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Interview: Gramlich: "Kunst spielte in der NS-Hierarchie eine große Rolle"

Interview

Gramlich: "Kunst spielte in der NS-Hierarchie eine große Rolle"

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    In der Großen Halle des Berghofs am Obersalzberg zeigte Hitler unter anderem Gemälde von Paris Bordone und Anselm Feuerbach.
    In der Großen Halle des Berghofs am Obersalzberg zeigte Hitler unter anderem Gemälde von Paris Bordone und Anselm Feuerbach. Foto: Archiv

    Herr Gramlich, in den letzten 20 Jahren sind etwa zwanzig Kunstwerke aus den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen an Erben NS-Verfolgter zurückgegeben worden. Das ist nicht viel.

    Johannes Gramlich: Das ist auch nicht befriedigend, obwohl es im deutschlandweiten Vergleich gar nicht so wenig ist. Die Staatsgemäldesammlungen haben 1999 begonnen, die Objekte aus der Sammlung Göring am Haus zu untersuchen. Aber dann gab es eine Lücke, und erst seit 2008 kann das Thema mit einer festen Stelle und sukzessiver personeller Verstärkung systematisch aufgearbeitet werden.

    Sie schließen gerade die „grundlegende Erstprüfung“ von 7000 Kunstwerken ab, die seit 1933 an die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen gingen. Was heißt das?

    Gramlich: Das bedeutet, dass wir die zügig verfügbaren Informationen aus dem Haus, aus Datenbanken und der Literatur zusammengetragen haben, die Besitzerfolgen kennen und eine Bewertung vornehmen können. Stark raubkunstverdächtige Objekte werden sofort an „lostart.de“ gemeldet – aktuell sind dort über 400 Gemälde aus den Staatsgemäldesammlungen aufgeführt. So haben potenzielle Antragsteller die Möglichkeit, diese Werke zu finden und auf uns zuzukommen. Zugleich gehen wir in die Tiefe und forschen deutschland- und europaweit in den Archiven. Wobei wir auch Fälle vorziehen, wenn Anträge von außen kommen oder sich gleich beim Erstcheck zeigt: Alarmstufe Rot.

    Ein barbarisches Regime bringt man nicht unbedingt mit Kunst zusammen. Aber gerade die NS-Oberen haben mit unfassbarer Gier gesammelt. Hat das mit Hitlers Faible für die Kunst zu tun?

    Gramlich: Auch, aber ich würde den Fokus gar nicht so sehr auf Hitler legen. Kunstgegenstände waren immer schon ein wichtiges Mittel zur Repräsentation von Macht und Geltung. Die Nationalsozialisten haben das nur übernommen. Zugleich wollten sie mit potenten Kunstsammlungen die Bedeutung des Deutschen Reiches nach außen demonstrieren.

    Mit dem sogenannten „Führermuseum“ in Linz als Höhepunkt?

    Gramlich: Ja. Genauso wollte Göring seine Sammlung in einem Museum öffentlich zugänglich machen. Auch innerhalb der NS-Hierarchien spielte die Kunst eine entscheidende Rolle. Wer als hochrangiger Funktionär etwas gelten wollte, musste sich repräsentativ mit Kunst umgeben. Kunstwerke waren außerdem beliebte Geschenke, mit denen man seine Kunstsinnigkeit zur Schau stellen konnte. Auch das hat eine lange Tradition.

    Allerdings in anderen Dimensionen.

    Gramlich: Die Mittel, um an Kunst zu kommen, waren radikaler als jemals zuvor. Der NS-Kunstraub ist in seinem Ausmaß einzigartig. Im Zweiten Weltkrieg konkurrierten Rauborganisationen miteinander, wer die besten und teuersten Kunstgegenstände ausfindig machen und beschlagnahmen konnte. Dazu kam noch eine rassenideologische Begründung – zum Beispiel, wenn man im Deutschen Reich und in den besetzten Gebieten insbesondere die jüdische Bevölkerung beraubt hat.

