Frau Ministerin, in Augsburg hat sich das Luxushotel „Drei Mohren“ umbenannt, in Berlin wird über die Umbenennung der „Mohrenstraße“ diskutiert. Mohr und andere Bezeichnungen seien diskriminierend und rassistisch, sagen Kritiker. Wie ist Ihre Haltung?
Monika Grütters: Wichtig ist, dass man sich mit Geschichte auseinandersetzt und dann begründet entscheidet: Darf man „Mohr“ noch sagen oder darf man das nicht mehr? Selbst wenn man heute den Begriff Mohr für dunkelhäutige Menschen nicht mehr benutzen soll, muss das nicht zwangsläufig heißen, dass er böse gemeint ist. Allein daran zu erinnern, dass es solche Wandlungen im Sprachgebrauch und damit auch im Bewusstsein gegeben hat, hat einen Wert. Ich finde es beispielsweise richtig, Straßen mit den Namen einschlägiger Militärs aus der Kolonialzeit umzubenennen. Aber dass man eine Bezeichnung wie „Mohr“ völlig aus dem Sprachgebrauch tilgen möchte, finde ich schwierig. Denn Geschichte vergeht nicht einfach, sie gibt uns Aufgaben mit auf den Weg. In diesem Zusammenhang halte ich es übrigens für sehr wichtig, dass der Geschichtsunterricht in den Lehrplänen der Schulen einen höheren Stellenwert erhält.
Die Beschäftigung mit der kolonialen Vergangenheit darf nicht vernachlässigt werden
Auch unser Land muss sich mit dem Erbe des Kolonialismus auseinandersetzen. Es gibt zum Beispiel Forderungen aus dem linken politischen Raum, die Bundesregierung solle den deutschen Kolonialismus unmissverständlich als Verbrechen bezeichnen. Wie stehen Sie dazu?
Grütters: Die Aufarbeitung des Kolonialismus ist keineswegs ein Privileg der Linken. In meinem Haus beschäftigt sich seit geraumer Zeit ein eigenes Referat allein mit der Aufarbeitung unserer kolonialen Vergangenheit. Mir ist das ein sehr wichtiges Anliegen, denn wir haben diesen historischen Abschnitt unserer Geschichte lange Zeit sträflich vernachlässigt.
Zur Auseinandersetzung mit der kolonialen Vergangenheit gehört der angemessene Umgang mit menschlichen Überresten. Kommt Deutschland da schnell genug voran?
Grütters: Diese sogenannten Human Remains müssen alle zurückgegeben werden. Man muss aber genau wissen, woher genau die jeweiligen Schädel und andere Gebeine stammen. Wenn wir sie an die falsche Stelle zurückgeben, wird aus der guten Absicht ein großes Problem. Es mangelt nicht an unserem guten Willen. Wir haben es aber oft mit schwierigen organisatorischen und politischen Fragen zu tun.
Das neue Humboldt Forum spielt bei Darstellung und Aufarbeitung der deutschen Kolonialzeit eine wichtige Rolle?
Grütters: Ja. Das, was wir dort zeigen, ist auch in Rücksprache mit Vertretern der jeweiligen Herkunftsgesellschaften arrangiert worden. Wir wollen weg von einem allein eurozentrischen Blick.
Wie finden Sie den Neubau?
Grütters: Ich bin zunächst einmal sehr froh, dass wir das Humboldt Forum im wieder aufgebauten Berliner Schloss Ende dieses Jahres eröffnen können – nicht 42.000 Quadratmeter auf einmal, denn das wäre eine Überforderung, sondern wir haben uns eine Eröffnungsdramaturgie ausgedacht. Ende nächsten Jahres wird das Forum komplett zugänglich sein. Und, ja, der Bau ist gelungen. Das Besondere ist doch, dass Deutschland sich traut, einen zentralen Platz der Hauptstadt der Kunst zu widmen und noch dazu den Blick auf die außereuropäischen Kulturen zu lenken.
Das gilt auch für das Kreuz auf dem Stadtschloss und seine Inschrift?
Grütters: Die Diskussion darüber hat das Projekt begleitet. Das Kreuz entspricht dem historischen Vorbild. Es ist das Symbol der Christenheit. Aber für mich persönlich ist das Kreuz vor allem ein Zeichen der Nächstenliebe, der Toleranz und des Miteinanders. Es steht jedenfalls nicht für Ausgrenzung. Der Zentralverband der Muslime hat dies auch ausdrücklich so geäußert. Kurz nach dem Wiederaufbaubeschluss, weit vor meiner Amtszeit, gab es dazu eine eigene Expertengruppe. Die hat damals entschieden, das gesamte Schloss mit Ausnahme der Ostfassade originalgetreu wiederaufzubauen, und da gehörte die Inschrift folgerichtig auch dazu. Danach hat sich die Diskussion über das Thema beruhigt. Jetzt, da die Inschrift angebracht ist, sehe ich sie als Einladung zu einer kritischen Diskussion.
