeltern, genau weiß ich das nicht. Sie hat 1973 auch die Plattenhülle für „Colors Of Chloë“, mein erstes Album unter eigenem Namen, gezeichnet. Also schließt sich der Kreis.

    Vielleicht auch eine Gelegenheit, um zumindest in diesem Rahmen zurückzublicken. Was würden Sie aus heutiger Sicht anders machen?

    Weber: Es gibt vieles, was man nicht hätte tun müssen. Aber ich würde es im Großen und Ganzen wieder ähnlich angehen, weil ich eigentlich nie dem Erfolg hinterhergelaufen bin. Ich habe es vielmehr so empfunden, dass er auf mich zukam. Zum Glück bin ich durchs Abitur gefallen, obwohl ich schon einen Studienplatz als Volksschullehrer hatte. Sonst wäre ich wahrscheinlich kein Musiker geworden. Mein Ziel war es nie, einen eigenen Sound zu erfinden. Ich wollte einfach nur spielen. So entdeckte ich dank des Gitarristen Bill Frisell eben das Delay. Das funktionierte wirklich gut mit meinem Elektro-Kontrabass. Der Bass klang melodiöser.

    Gerade das ist dann doch ein eigener Sound geworden, mit dem Sie jeder schon nach wenigen Sekunden erkennt. So etwas kommt nur bei wenigen Bassisten vor.

    Weber: Ich habe halt immer herumprobiert und wollte die Möglichkeiten des Instrumentes ständig erweitern. Schon früh habe ich mir in einem Antiquitätenladen den Holzkörper eines alten Kontrabasses gekauft und eine zusätzliche, hohe C-Saite sowie einen elektronischen Tonabnehmer einbauen lassen. Nach und nach hat das die Eigenresonanzen des Basses beseitigt und den Klang klarer, aber auch länger werden lassen. Dazu kam noch ein leichtes Vibrato. Später, bei Garbarek, habe ich ein wenig Hall dazu genommen. Eigentlich hatte ich sogar vor, mir einen neuen Bass mit einer weiteren, einer tiefen H-Saite anfertigen zu lassen. Aber dann kam leider der Schlaganfall dazwischen. Das war sozusagen eine Entscheidung von höherer Stelle. Deshalb habe ich konsequenterweise auch mit dem Komponieren aufgehört, weil ich feststellen musste, dass bei all meinen Arbeiten für Film, Fernsehen und Platten immer mein Bass eine Rolle spielte. Es drehte sich alles um ihn, er war überall irgendwo hörbar. Da meine linke Hand aber nicht mehr funktioniert, machte das für mich nun mal keinen Sinn mehr.

    Wissen Sie, wie viele Tonträger Sie verkauft haben?

    Weber: Ich habe das tatsächlich irgendwann mal nachgerechnet. Seit 1973 sind insgesamt 14 Platten unter meinem Namen erschienen, und verkauft wurden davon insgesamt knapp 600.000 Einheiten. Im Vergleich zum Pop ist das geradezu ein Witz, und selbst ein Keith Jarrett würde darüber nur lächeln. Aber für etwas, das man gemeinhin in die Schublade „Jazz“ steckt, war es doch ordentlich.

    Sie klingen inzwischen relativ gelassen und akzeptieren, dass es keinen Weg mehr zurück auf die Bühne gibt. Wie lange haben Sie nach dem Schlaganfall gebraucht, um sich damit abzufinden?

    Weber: Nicht allzu lange. Es war eher ein halbschwerer Gehirnschlag. Schon recht bald habe ich festgestellt, dass ich den Originalzustand auch mit viel Üben nicht mehr hinbekommen würde. Das muss man so akzeptieren. Ich wollte auch nicht als „halber“ Bassist zurückkommen, damit die Leute womöglich hinter vorgehaltener Hand raunen: „Früher war er besser“, „Warum tut er sich das an?“ oder „Braucht er das Geld?“ Ich hab’s meiner Frau zuliebe immer wieder probiert, weil sie unbedingt wollte, dass ich wieder auftrete. Also habe ich so getan, als ob, damit sie zumindest hören konnte, dass ich es versuche. Dabei wusste ich längst, dass es keinen Sinn mehr macht. Als sie gestorben ist, habe ich endgültig damit aufgehört.

    Wie kommen Sie im Alltag zurecht?

    Weber: Ich versuche es, heiter zu nehmen. Aber lustig ist es nicht immer. Gerade in Esslingen habe ich wieder festgestellt, dass es eben doch eine Behinderung ist. Man versucht, sich so gut es geht, von Ort zu Ort zu hangeln. Ich musste diesmal in einem anderen Hotel übernachten, weil mein altes während des Lockdowns Pleite ging. Plötzlich gibt es neue, ungewohnte Wege, zusätzliche Hindernisse, und das ärgert mich. Mit meiner Linken kann ich gerade noch ein Papier festhalten, aber ein Glas nicht mehr. Hinzu kommt, dass das Reisen mit dem Alter immer beschwerlicher wird.

    Wenn Sie alte Aufnahmen hören, spielt der Kopf da noch mit?

    Weber: Manchmal, wenn ich Videos bei YouTube aufrufe, überkommt mich der Gedanke, dass es schön wäre, wenn ich das wiederholen könnte. Aber das verschwindet schnell. Eine heilsame Erfahrung waren die 100 extrahierten Bass-Soli, die mir Jan Garbareks Tontechniker zuschickte. Nach 30 habe ich einfach aufgehört, denn irgendwann geht einem das Zeug ziemlich auf den Geist, auch wenn es von einem selber stammt. Da bleiben Wiederholungen nicht aus. Wenn ich wirklich, … oder soll ich sagen: ärgerlicherweise, wieder spielen könnte, würde mich nur interessieren, ob ich mit dem gleichen Mist wieder anfange, mit dem ich aufgehört habe, oder ob mir tatsächlich was Neues einfällt. Aber da das nie passiert, ist so ein Gedanke überflüssig.

    Gibt es Bassisten aus der aktuellen Generation, die Ihre Aufmerksamkeit erwecken?

    Weber: Ich höre wenig, meine Ohren sind inzwischen müde geworden. Wenn mir jemand etwas schickt, bin ich gleich durch damit. Es gibt nicht viele, die mir auffallen, Jacob Collier zum Beispiel, den fand ich spannend. Dieser junge Engländer bringt was Neues, obwohl es mehr in Richtung Pop geht. Bei den Esslinger Jazztagen erlebe ich als Schirmherr hin und wieder Bassisten. Da stelle ich fest, dass weiterhin die gute alte Spielweise dominiert – also nichts Aufregendes.

    Zur Person: Eberhard Weber, 81, gilt seit Anfang der 1970er Jahre als wichtigster deutscher Jazzbassist. Er spielte mit Pat Metheny, Gary Burton, Wolfgang Dauner und Jan Garbarek. Ein Schlaganfall beendete im April 2007 seine Karriere. Heute lebt er im südfranzösischen Vic Saint-Anastasie. Das Soloalbum „Once Upon A Time - Live in Avignon“ (ECM/Universal) mit älteren Aufnahmen ist soeben erschienen.

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