    Bei der Wiedereröffnung der Alten Pinakothek 1957 zeigt Generaldirektor Ernst Buchner dem Bundespräsidenten  Theodor Heuss die Sammlung. Buchner, ab Mai 1933 NSDAP-Mitglied, war von März 1933 bis 1945 verantwortlich für die Pinakotheken.
    Bei der Wiedereröffnung der Alten Pinakothek 1957 zeigt Generaldirektor Ernst Buchner dem Bundespräsidenten Theodor Heuss die Sammlung. Buchner, ab Mai 1933 NSDAP-Mitglied, war von März 1933 bis 1945 verantwortlich für die Pinakotheken. Foto: Bayerische Staatsgemäldesammlungen

    Von dieser Raubkunst ist ein großer Teil in München gelandet.

    Gramlich: München und Bayern waren für die NS-Herrschaft zentral. Die NSDAP wurde in München gegründet, und zur Ausstattung ihrer Gebäude hatte man massenhaft Kunst zusammengetragen. München galt den Nazis als Hauptstadt der Kunst, hier wurden ab 1937 die „Großen Deutschen Kunstausstellungen“ gezeigt, und hier gab es eine besondere Dichte von Partei und Parteifunktionären.

    Damit konnte es wahrscheinlich nur Hermann Göring mit seinem Prunksitz Carinhall in der brandenburgischen Schorfheide aufnehmen?

    Gramlich: Aus Sorge vor der Roten Armee ließ Göring seine Sammlung aber kurz vor Kriegsende nach Bayern bringen. Auch die riesige Sammlung von Adolf Hitler kam durch die Amerikaner 1945 vom österreichischen Altaussee nach München. Hier hat sich vieles konzentriert.

    Liegt der kritische Punkt nicht vor allem in der Verteilung dieser konfiszierten Kunstwerke an die staatlichen Häuser? Museen sammeln und geben ungern ab.

    Gramlich: Zumal sich die Museen nach 1945 vor allem als Opfer der Diktatur und des Krieges gesehen haben. Insofern gab es kein Bewusstsein dafür, die Restitution eigeninitiativ weiter zu forcieren. Dazu bestand auch keine rechtliche Verpflichtung. Vielmehr ging man davon aus, dass die Restitution durch die amerikanische Militärregierung eh schon überreguliert sei. Auf Seiten der Alliierten wurde die Rückführung von Kunstgegenständen sehr engagiert betrieben. Was übrig blieb, galt als „sauber“.

    An vielen Museen gab es auch eine erstaunliche Kontinuität beim Personal.

    Gramlich: Die alten Museumsleute waren vielfach nach 1945 wieder am Ruder. Mit Blick auf die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen ist Ernst Buchner das offenkundigste Beispiel. Buchner war von 1933 an 1945 Generaldirektor. Im Spruchkammerverfahren ist er dann als Mitläufer eingestuft worden, damit war er weitgehend entlastet. So konnte Buchner 1953 erneut als Generaldirektor eingesetzt werden. Der Wunsch nach Aufklärung war also ziemlich überschaubar. Es gab aber damals ganz allgemein die Haltung, dass eine kleine Clique um Adolf Hitler sämtliche Verantwortung und Schuld zu tragen habe.

    Gleich nach 1945 machen dann auch die „unpolitischen Hausfrauen“ der NS-Oberen Ansprüche geltend. Ist das nicht grotesk?

    Gramlich: Ja, hier zeigt sich ganz eklatant, dass sich die vollkommene Abwesenheit eines Verantwortungsgefühls bis in die engsten Kreise der NS-Täter hineingezogen hat. Gerade die Frauen hochrangiger NS-Funktionäre argumentierten nach 45, sie hätten sich bemüht, die Verfolgungspolitik der Nazis zu lindern und zu sabotieren. Entsprechend selbstbewusst sind diese Personen an den Freistaat oder die Staatsgemäldesammlungen herangetreten, um Kunst zurückzubekommen, die ihnen bis 1945 gehört hatte.