Vor das Forum soll die sogenannte Einheitswaage, das Freiheits- und Einheitsdenkmal. Aber braucht Deutschland neben den ganzen anderen Denkmälern wirklich noch eine „Einheitswippe“, die ja zudem ausgerechnet dort wippen soll, wo einst die Reiterstatue von Kaiser Wilhelm I. stand?
Grütters: Das Ereignis einer friedlichen Revolution, in der es die Bürgerinnen und Bürger waren, die ein Unrechtssystem, eine Diktatur, zu Fall gebracht haben, ist so spektakulär, dass die Würdigung dieser Leistung allemal ein entsprechendes Denkzeichen verdient. Dafür steht das Freiheits- und Einheitsdenkmal. Wir tun uns allerdings wahnsinnig schwer damit, auch an die Höhepunkte unserer Geschichte zu erinnern – und es ist daher auch nicht einfach, eine angemessene Sprache dafür zu finden. Ich habe im Übrigen nie verschwiegen, dass man auch einen anderen Standort hätte wählen können.
Die Kulturmilliarde kann nicht alle Probleme lösen
Kommen wir von der Vergangenheit zur Gegenwart, zu Corona. Wie haben Sie den Kultursommer fast ohne Festspiele und Festivals erlebt?
Grütters: Ich habe ihn erlitten. Ich kann das nicht anders sagen. Mir blutet immer noch das Herz. Dieses Virus ist ein Angriff auf ein Lebensmodell – und zwar nicht nur das der Künstlerinnen und Künstler, sondern das unserer ganzen Gesellschaft. In Deutschland ist die Kultur doch zum Modus des Zusammenlebens geworden. Das beschränkt sich nicht nur auf eine kleine Bildungselite, die sich in guten Zeiten einen Opernbesuch gönnt. Allein an unserer ungemein großen Anzahl von Theatern, Opernhäusern, Kinos, Museen und Gedenkstätten kann man sehen, dass es sich um ein gesamtgesellschaftliches Bedürfnis handelt. Und wenn ich sehe, was schon mir als Besucherin fehlt, vor allem die Musik, dann denke ich manchmal, um wie viel schlimmer das für die Künstlerinnen und Künstler sein muss. Wir können mit unserem Konjunkturpaket Neustart Kultur, der sogenannten Kulturmilliarde, diese Not auch nur lindern, aber nicht alle Probleme lösen.
Mit Blick auf Salzburg, das ja gerade gezeigt hat, dass Corona und Festspiele auch möglich sind, ohne dass die Infektionszahlen deshalb sprunghaft steigen. Waren die großflächigen Veranstaltungsabsagen vielleicht doch verfrüht?
Grütters: In Bayreuth, da sind wir als Bund ja beteiligt, haben wir schweren Herzens aus zwei Gründen frühzeitig abgesagt. Erstens, weil wir gesehen haben: Da sitzen Menschen auf besonders engem Platz ohne eine für eine Pandemie ausreichende Belüftungsanlage zusammen, und ein Großteil davon gehört Risikogruppen an. Die Gesundheit der Künstlerinnen und Künstler, aber eben auch des Publikums hat oberste Priorität. Und – zweitens – je später man absagt, umso stärker steigen für Vertragsauflösungen die Kosten. Ich lege übrigens sehr großen Wert darauf, für Engagements, die wegen Corona abgesagt werden mussten, Ausfallhonorare zu zahlen. Ich bin immer noch enttäuscht, dass es Bundesländer oder Städte gibt, die das nicht tun. Das kann ich nicht begreifen. Es ist doch das Mindeste, was wir als Staat den Künstlern schuldig sind. Ich finde aber, es ist jetzt genauso unsere Pflicht, ehrlich und sehr differenziert darüber nachzudenken, wie man pragmatisch auch das Bühnengeschehen wieder ins Laufen bekommen kann. Zu waghalsige Eröffnungsszenarien helfen nicht, mit pauschalen Verboten ist es aber ganz sicher auch nicht getan.
Wie soll es stattdessen weitergehen?
Grütters: Man muss sich die Mühe vieler Einzelfallbetrachtungen machen, jede Veranstaltung und jeder Raum müssen speziell auf ihre Möglichkeiten geprüft werden. Bei allem Respekt vor der Eineinhalb-Meter-Abstandsregel: Es muss auch Szenarien geben, bei denen man bei entsprechenden Grundvoraussetzungen, zum Beispiel in Häusern mit einer hervorragenden Lüftungsanlage, über pragmatische Öffnungslösungen nachdenkt. Handeln nach Schema F wird dem Kulturbetrieb in seiner Vielfalt nicht gerecht. Keiner hätte Freude an einem Kulturerlebnis, wenn es risikobehaftet wäre. Aber wir sind es unserer Gesellschaft und den Künstlerinnen und Künstlern schuldig, die jeweiligen Gegebenheiten vor Ort genau anzuschauen und danach zu entscheiden.