    Gab es überhaupt rechtliche Grundlagen?

    Gramlich: Für die Enteignung von NS-Funktionären waren die Spruchkammerverfahren zuständig. Und eine Person wie Emmy Göring wurde milde beurteilt, weil sie als unpolitische Ehefrau eines Funktionärs galt. Ihr privates Vermögen wurde nach 1945 also nicht enteignet, doch was gehört dazu? Damals war es nicht üblich, dass Frauen eigene Vermögenswerte hatten. Deshalb brachte Emmy Göring Schenkungen ins Spiel. Damit musste sich der Freistaat auseinandersetzen, und zum Teil hat er das durchaus kooperativ oder wohlwollend getan. Es gab überhaupt wenig Berührungsängste mit der alten NS-Elite.

    Johannes Gramlich sagt: "Der NS-Kunstraub ist in seinem Ausmaß einzigartig."
    Johannes Gramlich sagt: "Der NS-Kunstraub ist in seinem Ausmaß einzigartig." Foto: Haydar Koyupinat (BStGS)

    In den 1960er Jahren wurden dann 107 Werke aus dem ehemaligen Besitz von NSDAP-Leuten veräußert. War das nicht mindestens blauäugig?

    Gramlich: Damals war die Übereignung von Objekten aus ehemaligen NS-Kunstsammlungen an die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen weitgehend abgeschlossen. Man begann, den Neuzugang zu sondieren, und war der Meinung, dass man diese 107 Werke nicht mehr brauche. Auf dem Kunstmarkt haben sie dann rund eine Million D-Mark eingebracht. Mit dem Erlös wurde ein Werk von Georges Braque gekauft. Das verstand man als Wiedergutmachung am eigenen Haus, weil während der NS-Zeit Werke der Moderne aus den Museen beschlagnahmt wurden. Auch das Thema Raubkunst galt in den 1960er Jahren als komplett abgeschlossen.

    In den 1980er Jahren kam das Thema wieder auf. Warum hat es so lange gedauert, bis Bewegung in die Provenienzforschung gekommen ist?

    Gramlich: Aus heutiger Sicht ist das schwer nachzuvollziehen. An den Staatsgemäldesammlungen gab es ab 1999 zu einzelnen Objekten umfassende Nachforschungen wie etwa zur erwähnten Sammlung Göring. Wahrscheinlich war man der Meinung, dass damit schon viel getan sei. Das basierte ja auf der Washingtoner Erklärung von 1998, mit der sich Deutschland und 43 weitere Staaten dazu verpflichtet haben, aktiv in ihren Kunstsammlungen nach NS-Raubkunst zu suchen. Bis die Provenienzforschung aber stärker institutionalisiert wurde, vergingen fast zehn Jahre. Erst 2008 ist auf Bundesebene eine Stelle eingerichtet worden, die Forschungsprojekte finanziert. Und mit Sicherheit hat der Fall Gurlitt 2013 einiges angestoßen.

    Man hat das Gefühl, vor einem unbezwingbaren Berg an Klärungsbedarf zu stehen. Von welchen Zeiträumen sprechen wir?

    Gramlich: Das ist auch eine Frage des politischen Willens. Wie viel Geld gibt man in diese Forschung? Wie viele Stellen werden ermöglicht? Das ist zum Teil ordentlich, an manchen Häusern passiert dagegen fast nichts. Aber ja, das ist ein Berg, und wenn wir den ernsthaft und gründlich für alle Sammlungen in Deutschland bearbeiten wollen, ist das eine Aufgabe für noch viele Jahrzehnte.

    Zur Person Johannes Gramlich, 39, arbeitet seit 2016 bei den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen im Bereich der Provenienzforschung, 2019 wurde er Vorsitzender des Forschungsverbunds Provenienzforschung in Bayern. Soeben ist aus seiner Dere ein neues Buch erschienen: Johannes Gramlich: Begehrt, beschwiegen, belastend. Die Kunst der NS-Elite, die Alliierten und die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen. Böhlau, 348 S., 35 €.

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