Zum Beispiel auch das österreichische Modell anzuwenden, da reicht ein Meter Abstand…
Grütters: …und deswegen müssen sie in Österreich nicht jede zweite Sitzreihe freilassen. Die Schweizer wiederum sagen, Familien, Paare und andere im gleichen Haushalt lebende Personen dürfen nebeneinandersitzen und dann bleibt ein Platz frei. Wenn ich dagegen die Eröffnung der Berliner Philharmonie nehme: Da wurde mit sehr schematischen Regeln gearbeitet, weil das Land Berlin im Moment noch sehr restriktiv vorgeht. Bei der Eröffnung des Musikfestes waren es weniger als fünfhundert Leute in einem Saal mit mehr als 2400 Sitzplätzen. Das tut mir in der Seele weh. Aber fairerweise muss man auch sagen: Die Sitzordnung in einem Saal muss so gestaltet werden, dass das Infektionsrisiko auf ein Minimum reduziert wird. Wer ins Konzert, Theater oder Kino gehen will, muss dies ohne gesundheitliches Risiko tun können. Wenn man will, ist das aber auch machbar.
Die Corona-Krise kann zur Ausweitung des Kulturlebens beitragen
Haben Sie denn Sorge, dass sich also manche den regelmäßigen Kulturbesuch in diesen schwierigen Zeiten abgewöhnen?
Grütters: Ich verstehe die Angst der Menschen. Aber ich habe schon große Sorgen, dass Angst, gepaart mit einem Sich-Einrichten in weniger Kulturgenuss, tatsächlich in Zukunft zu einer Reduzierung des kulturellen Angebots führen könnte. Unbefangenheit und Leichtigkeit müssen wir wohl erst wieder lernen. Und ich denke, so richtig wird das erst dann gelingen, wenn es ein Medikament und einen Impfstoff gibt. Aber bis dahin sind wir Künstlern den mühsamen Versuch schuldig, pragmatische Lösungen für einzelne Ereignisse zu erarbeiten. Die Situation vieler betroffener Kreativer, besonders der Solo-Selbstständigen mit ihren oft schwierigen finanziellen Verhältnissen, tut mir in der Seele weh.
Kulturföderalismus zu Corona-Zeiten bedeutet auch: jedem Bundesland seine eigene Regelung. Hätten Sie sich da gerade jetzt in der Krise nicht mehr gemeinsames Handeln gewünscht?
Grütters: Natürlich ist es manchmal wirklich anstrengend, wenn es um gemeinsames Handeln geht. Aber wir haben in den vergangenen Monaten den Abstimmungsmodus zwischen Bund, Ländern und Kommunen deutlich intensiviert. Und wenn nicht überall in der Republik Länder und Kommunen ihre kulturellen Reichtümer verteidigen würden, hätten wir gar nicht dieses flächendeckende Netz kreativer Angebote. Das gibt es nur deshalb, weil das eine dezentrale Leidenschaft ist.
Als Kulturstaatsministerin verteilen Sie die sogenannte Kulturmilliarde, die vor allem als Infrastrukturhilfe an private Institutionen gehen soll. Sie haben vor Wochen gesagt: Man müsse nun retten, was zu retten ist. Um wen oder was sorgen Sie sich derzeit am meisten?
Grütters: Ich gehöre nicht zu denen, die jetzt einen Abgesang auf die Kultur anstimmen. Ich glaube eher an den hartnäckigen Überlebenswillen der Kultur. Unsere Kultureinrichtungen haben bereits zwei Weltkriege überstanden, sie werden auch diese harte Corona-Krise überstehen. Es ist ein Wesenskern der Kultur, dass sie sich stets als widerständig behauptet hat. Es wird mit den Erfahrungen und Lehren aus dieser Zeit sogar neue Aspekte unseres Kulturlebens geben – etwa bei der Digitalisierung. Ich hoffe und erwarte auch, dass die Kommunen, die mit einem Anteil von 45 Prozent die größten Kulturträger in Deutschland sind, sich beim Kassensturz nicht zulasten der Kultur sanieren werden. Sie wissen, dass sie mehr verlieren als sie verdienen, wenn sie Kultureinrichtungen schließen. Deutschland wird eine Kulturnation bleiben, da bin ich mir ganz sicher.
Zur Person: Monika Grütters ist seit Dezember 2013 Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien. Geboren am 9. Januar 1962 in Münster studierte die Katholikin Germanistik, Kunstgeschichte und Politikwissenschaften. Sie war danach unter anderem bei Opernhäusern und Museen zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit und machte Karriere in der CDU, der sie bereits mit 16 beitrat. Seit 2005 sitzt die unverheiratete Grütters im Bundestag und ist Mitglied im Präsidium der Partei.
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